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Bonner Deutschlandpolitik

Andrea Grunau30. Oktober 2014

Die Proteste westdeutscher Politiker nach dem Mauerbau blieben wirkungslos, keiner wollte einen neuen Krieg riskieren. So suchte man andere Wege, den Eisernen Vorhang durchlässiger zu machen - allen voran Willy Brandt.

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Willy Brandt (lks.) steht mit US-Justizminister Robert Francis Kennedy 1962 an der Mauer (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

"Seit 2 Uhr morgens erreichten uns die ersten Meldungen…, ab 3.48 Uhr die ersten Funksprüche, dass die Sektorenübergänge durch Stacheldraht gesperrt werden." Es war Willy Brandt, SPD-Kanzlerkandidat und Regierender Bürgermeister Berlins, der die Berliner und die Welt über den Mauerbau informierte. Er brach seine Wahlkampfreise ab und versammelte die Abgeordneten in Westberlin zu einer Sondersitzung. Dort protestierte Brandt vor den westalliierten Stadtkommandanten aus den USA, Großbritannien und Frankreich: "Der Senat von Berlin erhebt vor aller Welt Anklage gegen die widerrechtlichen und unmenschlichen Maßnahmen der Spalter Deutschlands". Leidenschaftlich mahnte Brandt: "Die kalten Betonpfähle, die unsere Stadt durchschneiden, sind mitten ins Herz der deutschen Einheit und in den lebendigen Organismus unserer einen Stadt Berlin gerammt worden."

Wie Brandt war auch Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) im Wahlkampf. Nach Berlin kam er erst neun Tage später, da war selbst US-Vizepräsident Lyndon B. Johnson schon da gewesen. Am Tag des Mauerbaus mahnte Adenauer in einer Rundfunkansprache betont nüchtern: "Im Verein mit unseren Alliierten werden die erforderlichen Gegenmaßnahmen getroffen…Es ist das Gebot der Stunde, in Festigkeit, aber auch in Ruhe der Herausforderung des Ostens zu begegnen." Besonnenheit forderte auch Willy Brandt. Er beschwor die Hoffnung auf eine Überwindung der Teilung: "Noch niemals konnten Menschen auf Dauer in Sklaverei gehalten werden…Wir werden uns niemals mit der brutalen Teilung dieser Stadt, mit der widernatürlichen Spaltung unseres Landes abfinden."

Konrad Adenauer spricht 1961 vor Journalisten in Berlin (Foto: picture alliance/Konrad Giehr)
Späte Reise nach Berlin - Kanzler Konrad Adenauer kam erst neun Tage nach dem Mauerbau in die geteilte StadtBild: picture alliance/Konrad Giehr

Hilflose Zuschauer im Westen bei Schüssen auf DDR-Flüchtlinge

"Der Osten handelt - was tut der Westen? Der Westen tut NICHTS!", titelte drei Tage nach dem Mauerbau die "Bild-Zeitung". Adenauer blieb zurückhaltend. Die Alliierten protestierten erst nach drei Tagen in Moskau. Währenddessen wurden die Ostberliner und alle Ostdeutschen eingemauert. Mit Waffengewalt hielt man sie von ihren Verwandten und Freunden im Westen fern. Willy Brandt schrieb an US-Präsident John F. Kennedy und bat um deutliche Schritte wie einen Protest bei den Vereinten Nationen, doch Kennedy beschränkte sich auf symbolische Gesten. Heute weiß man, dass er seinen Beratern gesagt hatte: "Eine Mauer ist verdammt viel besser als ein Krieg." Als Zeichen der Solidarität mit Westberlin schickte er Vizepräsident Johnson und 1500 zusätzliche US-Soldaten.

Doch auch diese Soldaten griffen nicht ein, wenn DDR-Flüchtlinge an der Grenze erschossen wurden. Schon elf Tage nach dem Mauerbau gab es den ersten Toten. Menschen starben auf der Ostseite der Mauer, der Westen sah hilflos zu. 1962 wurde der 18-jährige Maurergeselle Peter Fechter bei einem Fluchtversuch durch Schüsse in Bauch und Rücken schwer verletzt. Er rief noch eine Stunde lang um Hilfe. Doch weder Westberliner Polizisten noch US-Soldaten wagten sich auf Ostberliner Gebiet. Peter Fechter verstummte vor hunderten schockierten Westberlinern, dann trugen ihn die DDR-Grenzer weg. Schon in den ersten zehn Wochen starben an der Grenze zu Westberlin 15 Menschen. Die Mauer tötete nicht nur Flüchtlinge: Cetin Mert aus Kreuzberg ertrank an seinem 5. Geburtstag in der Spree, obwohl Westberliner Rettungskräfte schnell zur Stelle waren. Doch der Fluss gehörte hier zur DDR.

DDR-Grenzsoldaten tragen 1962 einen Schwerverletzten fort (Foto: dpa)
Flüchtlingsdrama vor den Augen und Ohren des Westens: DDR-Grenzsoldaten tragen den leblosen Peter FechterBild: picture-alliance/dpa

Merkel würdigt Ostpolitik Willy Brandts

Wer die Verhältnisse ändern wollte, musste neue Wege suchen. Sozialdemokrat Egon Bahr, Sprecher Willy Brandts, entwickelte 1963 die Idee vom "Wandel durch Annäherung". Konservative lehnten das Konzept damals ab. Heute sieht man das anders. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte 2014 bei der Feier zum Tag der Deutschen Einheit: "Neben der Westbindung Konrad Adenauers war es die von Willy Brandt eingeleitete Ostpolitik, die die Basis schuf, auf der später Helmut Kohl die Verhandlungen über die Wiedervereinigung mit der Sowjetunion führen konnte."

Erste Annäherungsversuche an den Osten gab es schon in der Großen Koalition von CDU und SPD (1966-1969), in der Willy Brandt Außenminister war. 1969 wurde Brandt dann Kanzler einer sozialliberalen Koalition aus SPD und FDP und konnte die Richtlinien der Politik bestimmen. Schon in seiner ersten Regierungserklärung sprach er von zwei Staaten in Deutschland, die füreinander aber kein Ausland seien. Zügig leitete er die neue Ostpolitik ein: Es ging um einen Modus vivendi mit der UdSSR und den Staaten im sowjetischen Einflussbereich, um Entspannung in Europa, ohne vorher die deutsche Frage zu lösen. Brandt schloss den ersten seiner Ostverträge mit der Sowjetunion, eine Vereinbarung mit Polen folgte. Zur ersten Begegnung mit DDR-Staatschef Willy Stoph reiste er im März 1970 nach Erfurt, "ohne Illusionen", wie er damals sagte: "Wir haben die Einheit verloren und es gibt bestimmt keinen Weg zurück." Die Erfurter empfingen ihn mit begeisterten "Willy, Willy"-Rufen, eine Demütigung für den Gastgeber, denn der Jubel galt Brandt, nicht Stoph.

Aus dem Zugfenster schüttelt Willy Brandt viele Hände (Foto: dpa)
Jubel für Willy aus dem Westen: Willy Brandt beim Besuch in Erfurt, wo er DDR-Staatschef Willy Stoph trafBild: picture-alliance/dpa

Verträge und Milliardenkredit vom Klassenfeind

1972 wurde der Grundlagenvertrag zwischen den beiden deutschen Staaten unterzeichnet, begleitet von einem "Brief zur deutschen Einheit". Der stellte klar, dass die Bundesrepublik am Ziel der deutschen Einheit festhielt, wie es das Grundgesetz vorgab. Das konservativ regierte Bayern zog gegen den Grundlagenvertrag mit der DDR vor das Bundesverfassungsgericht, weil es das Wiedervereinigungsgebot verletzt sah, doch die Richter lehnten die Klage ab.

Ausgerechnet der bayerische Ministerpräsident Franz-Josef Strauß (CSU), erklärter Erzfeind der sozialistischen DDR, kam ein Jahrzehnt später mit dem östlichen Nachbarn ins Geschäft, als der in einer schweren Finanzkrise steckte. 1983 traf er DDR-Devisenbeschaffer Alexander Schalck-Golodkowski, dann auch Staatschef Erich Honecker. Strauß vermittelte einen Milliardenkredit des Westens für den Osten. Das empörte einige Parteifreunde so sehr, dass sie aus der CSU austraten. Die DDR baute Selbstschussanlagen an der innerdeutschen Grenze ab und stimmte Reiseerleichterungen zwischen beiden deutschen Staaten zu.

Franz-Josef Strauß sitzt 1983 neben Erich Honecker (Foto: Picture alliance/Sven Simon)
Treffen mit dem Klassenfeind - CSU-Chef Franz-Josef Strauß (l.) bei DDR-Staatschef Erich HoneckerBild: picture-alliance/Sven Simon

Zwei deutsche Staaten auf der internationalen Bühne

Der Grundlagenvertrag von 1972 war Basis für viele weitere Schritte: Beide Staaten wurden Mitglied bei den Vereinten Nationen, einigten sich auf ständige Vertretungen und verhandelten bei der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE). Brandts Nachfolger Helmut Schmidt unterzeichnete 1975 ebenso wie der neue DDR-Staatschef Erich Honecker die KSZE-Schlussakte in Helsinki mit dem Bekenntnis zur Unverletzbarkeit der Grenzen und zur Wahrung der Menschenrechte. DDR-Bürgerrechtler beriefen sich später darauf.

Brandt selbst machte eine bittere Erfahrung mit dem ostdeutschen Nachbarn: DDR-Spion Günter Guillaume hatte ihn jahrelang als enger Mitarbeiter ausgespäht, 1974 trat Brandt zurück. SPD-Parteikollege Helmut Schmidt setzte als Regierungschef seinen Kurs fort. Auch Kanzler Schmidt reiste 1981 in die DDR. Diesmal isolierte man den Gast aus dem Westen konsequent, um nicht schon wieder Sprechchöre für den "falschen" Regierungschef hören zu müssen.

Willy Brandt (Mi.) mit Günter Guillaume (Foto: Picture alliance/Sven Simon)
Bittere Erfahrung mit dem DDR-Spion an seiner Seite - Willy Brandt und sein Referent Günter Guillaume (re.)Bild: picture-alliance/Sven Simon

Herbst 1989 - Zeit zum Zusammenwachsen

Als 1982 Helmut Kohl (CDU) Helmut Schmidt ablöste, wurde die Klage über die deutsche Teilung wieder lauter, die innerdeutsche Politik aber behielt ihre Kontinuität. Kohl setzte den noch unter Helmut Schmidt beschlossenen NATO-Nachrüstungsbeschluss um. Die vom Osten angedrohte Eiszeit in den innerdeutschen Beziehungen blieb aus. 1987 empfing Helmut Kohl Erich Honecker als ersten DDR-Staatschef in der Bundesrepublik. Immer wieder zückte die Bundesregierung in Bonn das Scheckbuch, um Mauer-Flüchtlinge und DDR-Dissidenten freizukaufen.

Als die Mauer am 9.11.1989 gefallen war, brach Bundeskanzler Kohl seinen Staatsbesuch in Polen ab und reiste nach Berlin. Bei einer Kundgebung vor dem Schöneberger Rathaus sprach er zu den Berlinern, Seite an Seite mit Alt-Kanzler Willy Brandt. Brandt erinnerte an seine Vorhersage "Berlin wird leben und die Mauer wird fallen." Sichtlich bewegt sagte der Mann, der 1961 erlebt und öffentlich angeprangert hatte, wie die deutsche Teilung zementiert wurde: "Ich bin dem Herrgott dankbar, dass ich es miterleben darf, … dass die Teile Europas wieder zusammenwachsen."

Willy Brandt (Mi.) am Rednerpult zwischen Außenminister Hans-Dietrich Genscher und Kanzler Helmut Kohl (Foto: dpa)
Altkanzler Willy Brandt (Mi.) am 10.11.1989 in BerlinBild: picture-alliance/dpa