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Angst vor dem Frieden?

7. Juli 2010

Warum bewegt sich nichts beim Friedensprozess im Nahen Osten? Weil die Israelis Frieden mehr zu fürchten scheinen als den Kriegszustand: Diese These vertritt der Historiker Moshe Zimmermann in seinem neuen Buch.

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Ein israelischer Soldat bewacht Artilleriemunition an der Grenze zum Libanon (Foto:ap)
Ein israelischer Soldat bewacht Artilleriemunition an der Grenze zum LibanonBild: AP

Heerscharen von Vermittlern, Diplomaten und Politikern sind in den vergangenen Jahren in den Nahen Osten gereist, um den Friedensprozess wieder zu beleben. Es gab viele Gespräche, Appelle und Pläne, aber am Ende hat sich nichts bewegt, im Gegenteil: die Fronten zwischen Israel und den Palästinensern scheinen verhärteter denn je. Denn Israel habe mehr Angst vor dem Frieden als vor dem Krieg: Das ist die provokante These des israelischen Autors und Historikers Moshe Zimmermann in seinem neuen Buch: "Die Angst vor dem Frieden. Das israelische Dilemma". "Beim Krieg weiß man in etwa, was auf uns zukommt. Mit dem Frieden ist das etwas anders", so Zimmermann im DW-Interview, "aber hinter dem Frieden, so vermuten viele, stecken stets List und Tücke, Kompromissbereitschaft wird als Schwäche ausgelegt."

Buchcover Moshe Zimmermann Die Angst vor dem Frieden

Nach dieser Denkart kann Frieden nur durch In-Schach-Halten der Feinde erreicht werden. Bereits 1995 schrieb Ministerpräsident Benjamin Netanjahu in seinem Buch "Platz unter der Sonne": "Im Nahen Osten geht Sicherheit vor Frieden und Friedensverträgen. Wer das nicht versteht, wird ohne Sicherheit, ohne Frieden bleiben." Für Militär und Politik in Israel wird die Abschreckungspolitik somit existenziell, folgert Zimmermann in seinem Buch: "Da man ohnehin davon ausgeht, dass die Umwelt stets darauf bedacht ist, Israel zu vernichten, und da islamistische Bewegungen wie die Hamas oder die Hisbollah für die Speerspitze dieser antiisraelischen Absicht gehalten werden, scheinen Vergeltungsschläge stets die angemessene Reaktion zu sein, um die Abschreckung wieder herzustellen."

Vom Umgang mit der Gefahr

Palästinenser in Gaza verbrennen eine israelische Flagge (Foto:ap)
Palästinenser in Gaza verbrennen eine israelische FlaggeBild: AP

Tatsächlich mangelt es in Israel nicht an realen Gefahren: Terror, Vernichtungspropaganda aus dem Iran, feindliche Nachbarstaaten und die Shoah im kollektiven Gedächtnis. Es gibt genug Akteure, die Israel feindlich gesinnt sind, das bestreitet auch Zimmermann nicht. Doch umso mehr müsste man an einem Frieden intereressiert sein, schreibt er: "Man könnte mit diesen Gefahren im öffentlichen Diskurs anders umgehen – Ursachenforschung betreiben und für die Zukunft nach Alternativen suchen, die die Gefahren entschärfen bzw. eine Tendenzwende herbeiführen könnten."

Doch genau das Gegenteil passiert, die Ängste werden immer größer, das belegten Meinungsumfragen aus den letzten Jahren. Es gebe viele Israelis, so Zimmermann, die glauben, dass Friede nur möglich sei, wenn Araber und Palästinenser nicht mehr da oder unter israelischer Kontrolle wären.

Die Mehrheit im Griff

Jüdische Siedler in Hebron (Foto:ap)
Jüdische Siedler in HebronBild: AP

So denkt zwar eigentlich nur eine kleine, radikale Minderheit in Israel, doch mit ihren Botschaften habe sie die Mehrheit im Griff, sagt Zimmermann: "Die Mehrheit möchte selbstverständlich in Frieden leben: eine Spaßgesellschaft, die interessiert ist an Wohlstand, dem schönen Leben und der Weltmeisterschaft. Aber es gibt in dieser Gesellschaft auch eine Minderheit, die Interessen hat, die einem Frieden widersprechen." Als Beispiele führt er die Siedler an, die ihre Siedlungen im Westjordanland nicht aufgeben wollen, oder das Militär, das auf Abschreckung setzt: Für sie würden Frieden und Kompromisse das Ende ihrer Stellung bedeuten, deshalb werde das Schüren von Ängsten für sie zum Machtinstrument, glaubt Zimmermann.

Die Mehrheit lässt sich das gefallen, weil Mehrheiten meist träge und bequem sind und weil sie aus der jüdischen Geschichte allein die Schlussfolgerung zieht, dass Nichtanwendung der Waffe Schwäche und Katastrophe bedeuten: "Wenn man betont, dass wir immer Opfer waren, dass sich das nie wiederholen soll und dass Araber und Palästinenser aber genau das Ziel haben", so der israelische Historiker, "dann sind die Appelle der Linken, über Alternativen nachzudenken, nicht sehr überzeugend."

Umdenken- aber wie?

Moshe Zimmermann, Historiker und Publizist an der Hebräischen Universität Jerusalem
Moshe Zimmermann, Historiker und Publizist an der Hebräischen Universität JerusalemBild: Moshe Zimmermann

Dieses Umdenken, weg von der Fixierung auf Angst und Abschreckung, so das Fazit in Zimmermanns Buch, sei der Ausweg aus dem derzeitigen Dilemma. Es fand bereits 1993 statt, als man bei der Aushandlung der Osloer Verträge bereit war, mit den Palästinensern und der PLO zu sprechen und Vorurteile und Ängste beiseite ließ. Es endete allerdings abrupt 1995 mit der Ermordung des israelischen Ministerpräsidenten Jitzchak Rabin. Wie ein solches Umdenken in Israel wiederbelebt werden könnte und welchen Anteil die palästinensische Seite dazu beitragen muss, das schreibt Zimmermann in seinem Buch allerdings nicht.

In seiner Heimat hat er viel Kritik für sein Buch geerntet, bisweilen betrachtet man ihn dort als "Nestbeschmutzer", der antiisraelische Thesen verbreitet. Die wahren Antiisraelis säßen jedoch in der Regierung, kontert Zimmermann im DW-Gespräch: "Die Regierung macht die antiisraelische Politik. Weil sie dazu führt, dass Israel isoliert wird. Dass der Frieden nicht kommt und am Ende die Katastrophe droht!"

Autorin: Ina Rottscheidt
Redaktion: Thomas Latschan

Moshe Zimmermann: Die Angst vor dem Frieden. Das israelische Dilemma, 160 Seiten, Aufbau-Verlag, 14,95 Euro