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Anklagen gegen inhaftierte Oppositionelle in Weißrussland

Tatjana Proshchenka / (kap)31. März 2006

Nach den Protesten der weißrussischen Opposition hat die Staatsanwaltschaft Anklage gegen den früheren Präsidentschaftskandidaten Alexander Kosulin erhoben. Gegen andere Verhaftete haben die Verfahren bereits begonnen.

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Verhaftete Regierungskritiker wurden am 27. März ins Gericht gebrachtBild: AP

Der inhaftierte Regierungskritiker Konsulin müsse sich wegen eines Aufrufs zur Erstürmung eines Untersuchungsgefängnisses verantworten, teilte ein Justizsprecher am Freitag (31.3.2006) in der Hauptstadt Minsk mit. Dem Herausforderer des autoritären Staatschefs Alexander Lukaschenko drohen nach Angaben der Staatsanwaltschaft bis zu fünf Jahre Haft. Aus den Präsidentschaftswahlen am 19. März war Lukaschenko mit 82 Prozent der Stimmen als Sieger hervorgegangen. Wahlbeobachter halten die Abstimmung für weder fair noch frei.

Anklage wegen Vandalismus

Weißrussland Opposition verhaftet Demonstrant in Minsk
Protest vor der russischen Botschaft in Minsk am 28. MärzBild: AP

Kosulin war am 25. März in Minsk festgenommen worden, nachdem er zuvor auf einer Kundgebung der Opposition dazu aufgerufen hatte, hunderte Regierungsgegner aus einem Untersuchungsgefängnis zu befreien. Daraufhin war die Polizei mit brutaler Gewalt gegen die friedlichen Demonstranten vorgegangen und hatte zahlreiche Regierungsgegner festgenommen. Zudem müsse sich der frühere Rektor der Minsker Staatsuniversität wegen Vandalismus vor Gericht verantworten, teilte die Justiz mit.

Die Protestaktion der Oppositionellen am 25. März in Minsk war dem 88. Jahrestag der Erklärung der Weißrussischen Volksrepublik gewidmet, dem so genannten "Tag des Willens". Doch der Wille der Demonstranten wurde gebrochen - durch massenhafte Verprügelungen und Festnahmen, als die Polizei die Proteste auflöste.

Gewalt im Gefängnis?

Die Angaben über die Zahl der Festgenommenen gehen auseinander. Laut weißrussischer Generalstaatsanwaltschaft wurden insgesamt etwa 500 Menschen verhaftet, darunter 21 Ausländer. Menschenrechtsorganisationen gehen aber von insgesamt 1000 Festnahmen aus. Kosulins Anwalt gab an, sein Mandant sei in der Haft geschlagen worden. Da es den Ärzten verboten wurde, die Demonstranten, die medizinische Hilfe brauchen, zu registrieren, bleibt die Zahl der Verprügelten unbekannt. Die Gefängnisse weigern sich, die Listen der Festgenommenen zu veröffentlichen. Auch die Zahl der inzwischen Freigelassenen ist unklar.

Kontakt zu inhaftierter Frau

Weißrussland Vaclav Havel protestiert in Prag
Tschechiens Ex-Präsident Vaclav Havel wirft einen Protestbrief in der weißrussischen Botschaft in Prag einBild: AP

Es sickern aber Informationen über die unerträglichen Aufenthaltsbedingungen in den Gefängnissen durch. Katja Zhilinskaja hat an den Demonstrationen auf dem Oktoberplatz in Minsk teilgenommen und wurde verhaftet. Ihr gelang es aber, ihr Handy vor den Sicherheitskräften zu verstecken. So konnte sie - aus dem Gefängnis heraus - der Deutschen Welle von ihrer Situation erzählen. "Alle unsere Sachen sind beschlagnahmt worden. Ich habe nicht geschlafen", berichtete sie. "Wir sitzen alle auf dem Boden. Es gibt keine Matratzen, es gibt nichts außer den Eisenbetten. Die Heizung funktioniert kaum. Obwohl wir Mäntel anhaben, frieren wir, besonders an den Beinen."

Am 27. März fanden die ersten Gerichtsverhandlungen statt. Die Anklage lautet meist "Teilnahme an nicht genehmigten Massenaktionen" und "Vandalismus". Inzwischen wurden mindestens 300 Personen von Minsker Gerichten zur Haftstrafen von fünf bis 15 Tagen verurteilt. Mehr als die Hälfte der Verhafteten sind Studenten aus Minsker Hochschulen. Unter den Verhafteten gibt es auch Bürger aus Frankreich, Kanada, Polen, aus der Ukraine und Russland. Alle Gerichtsverhandlungen finden hinter verschlossenen Türen statt.

15 Minuten für ein Verfahren

"Die Gerichte arbeiten wie am Fließband. Es dauert 15 Minuten, bis die Entscheidung getroffen wird", sagt Walentin Stefanovich, der als Rechtsanwalt für das Zentrum für Menschenrechte "Wjasna" arbeitet. "Besonders grausam handelt man gegenüber Frauen und Mädchen, die zehn bis 15 Tage Haft bekommen haben. Weder Augenzeugen noch diejenigen, die die Protokolle zusammengestellt haben, wurden zu den Gerichtsprozessen geladen. Das ist eine direkte Verletzung des Gesetzes."

Die EU hat Weißrussland zur Freilassung aller Regimegegner aufgerufen. Kiew habe sich durch die Verhaftungswelle einen weiteren Schritt von den europäischen Werten und Gesetzen entfernt, erklärte die amtierende Ratspräsidentin und österreichische Außenministerin Ursula Plassnik am Freitag in Brüssel. Sie sei sehr besorgt über Berichte von Misshandlungen in Gefängnissen.

Journalisten freilassen

Nach Angaben des weißrussischen Journalistenverbands waren unter den Inhaftierten auch zwölf Journalisten aus Russland, der Ukraine, Polen, Frankreich, den USA, Kanada und Georgien. Neun von ihnen wurden zu fünf bis 15 Tagen Haft verurteilt. Die internationale Organisation "Reporter ohne Grenzen" hat Weißrussland aufgefordert, alle inhaftierten Journalisten sofort frei zu lassen.

Die britische Botschaft in Minsk kümmert sich um den verhafteten kanadischen Journalisten Frederick Lavoie, denn Kanada unterhält keine eigene Botschaft in Weißrussland. Das Außenministerium Kanadas hat allerdings die weißrussische Regierung für die Sicherheit des Journalisten verantwortlich gemacht.