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Politik

Abkehr vom Doppelpass

Wolfgang Dick
14. März 2017

Die Möglichkeiten einer doppelten Staatsbürgerschaft gehen einigen konservativen Politikern in Deutschland zu weit. Sie sehen vor allem Loyalitätskonflikte. Ein aktueller Anlass zeige das Problem.

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Doppelte Staatsbürgerschaft
Bild: picture-alliance/dpa

Jubel von jungen Deutsch-Türken für Erdogan und seine geplante Verfassungsänderung. Menschen, die in Deutschland als voll integriert galten, bekunden auf den bisherigen Veranstaltungen türkischer Politiker in Deutschland offen ihre Sympathien für Pläne, die die Mehrheit deutscher Politiker als undemokratisch ablehnt. Rund ein Fünftel der türkischstämmigen Menschen in Deutschland hat die deutsche und die türkische Staatsangehörigkeit und dürfte für den Ausgang des Referendums mitentscheidend sein. Das muss in den Unionsparteien (CDU/CSU) Befremden ausgelöst haben.  

"Der Stand der Integration ist offenbar deutlich schwächer, als viele bisher angenommen haben", sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen (CDU) dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel". Der CDU-Außenpolitiker plädierte für die Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft. Seither mehren sich ähnliche Aussagen in der CDU und auch aus der Schwesterpartei CSU. Deren Generalsekretär Andreas Scheuer erklärte, wer sich zu deutschen Werten und Prinzipien bekenne, brauche keine weitere Staatsbürgerschaft. Die Kinder ausländischer Eltern sollten sich künftig wieder bis zum 21.Lebensjahr für eine Staatsangehörigkeit entscheiden müssen. So lautete auch schon ein Beschluss des Parteitages der CDU vom Dezember 2016. Die Doppelpass-Regelung

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Politik: Staatsangehörigkeit soll Identifikation zum Land stärkenBild: picture-alliance/dpa/F. Ismail

Diese oft schmerzliche Entscheidungspflicht für Betroffene schaffte die derzeitige Regierungskoalition (CDU/CSU/SPD) im Jahr 2014 ab. Jetzt gilt: Wer in Deutschland als Kind ausländischer Eltern geboren wird, die seit mindestens acht Jahren in Deutschland leben, erhält die deutsche Staatsangehörigkeit und die seiner Eltern. Damit gibt es auch zwei Pässe. Wer dann bis zum 21.Lebensjahr mindestens acht Jahre in Deutschland gelebt hat und sechs Jahre zur Schule gegangen ist, muss keinen der beiden Pässe abgeben.

Für anerkannte Mehrstaatlichkeit bestehen bei Einbürgerungsverfahren strenge Auflagen. Angaben zu der Anzahl der in der Bundesrepublik lebenden Doppelstaatler gibt es nur aus Erhebungen der Jahre 2011 und 2015. Die Zahl wird mit 4,3 Millionen angegeben. Darunter sind natürlich nicht nur Deutsch-Türken, sondern zum Beispiel auch Menschen aus Polen oder Russland.      

Ursprüngliche Absichten

Ursprünglich sollte die doppelte Staatsangehörigkeit anerkannt werden, um Menschen mit Migrationshintergrund schneller in die Bevölkerung einzugliedern und zu fördern. Sie sollten so auch an gesellschaftlichen und politischen Entscheidungen und damit an der Demokratie so schnell wie möglich teilhaben. Darum sollte es gehen: Anerkennung und Achtung der Herkunft sowie Aufnahme und Verpflichtung zu Werten im neuen Land.

Argumente überholt ?

Nur wenige Forschungsarbeiten zum Thema "Doppelpass" haben sich in den letzten Jahren mit der Frage beschäftigt, ob das Integrationsziel auch erreicht wurde oder ob diejenigen Unionspolitiker Recht haben, die heute sagen, die Regelung habe sich nicht bewährt.

Prof. Thomas Faist
Soziologe Thomas Faist: "Doppelpass wirkt positiv"Bild: Privat

Professor Thomas Faist, Soziologe an der Universität Bielefeld, ist einer der Wissenschaftler, die sich mit dem Thema beschäftigt haben. Er meint im Gespräch mit der DW: "Die doppelte Staatsangehörigkeit wirkt sich positiv auf die Eingliederung aus." Das lasse sich in empirischen Studien beweisen. Der Besitz von zwei Pässen habe sich positiv auf das Zugehörigkeitsgefühl der Betroffenen ausgewirkt. Wenn man die Regelung wieder zurückdrehen würde, wäre dies "ein symbolischer Akt einer Nichtanerkennung".

Forscher Faist sieht nicht nur in Deutschland positive Effekte. Fast in der Hälfte aller Länder weltweit werde heute der Doppelpass ermöglicht. Die so geförderten Personen gehörten meistens zu den besser gebildeten und gut verdienenden, also privilegierten Gruppen in der Gesellschaft. Dass solche Menschen Opfer politischer Bauernfänger werden könnten, glaubt Faist nicht. "Sie sind in der Gesellschaft gut verortet."  Für eine Bewertung des aktuellen Diskussionsausgangs müsse man wissen, wieviele der für Erdogan jubelnden Deutsch-Türken tatsächlich zwei Staatsangehörigkeiten hätten, um daraus wirklich Rückschlüsse ziehen zu können. Für die Loyalität eines Menschen zu einem Staat sei viel mehr entscheidend als nur ein Pass. Es gehe vielmehr um die tatsächliche soziale Anerkennung in einem Land, die man täglich spüren könne. 

Türkinnen im Deutschkurs
Auch Sprachkurse tragen zur Integration beiBild: picture-alliance/dpa

Veränderung der Doppelstaatlichkeit

Bundeskanzlerin Angela Merkel bleibt bei dem, was sie bereits im Herbst auf dem Parteitag der CDU in Essen sagte: In dieser Legislaturperiode werde es mit ihr keine Änderungen der bestehenden Gesetze geben. Bundesinnenminister Thomas de Maizière ergänzt: "Wir wollen niemanden vor den Kopf stoßen und das rückabwickeln." Die SPD verweist auf den bestehenden Koalitionsvertrag, in dem der Kompromiss von 2014 zur doppelten Staatsbürgerschaft festgeschrieben ist. Diese Lösung war aus Sicht der SPD sogar eine der Grundvoraussetzungen für die große Koalition.

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD), hält sich vielleicht auch deshalb derzeit mit offiziellen Kommentaren zu der Bewegung in der Union zurück. Zuviel Aufmerksamkeit könnte die Diskussion weiter anheizen. Linke und Grüne sehen in den Überlegungen von Teilen der Union in jedem Fall einen großen Rückschritt für die Integration. Volker Beck, der migrationspolitische Sprecher der Grünen, sagte der Deutschen Welle: "Solange die Union eine Koalition mit rechtspopulistischen Parteien ausschließt, wird das nicht kommen." In der Bevölkerung genießt der Doppelpass nach einer Forsa-Umfrage mit 53 Prozent überwiegend Anerkennung. Nur 38 Prozent der Deutschen wollen, dass sich Zuwanderer für eine Nationalität entscheiden müssen