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Glaube

Angela Merici – eine Frau, zu modern für ihre Zeit

26. Januar 2018

Im Dienst Gottes und der Habenichtse: Christian Feldmann von der katholischen Kirche über Angela Merici, die im 16. Jahrhundert ein soziales Engagement lebte, das die Kirche Frauen dieser Zeit nicht zugestehen wollte.

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Ordensfrau Tafel Schülerinnen
Ursulinenschwester vor ihrer Schulklasse: In Würzburg unterrichten bis heute die Nachfolgerinnen Angela Mericis in der klostereigenen Schule.Bild: Alfred Herrmann

Von geheimnisvollen Visionen hielt sie gar nichts und von düsteren Ordenstrachten und der strengen Klausur in Frauenklöstern noch weniger. Aber die Menschen haben sie schon zu Lebzeiten vergöttert. Als sie gestorben war, stritten sich die Priester der beiden vornehmsten Kirchen von Brescia vier Wochen lang um die Ehre, den Leichnam beizusetzen. Dann dauerte es allerdings noch 267 Jahre, bis Rom die Ordensstifterin und frühe Sozialarbeiterin Angela Merici (1474-1540) aus Oberitalien heiligsprach. „Ihre Ideen waren zu modern“, so erklärt das eine Biographin aus unseren Tagen.

Angela Merici gilt als Pionierin eines intensiven religiösen Lebens mitten in der Welt. Lange vor den zahlreichen „Säkularinstituten“ späterer Jahrhunderte verband sie die Hingabe an Christus mit sozialer und pädagogischer Arbeit an den Brennpunkten der Not. Dieses zähe, meist sehr unauffällige Engagement war ihr wichtiger als jene außerordentlichen Begnadungen, an denen ihre wundersüchtige Umwelt den Wert der Frömmigkeit zu messen pflegte.

Intensives religiöses Leben mitten in der Welt

1474 wurde sie in dem zauberhaften Städtchen Desenzano am Gardasee geboren. Die zart gebaute, aber energische Angela beginnt den Mädchen aus armen Familien Religionsunterricht zu geben. Im nahe gelegenen Brescia kümmert sie sich mit einigen Freundinnen um die Kinder der Deklassierten, macht Krankenbesuche, vermittelt bei Nachbarschaftsstreitigkeiten. Brescia, die reiche Handelsstadt mit ihren luftigen Palazzi und prachtvollen Kirchen, ist auch eine Stadt der Entwurzelten. Schreiendes Elend in den Armenbezirken kontrastiert zu den üppigen Banketten der reichen Patrizier.

Die jungen Helferinnen gehen regelmäßig von Haus zu Haus; der Unterricht soll in engem Kontakt mit den Familien stattfinden. 29 Frauen sind es schließlich, die 1535 geloben, ihr Leben ganz in den Dienst Gottes und der Habenichtse zu stellen. Damit ist die Gemeinschaft der Ursulinen geboren, benannt nach einer frühchristlichen Märtyrerin. In der jungen Gemeinschaft herrscht eine ausgesprochen menschliche, respektvolle Art des Umgangs miteinander: „Vor allem hütet euch, irgendetwas mit Gewalt durchsetzen zu wollen“, ermahnt Angela ihre Gefährtinnen, „denn Gott hat jedem seinen freien Willen gegeben und er zwingt niemanden.“

Ihre pädagogische Arbeit in den Armenvierteln gestalten die Ursulinen nach denselben Prinzipien von Respekt und Menschenwürde. Kein Wunder, dass Zeitgenossen bezeugen, in der Nähe dieser Madre Angela habe man Gottes Gegenwart gespürt. Ihr Orden zählt derzeit in der ganzen Welt um die 20.000 Schwestern. Ihr Festtag ist heute.

Christus im Nächsten begegnen

Angelas Leben und ihre erfolgreichen Ideen sind das beste Gegenargument gegen Leute, die Spiritualität und Aktion, Frömmigkeit und Engagement, Liebe zum Himmel und Treue zur Erde trennen wollen. Wer sich um die schwächsten und ärmsten Geschöpfe Gottes kümmert, wird seine Stimme deshalb nicht überhören, im Gegenteil, er bezieht seine Kraft aus der Nähe zu dem, der alle Menschen geschaffen hat und alle glücklich sehen will.

Mutter Teresa von Kalkutta (1910-1997) hat ihren manchmal müden und verzweifelten Mitkämpferinnen immer wieder eingehämmert, es sei der gleiche Christus, den sie in der Morgenmesse empfangen und dem sie in den Sterbenden und Weggeworfenen auf den Straßen begegnen. Und Madeleine Delbrêl (1904-1964), die französische Sozialarbeiterin und Schriftstellerin, die das Evangelium schlicht und unbefangen in marxistischer Umgebung lebte, hatte für besonders radikale Eremiten den leisen Tadel übrig: „Wenn du die Wüste liebst, vergiss nicht, dass Gott die Menschen lieber sind!“

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Ursulinenschwester vor ihrer Schulklasse: In Würzburg unterrichten bis heute die Nachfolgerinnen Angela Mericis in der klostereigenen Schule.   Foto: Alfred Herrmann

Deutschland Christian Feldmann
Bild: privat

Christian Feldmann, Theologe, Journalist, Rundfunkautor, 1950 in Regensburg geboren, publizierte mehr als 50 in viele Sprachen übersetzte Bücher, vor allem Porträts klassischer Heiliger und frommer Querköpfe aus Christentum und Judentum.