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Angst vor neuer Gewalt im Kosovo

27. Oktober 2005

Die Sicherheitslage im Kosovo ist nach wie vor prekär. Seit dem Krieg sind sechs Jahre vergangen, doch eine echte Entspannung zwischen Serben und Albanern ist noch nicht in Sicht. Eine Reportage aus Mitrovica.

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2004 kam es in Mitrovica zu ethnischen UnruhenBild: AP

Jeden Tag steht im Süden der geteilten Stadt von Mitrovica, vor der Brücke über Fluss Iber, ein Bus fahrbereit, begleitet von zwei Polizeiwagen. Mit dem Bus fahren täglich Albaner aus dem Südteil in den Nordteil der Stadt, wo fast nur Serben wohnen - und umgekehrt. Obwohl die Brücke seit langem offiziell für den Verkehr geöffnet ist, trauen sich die Bürger von Mitrovica nicht, ohne polizeiliche oder militärische Begleitung die Brücke zu überqueren.

Keine Bewegungsfreiheit

Bajram Krasniqi ist ein bekannter Rechtsanwalt aus Prishtina. Er gehört heute zu den Reisenden, die mit dem Bus über die Brücke in den Nordteil der Stadt fahren. Krasniqi hat den Auftrag, einen Mandanten in einer Gerichtsverhandlung zu verteidigen - die Gerichtsgebäude befinden sich im Nordteil der Stadt. Dass es so große Probleme mit der Bewegungsfreiheit in Mitrovica gibt, betrachtet der Rechtsanwalt als Einschränkung seiner Rechte: „Zum einen werden hier Menschenrechte verletzt, und zum zweiten die bürgerlichen Rechte. Ich kann als Rechtsanwalt meiner Arbeit deshalb nicht richtig nachgehen. Man verliert einen ganzen Arbeitstag, wenn man auch nur eine Kleinigkeit im Gericht im Nordteil von Mitrovica zu erledigen hat. Zum Beispiel, wenn man ein amtliches Schreiben abgeben will. Das hat weder mit Demokratie noch mit Freiheit zu tun."

Eine geteilte Stadt?

Auch Arbnore Sadiku leidet unter der faktischen Teilung der Stadt. Früher hat die junge Frau im Nordteil gewohnt - seit sechs Jahren lebt sie nun in Süd-Mitrovica in einem gemieteten Haus. Die labile Sicherheitslage in ihrer Stadt sei schrecklich, sagt sie: „Ich bin eine Bürgerin von Mitrovica, bin aber ein ewiger Flüchtling geworden in meiner Stadt. Früher, vor dem Krieg, habe ich auf der anderen Seite des Flusses gewohnt. Jetzt aber dürfen wir uns nicht frei in der ganzen Stadt bewegen. Man sagt, die KFOR habe den Drahtzaun entfernt. Sehen sie mal bitte, wie viel Draht noch geblieben ist! Das sind doch leere Worte!"

Eine echte Entspannung zwischen Serben und Albanern ist auch sechs Jahre nach dem Krieg im Kosovo noch nicht in Sicht. Auch Branislav Kerstic, ein Serbe aus dem Norden Mitrovicas, ist pessimistisch: „Ich würde ja gerne etwas Gutes, etwas Positives sagen, aber das kann ich nicht. Schauen Sie, die Medien berichten über Bewegungsfreiheit für die Menschen im Norden und Süden der Stadt, aber das kann ich nicht bestätigen. Leider. Ja, die Brücke ist für Fußgänger geöffnet, aber nur etwa 40 Leute überqueren sie jeden Tag, und die sind entweder beschäftigt bei der UNMIK-Verwaltung oder es sind einzelne albanische Schüler, die im Norden wohnen aber im Süden die Schule besuchen. Ich bin sehr skeptisch, die Zeit ist noch nicht reif. Ich glaube, dass die Eröffnung der Brücke nur eine politisch motivierte Entscheidung war, damit die Gespräche über die Status-Frage der Provinz beginnen können."

Angst vor Zwischenfällen

Sicherheitsexperten befürchten, dass es noch vor Beginn der Gespräche über künftige Status des Kosovo zu Zwischenfällen kommen könnte, wie in Mitrovica im März letzten Jahres. 19.000 KFOR-Soldaten und 6.000 Polizisten sind derzeit in der ganzen Provinz im Einsatz.

Dennoch bleibt das Thema Sicherheit die Achilles-Ferse des Kosovo: Todesdrohungen gehören auch sechs Jahre nach dem Krieg zum Alltag. Es gab mehrere politisch motivierte Morde, die Täter wurden nie gefasst. Politische Gruppen bedienen sich privater Sicherheitsdienste, um ihre Gegner zu erpressen. Allein in letzten Monaten sind wieder vier so genannte "Befreiungsarmeen" aufgetaucht - die jüngste erst vorige Woche: "die Armee für Unabhängigkeit des Kosovo".

Und so herrscht nach wie vor Angst vor einer Eskalation der Gewalt. Die KFOR und die kosovarische Polizei eskortieren deshalb vielerorts Serben von Enklave zu Enklave. Und auch die Busse über die Brücke in Mitrovica stehen noch auf unbestimmte Zeit unter dem Schutz der Sicherheitskräfte.

Fadil Gashi / Prishtina

DW-RADIO/Albanisch, 25.10.2005, Fokus Ost-Südost