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Ansturm auf Monatskarten in Hanoi

Monika Hoegen1. April 2005

Ein Augsburger Verkehrsexperte hat das öffentliche Bussystem in Vietnam wieder zum Leben erweckt und das Boom-Land damit von einer typischen Zivilsationskrankheit befreit.

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Trauriger Rekord: Jährlich sterben 12.000 Menschen bei Verkehrsunfällen in VietnamBild: AP

Vietnam, der "kleine Tiger Südostasiens" wie das Land oft genannt wird, boomt. Die wirtschaftliche Öffnungspolitik der kommunistischen Führung zeigt Erfolg. Zahlreiche ausländische Investoren drängen ins Land, insbesondere um die vor Jahren eher verschlafene Hauptstadt Hanoi entstehen jetzt Industrieparks und Gewerbegebiete. Die

Wachstumsraten in Vietnam liegen bei sieben Prozent. Auch vielen Einwohnern geht es wirtschaftlich besser, sie haben Arbeit, ein höheres Einkommen - und die Möglichkeit, vom Fahrrad auf das Moped oder gar auf ein Auto umzusteigen. Und so bringt der Boom auch gleich das nächste Problem mit sich: die chronische Verkehrsüberlastung auf den Straßen Hanois - insbesondere in den engen Gassen der Altstadt.

Spätestens abends gegen 19 Uhr geht in Hanoi gar nichts mehr. Dann kommen auch die für ihre Wendigkeit bekannten Vietnamesen nicht mehr durch und erleben das Gleiche wie schon seit Jahren ihre Leidensgenossen in Bangkok, Jakarta oder anderen asiatischen Megacities - sie stehen im Stau. Hunderte von Mopeds und auch immer mehr Autos versuchen dann umeinander herum zu kommen - an engen Straßenecken und hoffnungslos überfüllten Kreuzungen. Doch da hilft kein Hupen mehr, auch die neuerdings aufgestellten Ampeln können das Chaos kaum bändigen. Viele Mopedfahrer wählen da den Weg über die Bürgersteige, die allerdings auch schnell verstopft sind.

Leere Busse, volle Busse

Keine Frage: Ein Verkehrskonzept für Hanoi muss her. Das haben auch die Stadtväter erkannt - und einen Deutschen engagiert. Walter Molt ist Psychologe und Verkehrsexperte und hat zuvor Verkehrswesen an der Universität in Augsburg unterrichtet. Seit fünfeinhalb Jahren arbeitet er im Auftrag der Hanoier Stadtwerke daran, das einst völlig brachliegende Bussystem wiederzubeleben. Molt erinnert sich noch, wie es um die Busse bestellt war, als er in Vietnam anfing. Keiner wusste, wo die Busse genau fuhren - so dass es auch keinen Sinn machte, auf den Bus zu warten.

In einer Art Selbstversuch harrte Molt in den ersten Monaten trotzdem tapfer an den Bushaltestellen aus und fand weitere Mängel heraus. Dann machte er sich daran, das System von Grund auf zu verändern - mit durchschlagendem Erfolg. Erst führte der Verkehrsfachmann auf einer Linie einen Zehn-Minuten-Takt ein - sofort stieg die Zahl der Fahrgäste von 1700 auf 8000 am Tag. Dann wurden Fahrpläne aufgehängt, Bushäuschen aufgestellt und es wurde ein integriertes Fahrkartensystem eingerichtet - mit einer günstigen Monatskarte zum Preis von umgerechnet vier US-Dollar im Monat - Studenten zahlen die Hälfte.

Moped oder Bus?

Die Folge: Der Ansturm der Bevölkerung auf die neuen Tickets und die Busse, zu denen seit einiger Zeit auch moderne Mercedes-Busse gehören, übertraf selbst Molts eigene Erwartungen. Inzwischen fahren 700 Busse auf 40 Linien durch Hanoi, die insgesamt rund 600 Kilometer bewältigen. Die Zahl der Passagiere ist auf 600.000 pro Tag gestiegen. Bis abends um zehn Uhr sind die Busse noch überfüllt.

Viele Hanoier ziehen den Bus inzwischen einem Privatfahrzeug vor, weiß Molt. "Wenn Sie hier täglich Motorrad fahren, dann wissen Sie, dass es auch keine Freude ist, das es ein ungeheurer Stress ist, es wird immer unangenehmer, mit dem Motorrad unterwegs zu sein. Der Bus ist angenehmer." Selbst eine Art Park-and-Ride-System hat sich schon entwickelt. Mopedfahrer aus den weiter entlegenen Bezirken stellen ihr Gefährt am Stadtrand ab und benutzen dann den Bus.

Busspur und Straßenbahn

Auf eine Million Fahrgäste, so glaubt Molt, könne es sein Bussystem schnell bringen - wenn, ja, wenn es denn genügend Busse gäbe - und genügend Straßenraum. Denn noch müssen sich auch die Busse in Hanoi durch verstopfte Verkehrsadern wühlen. Eine eigene Busspur wäre nach Molts Ansicht die Lösung. Das hat er auch auf einer Studienreise in die kolumbianische Hauptstadt Bogotá festgestellt. "Tatsächlich ist es ja so, und das kann man in Lateinamerika sehr schön studieren, dass die eigene Busspur, obwohl sie Raum von der Straße wegnimmt, insgesamt den Straßenverkehr flüssiger macht."

Einen Sky Train zu bauen, der etwa wie in Bangkok auf einem Stelzen-Schienen-System durch die Stadt führe, das hält Molt für keine gute Lösung. Ein solches System ist zu teuer und verschandelt obendrein die Stadt. Stattdessen will er lieber weiter ins öffentliche Bussystem investieren - rund 150 Millionen US-Dollar wären dazu in den nächsten Jahren nötig. Auch über den Bau einer Straßenbahn wird in Hanoi diskutiert, an der sich Frankreich finanziell beteiligen würde. Doch auch da gibt es Probleme: Schon die Bauphase würde die ganze Stadt lahmlegen. Denn in Hanoi gibt es so gut wie keine Parallelstraßen. Wird eine Straße gesperrt, bricht alles zusammen. Bleibt also wieder nur der Bus.