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Angst, dass die Fassade bröckelt

10. März 2010

Bilder von Raketen, die ins Lager einschlagen, der Anblick von toten Kameraden - Erlebnisse, die viele Soldaten auch nach ihrer Rückkehr aus Afghanistan nicht mehr los werden. Ein Soldat erzählt, wie es ihm heute geht.

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Soldaten in Afghanistan (Foto: AP)
Viele Soldaten können nicht vergessen, was sie in Afghanistan gesehen habenBild: AP

Aggressiver sei er geworden, leichter reizbar, sagt Matthias über sich selbst. Und auch schreckhafter. "Wenn irgendwo eine Tür zuschlägt, dann schrecke ich sofort auf. Und dann kann es durchaus passieren, dass sich mir vielleicht ein kleiner Film reinschiebt, wie eine Rakete ins Lager einschlägt oder so was."

Der Stoff für diese Filme ist mehr als ein halbes Jahr alt. Er kommt aus Afghanistan. Viereinhalb Monate hat Matthias in Kundus im Norden Afghanistans gekämpft. Für den 21-jährigen Soldaten war es der erste Auslandseinsatz. Er war Teil des 19. Kontingents, das mehrfach Anschläge auf Patrouillen und Raketenangriffe auf das Lager erlebte. Vier Soldaten starben. Seit Juli ist Matthias wieder in Deutschland.

Die Angst kommt immer mit

Im alten Leben zurechtzukommen fällt ihm schwer. Die Bilder kommen immer wieder, erzählt Matthias. Läuft er mit seiner Freundin durch die Stadt, muss er sich manchmal umdrehen, aus einem mulmigen Gefühl heraus. "Ich habe dann irgendwie Angst, dass mir gleich einer ein Messer in den Rücken sticht. Es ist ein blöder Hintergedanke, aber die Angst ist einfach da." Und auch an Männern mit Vollbart kann er nicht mehr einfach vorbei gehen. "Ich denke mir dann schon so ein bisschen: 'Oh.' Und dann geht man schon von einer Gefahr aus."

Soldaten in Afghanistan (Foto: AP)
In Matthias' Einheit sind Kameraden im Einsatz getötet worden - das macht ihm bis heute zu schaffenBild: AP

Es sind Bilder von verletzten und gefallenen Soldaten, die in seinen Kopf drängen. Mehrmals musste er in Afghanistan miterleben, wie Kameraden gestorben sind. "Richtig angefangen hat es am 29. April 2009, als der erste gefallen ist. Da war mir sofort klar, jetzt ist Schluss mit dem Larifari."

"Was mache ich eigentlich hier?"

Anfangs dachten viele seiner Kameraden, man fahre ein bisschen Patrouille und nach ein paar Monaten kommen alle wieder gesund und munter nach Hause. Nach den ersten Gefechten war damit Schluss. "Das war praktisch der point of no return. Und ab da hat sich auf einmal alles eingeprägt. Da hat man wirklich angefangen, darüber nachzudenken, ob man lieber nach Hause gehen sollte oder nicht. Und auch: Warum bin ich eigentlich hier?"

Matthias sprach mit dem Psychologen im Lager, dachte auch darüber nach, früher nach Deutschland zurückzukehren. Letztendlich ist er dann aber doch wieder und wieder auf Patrouille gefahren, um seine Kameraden zu schützen. "Man will seine Kameraden nicht im Stich lassen. Man fährt nicht mehr raus, so blöd sich's anhört, um den Auftrag zu erfüllen, sondern einfach nur für seinen rechten und linken Nachbarn. Die würden einen nämlich genauso wenig im Stich lassen."

Nachdenken ist nicht

Jede Patrouille ist gefährlich, und jede kann die letzte sein. In Kampfeinsätzen – in denen Matthias beschossen wurde – geht es nur ums Funktionieren, Reagieren, sagt der Soldat. In einem Einsatz hat er zunächst gar nicht realisiert, dass er beschossen wurde. "Ich bin gelaufen, habe auf den Boden geguckt und mir ist der Dreck vom Boden hochgeflogen. Erst da ist mir bewusst geworden, dass die auf mich schießen." Und dann lief das Programm ab, das er in Deutschland immer wieder gelernt hat. "Großartig Nachdenken in dem Moment ist einfach nicht."

Bundeswehrsoldaten sind Mitte Januar 2010 bei Kundus im Norden Afghanistans im Einsatz (Foto: dpa)
Jede Patrouille kann die letzte seinBild: picture-alliance/ dpa

Erst nachher, nach ein paar ruhigen Stunden im Lager, kam das Bewusstsein, dass er selbst knapp mit dem Leben davongekommen ist. Und dass andere dabei gestorben sind.

Seit Anfang Juli ist Matthias nun wieder in Deutschland – an ein Leben wie vor dem Einsatz ist nicht zu denken, sagt er. Mit Familie und Freunden über seine Ängste zu reden, ist schwer - sie haben die Bilder nicht im Kopf, kennen das Land nicht. Viele Soldaten, die Ähnliches erlebt haben, wollen nicht darüber sprechen. "Man möchte nicht über das Erlebte sprechen, weil man vielleicht Angst hat, die äußere Fassade bröckelt. Dass man schwach wird - und man möchte nicht schwach erscheinen". Nicht alle gestehen sich ein, dass sie ein Problem haben, sagt er.

Überleg's dir zweimal

Matthias sagt, dass er noch eine Weile brauchen wird, bis er wieder ohne quälende Gedanken durchs Leben gehen kann. Im Bundeswehrzentralkrankenhaus lernt er, was er tun kann, wenn die Bilder zurückkommen. Zum Beispiel beißt er sich auf die Zunge, damit der Schmerzimpuls ihn wieder ins Hier und Jetzt zurückholt.

Eineinhalb Jahre hat er noch als Zeitsoldat. Auslandseinsätze kommen für ihn nur noch in Frage, wenn er im Lager arbeiten kann – um dort zum Beispiel Fahrzeuge zu reparieren. Seine Zukunft sieht er nicht beim Militär. Und er rät jedem, der sich bei der Bundeswehr verpflichten will: Überleg es dir zweimal! "Die Wenigsten denken darüber nach, dass es viel schwieriger für die Angehörigen zu Hause ist, denn die wissen nicht, wie es einem geht. Die haben teilweise über Stunden Todesängste um den Sohn, den Enkel oder den Mann. Man geht da zu leichtsinnig an die Sache ran."

Autorin: Sarah Steffen

Redaktion: Manfred Götzke