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Angst vor der 50-Prozent-Hürde

16. Mai 2003

- Regierung der Slowakei versucht Mobilisierung der Wähler mit allen Mitteln - Referendum über EU-Beitritt am 16.-17.5. 2003

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Köln, 15.5.2003, DW-radio, Nina Werkhäuser

Am Freitag und Samstag (16. und 17.5.) sind die Slowaken aufgerufen, in einem Referendum für oder gegen den EU-Beitritt zu stimmen. Das Land mit fast 5,4 Millionen Einwohnern will 2004 EU-Mitglied werden. Die Slowakei hat bei den Verhandlungen mit

Brüssel (seit 1999), für die es zwei Jahre weniger Zeit hatte als Nachbarländer wie Polen und Tschechien, gute Fortschritte gemacht und außerdem ein beeindruckendes Wirtschaftswachstum vorzuweisen. Die Mehrheit der Slowaken ist für den EU-Beitritt, aber dennoch könnte das Referendum scheitern - an zu geringer Beteiligung. Aus Bratislava berichtet Nina Werkhäuser.

"Unser Beitritt zur EU ist eine wichtige Sache", erklärt Eishockey-Nationalspieler Lubomir Visnovsky seinen Landsleuten im slowakischen Fernsehen, "und deshalb gebe ich meine Stimme ab." Ihn und viele weitere Prominente spannt die Regierung ein, um die Slowaken am Freitag und Samstag zur Teilnahme am Referendum zu motivieren.

"Überlassen wir es nicht den anderen."

Hingehen, abstimmen, es nicht den anderen überlassen, das ist die zentrale Botschaft der Werbespots. Nichts fürchtet die Regierung in Bratislava mehr, als dass die Slowaken einfach zu Hause bleiben. Zwar ist die überwältigende Mehrheit für den EU-Beitritt, aber das alleine reicht nicht aus. Nur wenn mehr als 50 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgeben, ist das Referendum gültig. Bei früheren Volksabstimmungen war die Beteiligung immer zu gering, und so macht sich in der Regierung Nervosität breit. Außenminister Eduard Kukan:

"Das allerwichtigste für uns ist es, die Bürger zur Teilnahme am Referendum zu bewegen, damit wir diese schwierige 50-Prozent-Hürde schaffen."

Die Regierung hat deshalb in ihrer Werbekampagne auf Sachargumente weitgehend verzichtet und zielt nur auf die Mobilisierung der Wähler. Das stört viele, auch Alexander Kurtansky. Der Journalist aus Bratislava hatte sich eine Debatte über das Für und Wider des EU-Beitritts erhofft, doch die sei leider ausgeblieben, beklagt er. Alexander Kurtansky will trotzdem zum Referendum gehen und für den EU-Beitritt stimmen. Die außenpolitische Isolation seines Landes unter dem früheren Ministerpräsidenten Meciar hat er noch in guter Erinnerung, und so etwas kann sich seiner Meinung nach in der EU nicht wiederholen.

"Also, ich würde nicht von purer Begeisterung sprechen, aber ich glaube, die Slowaken wissen schon, was die EU für positive Sachen bringt. Und dass eigentlich die andere Alternative etwas ziemlich Schlimmes ist, was wir hier schon hatten: Eine Isolation, und das will keiner."

Viele Slowaken sind gegen Übergangsfristen, wenn es um die Jobsuche im Nachbarland Österreich oder in Deutschland geht und befürchten Preiserhöhungen, so wie dieser Rentner aus Zilina im Norden der Slowakei.

"Ich erwarte, dass die Preise steigen werden, vor allem für Lebensmittel und Dienstleistungen. Die Löhne sind bei uns nicht so hoch, dass wir das problemlos verkraften können. Wenn wir Preise haben wie in der EU, dann wird das für uns sehr schwierig."

Die große Mehrheit der Slowaken schätzt die Vorteile aber höher ein als die Nachteile. Die Regierung hofft auf EU-Mittel, um die Entwicklung im wirtschaftlich schwächeren Osten des Landes voranzubringen. Nach Ansicht der EU-Delegation in Bratislava hapert es aber bisher an korrekten Anträgen für die entsprechenden Gelder. Bis zum Beitritt will die Regierung die Reform der Sozialsysteme vorantreiben. Außerdem wird sie weiteren Druck von der EU bekommen, die teils unter sehr ärmlichen Bedingungen am Rande des Gesellschaft lebenden Roma besser zu integrieren.

Wenn das Referendum trotzdem an zu geringer Beteiligung scheitern sollte, dann wird das slowakische Parlament den Beitritt beschließen. Pannen dabei sind ausgeschlossen, erklärt der Politikwissenschaftler Grigorij Meseznikov vom "Institute for Public Affairs" in Bratislava:

"Die Euro-Skeptiker haben keine politische Plattform in der Slowakei. Es gibt keine größere Partei, die gegen den EU-Beitritt wäre."

Trotzdem hält die Regierung ein mögliches Scheitern des Referendums für fatal und setzt alles daran, die Bürger zu mobilisieren - auch, um einen Parteienstreit zu vermeiden. Die nach der Bronzemedaille bei der Weltmeisterschaft allseits gefeierte Eishockey-Nationalmannschaft muss dafür in Zeitungsanzeigen ebenso herhalten wie die Telekommunikations-Unternehmen. Sie sollen 2,5 Millionen SMS verschicken, damit mehr als 50 Prozent der Wahlberechtigen sich am Freitag und Samstag auf den Weg machen. Vorausgesetzt, dass sie das tun, zweifelt niemand am "Ja" der Slowaken zur EU. (fp)