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Anerkennung für Zwangsadoptierte

Nina Haase22. März 2013

Betroffene von Zwangsadoptionen begrüßen die offizielle Entschuldigung der australischen Regierung. Nach Jahrzehnten des Schweigens erfahren sie endlich Anerkennung und können ihre Vergangenheit aufarbeiten.

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Australiens Premierministerin Julia Gillard bei der Zeremony zur Entschuldigung bei Zwangsadoptionopfern (Foto: reuters)
Julia Gillard bei der Zeremony zur Entschuldigung bei ZwangsadoptionopfernBild: Reuters

Die Entschuldigung kam nicht nur von der australischen Regierung. Auch die Opposition schloss sich an. Nach der Rede von Premierministerin Julia Gillard entschuldigte sich auch der Vorsitzende der Liberalen, Tony Abbott, offiziell bei den Betroffenen für die Politik der australischen Regierungen in den 1950er bis 1970er Jahren, in deren Folge tausenden meist minderjähriger Mütter ihre Säuglinge weggenommen wurden.

Aber Abbott wird von lauten Rufen aus dem Publikum unterbrochen, als er die Leistungen von sowohl "Herkunftseltern" als auch "Adoptiveltern" würdigt. Am Begriff "Herkunftseltern" stoßen sich viele im Publikum der etwa 800 Anwesenden. Viele Betroffene sind anwesend. Sie sind empört.

Australiens Oppositionsführer Tony Abbott (Foto: AP)
Traf nicht immer den richtigen Ton: Oppositionsführer Tony AbbottBild: AP

Nach dem Tumult stellt Abbott klar: "Das Letzte, was ich beabsichtige, ist denjenigen Leid zuzufügen, die ohnehin schon zu viel Leid erfahren haben. Deswegen ziehe ich den Begriff gerne zurück." In den folgenden Minuten spricht Abbott von "Eltern".

Welcher Begriff ist der richtige?

"Einige der anwesenden Frauen waren erschüttert über die Sprache, die er gewählt hat", schildert Isabelle Andrews von Jigsaw Adoption die Situation. Ihr Verein setzt sich seit 27 Jahren für Pflege- und Adoptivfamilien ein. "Der Begriff 'Herkunftsmutter' ist durchaus gebräuchlich. Aber einige finden, man sollte einfach von 'Müttern' sprechen. Oder wenn man unbedingt eine Bezeichnung dafür haben möchte, dann sollte es 'natürliche Mutter' heißen."

Die Emotionen kochen im Parlament in Canberra so hoch, weil sich in der Debatte um den richtigen Begriff das Dilemma der Betroffenen widerspiegelt: Nie durften sie Mütter oder Eltern sein. Die australische Gesellschaft sprach ihnen nicht nur das Recht, sondern auch die Fähigkeit ab, für ihr Kind sorgen zu können.

Umso wichtiger sei die Anerkennung, die sie jetzt durch die Entschuldigung erführen, so Andrews. "Bei vielen Frauen ist einfach ein Gefühl der Machtlosigkeit geblieben. Sie hatten nie eine Stimme."

"Böses, böses Mädchen"

Wurde ein unverheiratetes Mädchen schwanger, galt das im prüden Australien der 1950er, 60er, 70er Jahre als Schande. Eltern, Staat und Kirche zogen mit Moralaposteln gegen junge Mütter zu Felde. "Frauen, die heute 70 oder 80 Jahre alt sind, erzählen, wie sie 60 Jahre ihres Lebens damit verbracht haben, sich von der Schande zu befreien, die man ihnen aufzwang, weil sie schwanger waren,“ sagt Isabelle Andrews und berichtet von einer Dame, der nach 45 Jahren immer noch die Worte des Priesters in den Ohren widerhallen, der sie damals "böses, böses Mädchen" geschimpft hatte.

Vielen Frauen wurden die Babys noch im Kreißsaal weggenommen, oft gegen den Protest der Mütter. Nur wenige durften ihr Kind kurz im Arm halten. Auch den Namen des Neugeborenen bestimmten meist die Eltern der Mutter.

Im vergangenen Jahr hatte ein Untersuchungsausschuss des australischen Senats der Regierung empfohlen, sich offiziell für die Praktiken zu entschuldigen. Die Frauen seien unter Druck gesetzt oder sogar bedroht worden, damit sie ihre Kinder abgeben, bestätigte das Komitee.

Australiens Premierministerin Julia Gillard (Foto: dpa)
Politisch angeschlagen: Premierministerin Julia GillardBild: picture-alliance/dpa

Und so führte Premierministerin Julia Gillard in ihrer Rede aus: Die betroffenen Mütter seien nicht über ihre Rechte aufgeklärt und mit falschen Beteuerungen getäuscht worden. "Sie wurden gezwungen, Zwang und Brutalität von Praktiken zu erleiden, die unethisch, ehrlos und in vielen Fällen illegal waren."

"Vielen wurde gesagt: Wenn du nicht unterschreibst, darfst du das Krankenhaus nicht verlassen", bestätigt Isabelle Andrews aus Gesprächen mit betroffenen Müttern. Dass sie innerhalb einer gewissen Frist ihr Einverständnis zur Adoption hätten zurücknehmen dürfen, wurde den jungen Müttern noch dazu meist verschwiegen.

Lebenslange Identitätskrise

Um die 200.000 Babys kamen so in Familien, die der Staat als würdig befand, weil es als das Beste für das Kind angesehen wurde, wenn Neugeborene von verheirateten Paaren großgezogen wurde. In den Geburtsurkunden wurden oft einfach die Adoptiveltern als leibliche Eltern eingetragen.

Die hätten sich oft liebevoll gekümmert, betont Isabelle Andrews. Trotzdem sei die Zwangsadoption auch für die Kinder ein traumatisches Ereignis gewesen. Sie hofft nun, dass sich nach der Entschuldigung der Regierung noch mehr Betroffene offensiv mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen.

Ultraschalluntersuchung in der Schwangerschaft (Foto: Fotolia/Mikael Damkier)
Viele Säuglintge wurden den Müttern bereits im Kreißsaal weggenommenBild: Fotolia/Mikael Damkier

Die Regierung hat versprochen, fünf Millionen australische Dollar bereitzustellen, um Therapien und die Aufarbeitung des Themas im Nationalarchiv zu finanzieren. Eine direkte finanzielle Entschädigung der Betroffenen wird derzeit nicht in Betracht gezogen.

Seit der Entschuldigung, so Andrews, dächten viele der Kinder jetzt überhaupt zum ersten Mal darüber nach, dass sie ihren Eltern weggenommen wurden. "Viele haben ihr Leben lang angenommen, sie seien ungewollt gewesen."