1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Faire Anonymität

Günther Birkenstock18. April 2012

Mit anonymen Bewerbungen haben Frauen und Migranten mehr Chancen. Das zeigt eine Studie der Antidiskriminierungsstelle der Bundesregierung. Acht Arbeitgeber haben an dem Pilot-Projekt teilgenommen.

https://p.dw.com/p/14fm5
Symbolbild Schlüssel zum Erfolg
Bild: Fotolia/Aamon

Ein kurzer Blick auf Foto und Angaben der Kandidaten und schon landen viele Bewerbungsmappen auf dem "Abgelehnt"-Stapel. Ein Blick verrät viel. Zum Beispiel Geschlecht, Alter und Nation, und das ruft möglicherweise Vorurteile hervor. An dieser gängigen Praxis scheitern viele: Frauen, Migranten und Menschen mit Behinderungen. Was die Bewerber können, das verrät der erste Blick nicht.

Deshalb sollten Bewerbungen anonym gestaltet sein, zumindest in der ersten Phase, damit die Kandidaten die Chance bekommen, im persönlichen Gespräch zu überzeugen. Diese Position vertritt Christine Lüders, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, nach Abschluss eines Modellprojektes zur Chancengleichheit bei Bewerbungen. Bei den Einrichtungen, die am Projekt teilnahmen, waren 246 Stellen zu besetzen. Die meisten der 8550 Bewerber nutzten ein standardisiertes Formular, in dem nur Angaben zur Qualifikation eingetragen werden konnten. Bei den eingesandten klassischen Bewerbungen wurden die persönlichen Angaben geschwärzt.

Besonders das Foto in Bewerbungsunterlagen lenke häufig von den eigentlichen Fähigkeiten des Bewerbers ab, berichtete Lüders. "Ist die erste Hürde genommen und der Bewerber zum Vorstellungsgespräch eingeladen, kann er besser seine Qualifikation deutlich machen."

Symbolbild Antidiskriminierungspolitik in Deutschland. DW-Grafik: Per Sander 2010_02_18_symbolbild_Antidiskriminierungspolitik.psd
Christine Lüders, Leiterin der AntidiskriminierungsstelleBild: Christine Lüders/AP/DW

Acht Institutionen - Unternehmen, Behörden und Kommunen - hatten sich von November 2010 bis Ende 2011 an dem Versuch beteiligt. Dazu zählten die Deutsche Post, die Deutsche Telekom, das Kosmetikunternehmen L'Oréal, das Bundesfamilienministerium und die Stadtverwaltung Celle.

Eingeschränkte Aussagekraft

Als repräsentativ kann das Projektergebnis nicht bewertet werden. Dafür fehlt der genaue Vergleich, wie viele Kandidaten mit anonymen Bewerbungen erfolgreich waren, die bei einer offenen Bewerbung abgewiesen worden wären. Außerdem zeichneten sich die beteiligten Unternehmen ja ohnehin schon durch eine erhöhte Sensibilisierung in punkto Chancengleichheit aus. Ulf Rinne vom Institut zur Zukunft der Arbeit, das am Anonymitäts-Projekt beteiligt war, wertet im Gespräch mit der DW das Ergebnis dennoch positiv: "Wenn schon bei diesen Unternehmen ein kleiner positiver Effekt zu sehen ist, dann können wir davon ausgehen, dass in einer repräsentativen Studie das Ergebnis noch viel besser gewesen wäre."

Unternehmen profitieren von der Chancengleichheit

Auslöser des Projekts, so Rinne, war eine Studie der Universität Konstanz zur Diskriminierung auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Sie hatte ergeben, dass Bewerber mit türkischem Namen eine um 14 Prozent geringere Chance hatten, zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen zu werden. Ulf Rinne betont, dass anonymisierte Bewerbungen auch den Unternehmen Vorteile brächten. Es gehe ja darum, Fehlentscheidungen zu vermeiden. Nach einer Schätzung der Unternehmensberatung Roland Berger entstehe dadurch jährlich ein volkswirtschaftlicher Schaden in Milliardenhöhe.

Fotolia 29542214 pen_abgelehnt © Stefan Rajewski
Die meisten Entscheidungen fallen in den ersten SekundenBild: Fotolia/Stefan Rajewski

Auch wenn Ulf Rinne das Pilotprojekt als gelungen betrachtet, anonyme Bewerbungen sind für ihn nur Teil einer Gesamtstrategie. Denn Klischees und Vorurteile griffen ja ebenso beim persönlichen Kontakt mit den Bewerbern. Und leider auch dann, wenn langjährig Beschäftigte auf der Karriereleiter nicht weiterkommen, weil man ihnen aufgrund von Alter, Geschlecht oder Nationalität weniger zutraue als anderen.

Vorreiter USA

Anonymisierte Bewerbungen sind in Deutschland noch wenig verbreitet. Längere Zeit gibt es sie nur in den USA, Schweden und Frankreich. Besonders in den USA empfehlen Karriereberater in Bewerbungen so wenig wie möglich Persönliches zu nennen. Angaben über Herkunft, Kinder oder Hobbys lenkten nur ab. In offiziellen Bewerbungen hat sich hier bereits durchgesetzt, auf Fotos zu verzichten.

Vorstellungsgespräch © Kzenon #33340571 - Portfolio ansehen fotolia
Ein persönliches Gespräch ist viel wertBild: Fotolia

Auch wenn die Vorteile auf der Hand liegen, eine gesetzliche Regelung zur anonymen Gestaltung von Bewerbungen soll in Deutschland nicht eingeführt werden. Die Antidiskriminierungsstelle setzt auf Sensibilisierung und die Eigenverantwortung der Unternehmen.

Gemischtes Bild bei den Projekt-Teilnehmern

Die am Projekt beteiligten Unternehmen äußern sich durchaus unterschiedlich. Der Kosmetikhersteller L'Oréal zieht das selbstbewusste Fazit: "Die eingegangenen Bewerbungen und geführten Vorstellungsgespräche haben gezeigt, dass unsere Personalverantwortlichen durch unsere seit Jahren durchgeführten Diversity-Seminare bereits sehr offen und sensibilisiert sind". 40 Prozent weibliche Führungskräfte und Mitarbeiter aus 40 verschiedenen Nationen sprächen für den Erfolg der bisherigen Vorgangsweise. Eine Änderung des Rekrutierungsverfahrens sei daher bei L'Oréal nicht notwendig.

Der Vordruck für eine Anonyme Bewerbung ohne Foto, Name und Alter der Person Foto: Jens Büttner +++(c) dpa - Bildfunk+++
Bewerbung ohne Bild und persönliche AngabenBild: picture-alliance/dpa

Husam Azrak von der Deutschen Telekom sieht den wesentlichen Vorteil des anonymen Verfahrens auf Seiten der Bewerber: "Dadurch trauen sich auch diejenigen, die zwar qualifiziert sind, aber bisher Angst hatten, sich beim großen Konzern Telekom zu bewerben." Für seine Firma sei das anonymisierte Bewerbungsverfahren jedoch eher ein Nachteil: "Und zwar deshalb, weil die Telekom ganz bewusst Wert darauf legt, Vielfalt zu fördern: das heißt mehr Frauen in Führungspositionen, gemischte Teams aus Jung und Alt, Deutschen und Migranten und vieles mehr." Soll heißen: das, was anderswo als Karrierebremse gelte, bedeute bei der Telekom eher einen Vorteil.

Fabrice Schmidt, Geschäftsführer des Geschenkeversands "Mydays" gibt dagegen gerne zu, dass er manche Bewerber nach dem ersten Blick auf das Foto wohl aussortiert hätte. Den größten Vorteil aber sieht er für sein Unternehmen darin, dass die Teilnahme am Projekt noch einmal eine grundsätzliche Diskussion in der Firma angestoßen hat. Somit also eine Überprüfung, ob sie wirklich so offen seien, wie sie glaubten. Vielfalt unter den Mitarbeitern gehöre zum Firmencredo und habe sich als wirtschaftlicher Vorteil herausgestellt.