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Anti-Putin-Punkerinnen angeklagt

30. Juli 2012

Jetzt wird es ernst für Pussy Riot. Die russische Justiz hat drei russische Musikerinnen wegen ihrer bissigen Kritik an Kremlchef Putin und der orthodoxen Kirche vor Gericht gezerrt. Ihnen drohen sieben Jahre Straflager.

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Zwei Mitglieder der Pussy Riot in ihren Glasboxen im Gerichtssaal (Foto: Reuters)
Prozess gegen Punkgruppe Pussy Riot in MoskauBild: Reuters

Die Solidaritätsbekundungen bekannter Musikerkollegen wie Sting, Red Hot Chilli Peppers, Nina Hagen und Franz Ferdinand haben bisher nichts genutzt – drei Mitglieder der russischen Punkrockband Pussy Riot müssen sich von diesem Montag an in Moskau vor Gericht verantworten – wegen Rowdytums und Aufwiegelung zu religiösem Hass. Zum Auftakt des Verfahrens skandierten Unterstützer vor dem Gebäude: "Freiheit für Pussi Riot".

In dem voll besetzten Saal im Bezirksgericht Chamownitscheski verfolgten die drei angeklagten Frauen, eingesperrt in Boxen (siehe Artikelbild), wie Richterin Marina Syrowa den ersten Verhandlungstag eröffnete. Die Anwältin der Angeklagen verlas handschriftliche Erklärungen der Frauen: Der Auftritt sei "ein verzweifelter Versuch" gewesen, um das politische System zu ändern. "Wir haben nicht die Absicht, Menschen zu beleidigen." Der aufsehenerregende Prozess wird vom Justizministerium live im Internet übertragen.

Punk-Band wegen Putin-Kritik vor Gericht

"Gefühle von Gläubigen verletzt"

Seit fast fünf Monaten sitzen die drei Frauen in Untersuchungshaft. Ihr Vergehen: In einer Kathedrale laut für ein Ende der Herrschaft von Kremlchef Wladimir Putin zu beten.

Nadeschda Tolokonnikowa (22) und Maria Aljochina (24) - beide Mütter kleiner Kinder - sowie Jekaterina Samuzewitsch (29) wird vorgeworfen, mit einem Punk-Gebet am 21. Februar in der Erlöserkathedrale in Moskau die Gefühle von Gläubigen grob verletzt zu haben. Die Kirche gilt als das Herz des russisch-orthodoxen Christentums. Bilder zeigen, wie die Frauen im Altarraum mit Strumpfmasken vermummt herumspringen und sich bekreuzigen.

Internet-Clip machte Furore

Für Aufsehen sorgte aber vor allem ein Internet-Video der Aktion, das mit dem Lied "Mutter Gottes, du Jungfrau, vertreibe Putin!" vertont ist. Putin selbst zeigte sich nach seiner Wiederwahl zum Präsidenten öffentlich angewidert von der Protest-Performance. "Ich hoffe, dass sich so etwas nie wiederholt", sagte er am 7. März.

Die Staatsanwaltschaft wirft der Skandalband vor, an den jahrhundertealten Grundfesten der russisch-orthodoxen Kirche gerüttelt zu haben. Sie sieht in den früheren Philosophie- und Journalistikstudentinnen eine Gefahr für die Gesellschaft. Pikantes Detail: Der Prozess geht in dem selben Gerichtsgebäude über die Bühne, in dem der Unternehmer und Putin-Kritiker Michail Chodorkowski 2010 für schuldig befunden wurde, sein eigenes Öl gestohlen zu haben.

"Dieses Verfahren ist politisch"

Dagegen betonen die Verteidiger von Pussy Riot, dass sich die Frauen mit der umstrittenen Aktion auf das Recht der freien Meinungsäußerung berufen. Sie sehen hingegen höchstens eine Ordnungswidrigkeit. "Die Mädchen hatten keine Waffen und haben nichts zerstört, so wie es für eine Anklage wegen Rowdytums eigentlich nötig wäre", kritisiert der Verteidiger Nikolai Polosow. Für ihn ist klar: "Dieses Verfahren ist politisch. Es wird direkt von Putin oder seiner Umgebung gesteuert."

Menschenrechtler sprechen von einem politischen "Schauprozess" und einem beispiellosen Justizskandal. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat die Musikerinnen als politische Gefangene anerkannt. In Russland haben außer den drei Frauen der Band Pussy Riot auch der frühere Ölmanager Michail Chodorkowski sowie sein Ex-Geschäftspartner Platon Lebedew diesen Status. Die Führung in Moskau bestreitet, dass es in Russland politische Gefangene gibt.

Auch der Ölmagnat Michail Chodorkowski bekam die Macht des Kreml zu spüren (Foto: AP)
Auch der Ölmagnat Michail Chodorkowski bekam die Macht des Kreml zu spürenBild: dapd

Seit 1961 bezeichnet Amnesty weltweit Häftlinge, die wegen ihrer politischen Ansichten und Äußerungen verfolgt werden, als "politische Gefangene". Die Menschenrechtsorganisation übernimmt dann zum Beispiel Prozesskosten. Derzeit betreut AI etwa 100 politische Gefangene in rund 25 Ländern, die meisten davon im Iran.

se/kle/sc (dpa, rtr, afp)