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Angst und Profilneurosen: Knatsch in der Großen Koalition

Monika Dittrich, Berlin15. August 2006

Es rumort in der deutschen Regierungskoalition: Seit Wochen beschimpfen sich Vertreter von SPD und CDU/CSU. Schlechte Umfragewerte verschärfen die inhaltlichen Konflikte - und Sommertheater ist wohl auch im Spiel.

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Bundeskanzlerin Angela MerkelBild: picture-alliance/ dpa

Zugegeben: Von einer Liebesheirat haben Sozial- und Christdemokraten zu keinem Zeitpunkt gesprochen. Die Große Koalition ist eine Vernunftehe, die beide Parteien im vergangenen Herbst geschlossen haben, weil nach dem verkorksten Wahlergebnis kaum etwas anderes möglich war. Aber man raufte sich zusammen, und Angela Merkel gab sich in ihrer Regierungserklärung am 30. November 2005 optimistisch. "Wer hätte gedacht, dass heute eine große Koalition antritt, um unser Land gemeinsam in die Zukunft zu führen", sagte sie damals. "Wer hätte gedacht, dass SPD und Union so viel Verbindendes entdecken, dass sie ein dichtes Programm für vier Jahre vorlegen."

Angespanntes Klima

Koalitionsverhandlungen - Merkel und Müntefering
Bessere Zeiten: Angela Merkel und Franz Müntefering bei den KoalitionsverhandlungBild: dpa

Wohl kaum einer hätte das gedacht. Deshalb ist es auch nicht überraschend, dass Union und SPD in diesem Sommer die erste Ehekrise durchmachen. Bei vielen Themen zeigt sich jetzt: Die einen wollen nicht, was die anderen wollen. Ein CDU-Abgeordneter schlägt vor, die Witwenrente zu kürzen. Die SPD jault auf. Für die SPD wiederum macht Finanzminister Peer Steinbrück den Vorschlag, die staatliche Wohnungsbauprämie zu kassieren. Das missfällt aber der Union. "Das werden wir mit Sicherheit nicht mitmachen, und es steht auch nicht im Koalitionsvertrag", sagt etwa der Abgeordnete Otto Bernhard. "Der Minister, den ich als Fachmann sehr schätze, muss sich daran gewöhnen, dass wir eine Große Koalition haben."

Das gilt dann wohl auch für CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla. Der hatte vorgeschlagen, erwachsene Kinder sollten künftig für ihre arbeitslosen Eltern aufkommen. Undenkbar für die SPD. Unterhaltspflicht für Familien, Witwenrente und Wohnungsbauprämie - das sind nur drei Beispiele für das zunehmend angespannte Klima in der Koalition. Eigentlich passten die beiden Parteien eben nicht zueinander, sagt die SPD-Abgeordnete Andrea Nahles. Mit den Grünen habe es in den letzten sieben Jahren auch Konfliktfelder gegeben, doch es habe zugleich in vielen Bereichen ein Grundkonsens existiert. "Jetzt ist es so, dass wir jedes Mal von vorne anfangen müssen, uns aneinander angleichen müssen", sagt Nahles. "Das ist nicht immer so einfach, und deswegen gibt es manchmal auch schlechte Stimmung."

Düstere Umfragewerte

Schlechte Stimmung gibt es aber auch wegen der Umfragen. Nur noch eine Minderheit der Deutschen vertraue der Bundesregierung, diagnostizieren die Meinungsforscher. Bitter ist es vor allem für die Union: Sie fällt in der Wählergunst auf nur noch 31 Prozent. Orientierungslosigkeit macht sich breit: Was für eine Partei will man eigentlich sein? Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers empfahl seiner Partei, wieder sozialer zu werden. Seine Parteikollegen reagieren enttäuscht. "Ich glaube, hier irrt der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen. Wir haben immer die Arbeitsplätze im Auge behalten", sagt Otto Bernhard. "Wer glaubt, wir hätten eine Politik für Kapitalisten gemacht - davon gibt es mal gerade drei oder vier Prozent in Deutschland. Dann hätten wir niemals 40 oder 50 Prozent der Stimme bekommen."

Und trotzdem ist sie da, die Profildebatte. CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla versucht zu beschwichtigen und will das Positive daran sehen: "Die CDU muss auch Kontroversen aushalten, und sie muss auch kontrovers diskutieren." Kontrovers diskutieren muss die CDU demnächst auch wieder mit ihrem Koalitionspartner SPD. Denn auf der politischen Agenda für den Herbst stehen lauter schwarz-rote Minenfelder: etwa der Mindestlohn, den die SPD einführen will, oder der Kündigungsschutz, den die Union lockern möchte. Für Profildebatten wird dann kaum noch Zeit sein.