1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Indischer Aktivist kämpft gegen Korruption

17. August 2011

Der Bürgerrechtler Anna Hazare versucht, mit Hungerstreiks die Korruption in Indien zu bekämpfen. Zehntausende Inder unterstützen ihn dabei und setzen dadurch die Regierung Manmohan Singhs zunehmend unter Druck.

https://p.dw.com/p/RgOG
Bürgerrechtler Anna Hazare im Interview (Foto: AP/Gurinder Osan)
Anna Hazare eint die Menschen in IndienBild: AP

Anna Hazare hatte bereits im April einen 98-stündigen Hungerstreik abgehalten, um durchzusetzen, dass ein neues Anti-Korruptionsgesetz erarbeitet wird. Nach dem nun vorliegenden Gesetzesentwurf sollen Bürger sich mit ihren Vorwürfen an einen Ombudsmann wenden können, allerdings sind der Premierminister und ranghohe Justizvertreter nach dem Willen der Regierung von Ermittlungen ausgenommen.

Dies ging Anna Hazare nicht weit genug. Er kündigte einen unbefristeten Hungerstreik an – notfalls bis zum Tod. Vor dem geplanten Beginn des Hungerstreiks wurde der 74-jährige jedoch von der Polizei festgenommen. Auf öffentlichen Druck hin wollte die Polizei den Aktivisten wieder freilassen. Dieser weigerte sich jedoch, die Polizeistation zu verlassen. Nach zähen Verhandlungen einigten sich Hazare und die Polizei am Donnerstag (18.07.2011) auf einen Kompromiss: Der prominente Bürgerrechtler darf seinen Hungerstreik mindestens über die nächsten 15 Tage auf einem öffentlichen Gelände im Zentrum Neu Delhis abhalten.

Hazares Foto als T-Shirtaufdruck (Foto: AP/Manish Swarup)
Tausende Menschen unterstützen Hazares KampfBild: AP

Stimme des Volkes

So zittert wieder einmal eine Regierung in Indien vor einem einzigen, alten Mann. Wieder einmal ist der Kampf eines Unbeugsamen in eine Massenbewegung umgeschlagen, die zu Protesten auf den Strassen der Hauptstadt Neu Delhi führt und zu erhitzten Debatten im Parlament. Wieder einmal spricht eine Stimme für die Millionen von Inder, die von einem gemeinsamen Übel geplagt werden: der Korruption.

Die Popularität des indischen Bürgerrechtlers Anna Hazare liegt zum Teil in seiner persönlichen Geschichte begründet. Sie ist aber auch auf das Versagen der Regierung zurückzuführen, die nicht nur zu wenig gegen die weitverbreitete Korruption unternimmt, sondern oft selbst mit ranghohen Vertretern der indischen Gesellschaft in Skandale verwickelt ist. Diese Ansicht vertritt der Gründer der Nichtregierungsorganisation Association for Democratic Reforms, Jagdeep Chhokar in Neu Delhi. "Die Menschen sehen Anna Hazare deshalb als ihren Führer an, weil sein Image unangetastet ist", erklärt Chhokar, "Er wird respektiert und verehrt." Das liege auch daran, dass er seit mehr als zwanzig Jahren nicht nur in seinem Heimatdorf, sondern auch in der gesamten Region und im Bundesstaat, aus dem er stammt, wirkt. "Dadurch besitzt er eine moralische Integrität", so Chhokar weiter.

Anna Hazare nimmt an einem Hungerstreik in Neu Delhi teil (Foto:EPA/ANINDITO MUKHERJEE +++(c) dpa - Bildfunk+++)
Hungerstreik: einfache, aber wirksame WaffeBild: picture alliance/dpa

Faszinierende Lebensgeschichte

Kisan Baburao Hazare wurde am 15. Juni 1937 als ältestes von insgesamt sieben Kindern geboren. Als "Anna" - älterer Bruder - wird Hazare aus Respekt bezeichnet. Da Anna Hazares Familie sehr arm war, konnte er nur die siebte Klasse abschließen und musste schon früh arbeiten. Einst ein glühender Patriot, trat der schmächtige, kleine Mann dann Anfang der 1960er Jahre in die Armee ein und wurde im Krieg gegen Pakistan 1965 als Fahrer eingesetzt.

Bei einem Angriff starben alle seine Kameraden, Hazare überlebte als Einziger. Dieses einschneidende Erlebnis ließ in ihm den Entschluss reifen, sein Leben dem Wohl seiner Landsleute zu widmen und er widmete sich zunächst dem Studium der Lehren Gandhis und spirituellen Führern.

In seinem Heimatdorf Ralegaon Siddhi im Bundesstaat Maharashtra, das oft von Dürren heimgesucht wird, begann er seine Arbeit mit einem Projekt zur besseren Konservierung von Wasser. In den folgenden Jahren wurde das Dorf durch seinen unermüdlichen Einsatz zu einer Art Modelldorf. Die Armut wurde entscheidend gemildert, Kastengrenzen verschwammen. Ab 1991 widmete sich Hazare seinen Kampf gegen die Korruption, für den er auch mehrfach ausgezeichnet wurde. Dieser Kampf wurde für den 74-Jährigen seiner Lebensaufgabe.

Ein indischer Polizist einen Raum, in dem Wahlcomputer aufbewahrt werden (Foto: UNI)
Polizisten, Politiker, Journalisten: sie alle gelten in Indien als korruptBild: UNI

Korruption: weit verbreitetes Übel

Derzeit liegt Indien auf Rang 87 von 178 Ländern, die von der Antikorruptionsorganisation Transparency International (TI) untersucht wurden, so Anupama Jha von TI Indien: "Die Korruption ist in Indien inzwischen so weit verbreitet und die Menschen sind einfach so entnervt davon, dass Anna Hazare für sie in dieser schier auswegslosen Situation wie ein Hoffnungsschimmer ist." Deshalb stünden so viele Menschen hinter ihm: "Und wenn es eben nicht Anna Hazare gewesen wäre, dann wäre es jemand anderes gewesen, hinter den sich die Menschen gestellt hätten, weil sie ihrer Regierung inzwischen nicht mehr vertrauen."

Auch Kritik

Und doch regt sich auch Widerstand gegen die Symbolfigur Anna Hazare. Der bewusst unverheiratet gebliebene Anna Hazare mit seinen weißen traditionellen Baumwollkleidern und der Nickelbrille mag zwar äußerlich an Mahatma Gandhi erinnern. Doch seine Kritiker werfen ihm vor, dass er indirekt auch Gewalt unterstütze, indem er zum Beispiel die Todesstrafe für korrupte Beamte und Politiker fordere. Zudem stehe er hindunationalistischen Gruppierungen sehr nahe und erpresse die Regierung mit seinen Hungerstreiks.

Doch der Aktivist Jagdeep Chhokar sieht das anders: "In den letzen 10 bis 15 Jahren scheint es so, als hätten die Politiker für sich entschieden, dass sie niemandem mehr Rechenschaft schuldig sind, wenn sie einmal gewählt wurden. Meine Organisation hat Studien durchgeführt, die besagen, dass gegen mehr als ein Viertel der Abgeordneten im Parlament Strafverfahren laufen." Es sei nun einmal ein großer Widerspruch in Indien, dass straffällig gewordene Menschen zu Gesetzgebern würden.

In einer solchen Notsituation seien Methoden wie Hungerstreiks nur gerechtfertigt, so Jagdeep Chhokar. Die Festnahme Anna Hazares verdeutliche nur die Hilflosigkeit der Regierung und sei ein undemokratischer Akt. Ob in den Medien, auf der Strasse oder in sozialen Netzen: nichts wird in Indien derzeit mehr diskutiert, als die Person Anna Hazare und die Haltung der Regierung, die derzeit so unpopulär ist, wie nie zuvor.

Autorin: Priya Esselborn
Redaktion: Ziphora Robina