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"Schritte in die richtige Richtung"

15. März 2012

Nach dem Kompromiss im Namensstreit sind Serbien und Kosovo der EU näher gekommen, doch die Frage der Unabhängigkeit bleibt ungelöst. Wie geht es weiter? Ein Interview mit dem Balkan-Experten Wolfgang Ischinger.

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Wolfgang Ischinger (Foto: Matthias Schrader/AP/dapd)
Bild: dapd

Seit dem 1. März hat Serbien den Status eines EU-Beitrittskandidaten. Als größtes Hindernis auf seinem Weg nach Europa galt der Konflikt mit seiner einstigen Provinz Kosovo. Diese hatte sich 2008 einseitig und gegen den Willen Belgrads als unabhängig erklärt. Serbien hat die Unabhängigkeit Kosovos bis heute nicht anerkannt, wie übrigens auch fünf der 27 EU-Staaten - Spanien, Rumänien, Slowakei, Griechenland und Zypern.

In den vergangenen vier Jahren kam es immer wieder zu gewaltsamen Konflikten zwischen Serben und Albanern in Kosovo. Auch die Soldaten der internationalen Kosovo-Truppe KFOR waren mehrmals in die Auseinandersetzungen hineingezogen. Insbesondere in der Stadt Mitrovica im Norden des Kosovo, wo die Bevölkerung mehrheitlich serbisch ist, und an der kosovarisch-serbischen Grenze kam es zu heftigen Ausschreitungen.

Nach langen Verhandlungen vereinbarten dann Ende Februar Regierungsvertreter aus Serbien und Kosovo, dass die Grenzübergänge gemeinsam und unter EU-Aufsicht kontrolliert werden sollen. Gleichzeitig einigte man sich darüber, dass Kosovo bei allen regionalen Konferenzen künftig unter dem Namen "Kosovo*" auftreten kann. Doch, dass der Konflikt ungelöst bleibt, zeigt auch die Fußnote, mit der der Name versehen ist. Sie verweist unter anderem auf eine Resolution des UN-Sicherheitsrates, in der Kosovo als Teil Serbiens gilt.

Mit der Zustimmung zu dieser Kompromisslösung hat die Belgrader Regierung versucht, einerseits eine Brücke zu der EU zu schlagen, andererseits aber die endgültige Anerkennung der Unabhängigkeit des Kosovo zu umgehen. Die kosovarische Regierung in Pristina hofft ihrerseits auch, durch die gezeigte Kompromissbereitschaft den Prozess der Annäherung an Europa voranzutreiben.

Graffiti "Kosovo Republik" in Pristina (Foto: EPA/VALDRIN XHEMAJ)
Serbien erkennt die Unabhängigkeit des Kosovo nicht anBild: picture-alliance/dpa

Deutsche Welle: Herr Ischinger, wie sehen Sie die neuen Entwicklungen in der Europäischen Union im Hinblick auf Serbiens Kandidatenstatus und der Möglichkeit für das Kosovo, der EU vielleicht später näher zu kommen?

Wolfgang Ischinger: Sicherlich sind das Schritte in die richtige Richtung. Noch schöner wäre es, wenn im Zuge dieser Entwicklungen auch endlich das Problem der Nichtanerkennung des Kosovo durch fünf europäische Mitgliedstaaten gelöst werden könnte. Ich würde mir sehr wünschen, dass bald zumindest der eine oder andere der Fünf einsieht, dass die Zukunft in einer EU-Mitgliedschaft liegt - sowohl für Serbien als auch für Kosovo. Das setzt natürlich voraus, dass alle Mitglieder der Europäischen Union dieses Land auch als Staat anerkennen.

Und für wie realistisch halten Sie die Möglichkeit, dass die fünf EU-Länder, die Kosovo noch nicht als Staat anerkennen, das nun doch in absehbarer Zeit tun?

Ich erwarte jetzt keine Wunder, aber ich glaube, man wird die Frage stellen müssen, welches dieser fünf Länder am ehesten bereit sein könnte, einen Schritt zu machen. Wenn einer damit anfängt, werden die anderen früher oder später dem Beispiel folgen. Das ist jetzt die diplomatische und politische Aufgabe.

Die Fußnote, mit welcher der Name "Kosovo*" versehen ist, hat dort große Aufregung ausgelöst. Sehen Sie das als Problem oder eher als Chance für die Normalisierung der Beziehungen zwischen Belgrad und Pristina?

Ich sehe das eher als eine Chance. Ich erinnere mich an die Zeiten, als man es in der Bundesrepublik Deutschland großartig fand, dass wir immer nur von der "sogenannten DDR" sprachen. Im Rückblick wirkt das lächerlich. Das ist genau so, wie Kosovo "mit Sternchen": In 20 Jahren werden die Leute darüber lächeln. Das ist nur ein Zwischenschritt - aber vielleicht ein notwendiger.

Serbien betrachtet den Kompromiss zwischen Belgrad und Pristina als Symbol dafür, dass das Kosovo immer noch ein Teil Serbiens sei. Im Kosovo wird er dagegen als Chance für die vollständige Anerkennung der Unabhängigkeit gesehen. Gibt es Ihrer Meinung nach irgendeinen Punkt, der für eine Gefährdung der Sicherheitslage im Kosovo sprechen könnte?

Nein. Es ist wichtig, dass die Europäische Union Belgrad gegenüber immer wieder einen zentralen Aspekt deutlich macht: Wir sind uns bewusst, dass eine wachsende Zahl von klugen Serben inzwischen versteht, dass der Anspruch Serbiens auf Kosovo in der heutigen Realität keine Grundlage mehr hat. Und sehr viele Serben, die ich kenne, haben mir gesagt, das sei natürlich eine Sache der Vergangenheit. Nun kann man aber die Vergangenheit nicht auslöschen, und deshalb ist es wichtig, dass Belgrad auch die Zeit bekommt, um sich mit diesem schmerzlichen Vorgang der Trennung zwischen Kosovo und Serbien abzufinden. Aber wir müssen den Serben deutlich machen, dass sie ohne einen Schlussstrich unter das Kapitel "Kosovo muss serbisch bleiben" keine Zukunft in der Europäischen Union haben.

KFOR General Erhard Buehler (R) und Anführer der Serben Borislav Stefanovic (L) an der serbisch-kosovarischen Grenze (Foto: dpa)
Spannungen an der serbisch-kosovarischen GrenzeBild: picture-alliance/dpa

Glauben Sie an die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen zwischen Serbien und der EU in nächster Zeit?

Ich denke, das wird noch einige Zeit dauern, und es wird garantiert keinen Automatismus geben. Jeder weitere Schritt Serbiens in Richtung EU wird von den Fortschritten im Verhältnis zwischen Belgrad und Pristina abhängen. Aus meiner Sicht dürfen wir nicht zulassen, dass Kosovo abgehängt wird. Der Zug muss gemeinsam vorangehen: Wenn Serbien Fortschritte macht, muss das gleichzeitig auch dazu führen, dass Kosovo in seinem Verhältnis zur EU Fortschritte macht.

Der Diplomat und Völkerrechtler Wolfgang Ischinger war der Vertreter der EU bei den Verhandlungen über die Zukunft des Kosovo im Jahr 2007.

Interview: Bahri Cani
Redaktion: Alexandra Scherle/Zoran Arbutina