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Die AfD und der Antisemitismus

Wolfgang Dick6. Juli 2016

In Baden-Württemberg hat der Streit über antisemitisch eingestellte Mitglieder die AfD-Fraktion gepalten. Sozialwissenschaftler Jan Riebe wirft der AfD vor, sich zu wenig von antisemitischen Strömungen zu distanzieren.

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Frauke Petry spricht in ein Mikrofon (Foto: Getty Images/J. Koch)
Bild: Getty Images/J. Koch

DW: Herr Riebe, Sie haben sich in der Amadeu-Antonio-Stiftung mit der Fragestellung beschäftigt, wie antisemtisch die Partei AfD ist, die Alternative für Deutschland. Wie sieht ihre Bilanz aus ?

Jan Riebe: Die AfD ist keine genuin antisemitische Partei. Das würde bedeuten, dass Antisemitismus die ideologische Klammer wäre, die die Partei zusammen hält, das ist nicht der Fall.

Aber in der AfD sind sehr viele Personen vertreten, die antisemitische Vorstellungen haben, bis hin zu Leuten, die ein antisemitisches Weltbild haben, also glauben, dass Juden für alles Schlechte in der Welt als Strippenzieher verantwortlich sind. Antisemitismus spielt deshalb schon eine wesentliche Rolle bei der AfD.

Welche Belege haben Sie dafür gefunden ?

Man findet immer wieder von AfD-Mitgliedern eindeutige antisemitische Äußerungen im Netz, zum Beispiel auch auf Facebook. Einige Beispiele: Das frühere Vorstandsmitglied des AfD-Kreisverbandes Weserbergland, Gunnar Baumgart, schrieb in einem Artikel, Zyklon B. diente zum Schutze des Lebens. Kein einziger Jude sei damit umgebracht worden.

Dirk Hoffmann aus dem AfD-Vorstand-Sachsen-Anhalt warf den Israelis vor, dass, was sie in den palästinensischen Gebieten machten, dem Holocaust gleiche. Aktuell ist es in der AfD auch beliebt, Juden generell oder Einzelne verantwortlich zu machen für die Migration nach Europa, für Flüchtlinge, die nach Europa kommen. Dies sei der Plan von Juden, heisst es. Es finden sich immer wieder altbekannte antisemitische Stereotypen, die aktualisiert in der AfD auftreten.

Ist die AfD gegen Urheber solcher Äußerungen vorgegangen?

Nicht in allen Fällen gab es Konsequenzen. Gunnar Baumgart kündigte von sich aus an, aus der Partei auszutreten, um Schaden von der Partei abzuwenden. Im Fall der Äußerung von Hoffmann stellte ihn die AfD in Lutherstadt Wittenberg als Oberbürgermeisterkandidat auf, wo er zwar nicht gewann, aber gute Ergebnisse erzielte.

Volker Olenciak, der ebenfalls mit Postings auffiel, die den Israelis Genozid an den Palästinensern vorwarfen, zog als Direktkandidat in den Landtag Sachsen-Anhalts ein. Es zeigt sich, wie die AfD mit Antisemitismus umgeht. In einzelnen Fällen positioniert sie sich, wenn es aus der eigenen Partei kommt, aber sie hält sich immer wieder auch zurück. Eine starke Positionierung gegen Antisemitismus gibt es in der AfD überhaupt nicht.

Was ist mit dem Fall von AfD-Mitglied Wolfgang Gedeon, der in einem Buch den Massenmord an den Juden als "gewisse Schandtat" verharmloste und jetzt nach der Spaltung der AfD-Fraktion im Landtag aus der AfD austreten will?

Wieder fehlt es an einer klaren Haltung in der AfD. Partei-Vizechef Alexander Gauland kritisierte zwar Herrn Gedeon für seine Veröffentlichungen, nimmt aber gleichzeitig Bernd Höcke in Schutz, dessen Äußerungen aber sehr bedenklich sind.

Der bisherige Fraktionschef in Stuttgart und AfD-Bundesvorsitzende Jörg Meuthen streitet sich mit der AfD-Parteivorsitzenden Frauke Petry. Von beiden fehlt eine klare Positionierung gegen Antisemitismus. Fakt ist: Herr Meuthen hat Herrn Gedeon in seiner Fraktion lange geduldet. Nach Informationen der Zeitung FAZ hat Herr Meuthen bereits 2013 gewusst, welche Ansichten Herr Gedeon vertritt. Trotzdem hat er sich nicht gegen ihn gewendet.

Wie sehr ist die AfD von Antisemiten unterwandert ?

Prozentual kann man das nicht genau beziffern. Die Partei tritt generell als Anti-System und Anti-Establishment-Partei auf. Dadurch zieht sie Menschen an, die ein ähnliches Weltbild haben und dadurch auch häufig antisemitische Weltvorstellungen vertreten. Deshalb sind es nicht nur Einzelne, sondern das ist schon eine breitere Strömung.

Wie ist zu bewerten, wenn die AfD versucht, Jüdinnen und Juden für sich zu gewinnen, wie das in Aktionen in Paderborn und anderen Städten geschehen ist?

Das ist kein Beleg dafür, dass die gesamte AfD Juden als gleichberechtigte Mitglieder der Gesellschaft ansieht. Das ist eine strategische Überlegung. Die AfD hat Angst, als antisemitisch wahrgenommen zu werden. Das bedeutet nämlich, als rechtsextrem zu gelten.

In Frankreich ist so Herr Le Pen gescheitert. Einen solchen Fall will man für die AfD verhindern. Gleichzeitig will man Juden gerne als Verbündete gegen den Islam haben und den vermeintlichen muslimischen Antisemitismus.

Das hat man auch im Fall von Gedeon gesehen, der sich auf der einen Seite ganz klar antisemitisch äußert, aber dann im Landtag von Baden-Württemberg sagt, er sei nicht das Problem, das Problem seien die antisemitischen Muslime.

Im übrigen waren die Anwerbeversuche nicht erfolgreich. Das ist auch der jüdischen Gemeinde sehr bewusst, dass dies nur eine Strategie ist. Wer heute gegen Muslime vorgeht, geht morgen womöglich gegen Juden vor. Wenn die AfD ein Kopftuchverbot fordert, fordert sie implizit auch ein Verbot der jüdischen Kippa, weil in Deutschland alle Religionen gleich zu behandeln sind. Das ist ein Verfassungsrecht im deutschen Grundgesetz.

Die AfD-Parteivorsitzende Frauke Petry wollte Israel besuchen, um dort einen Vortrag zu halten. Inwieweit kann das als Zeichen einer Annäherung gewertet werden?

Der Vortrag ist nicht zustande gekommen. Die Veranstalter in Tel Aviv haben sie ausgeladen, nachdem ihnen bewusst geworden ist, wer denn da zu Gast sein soll. Aber auch in Deutschland ist ihre Aktion an der Parteibasis auf viel Kritik gestoßen. Sie sah sich genötigt, zu sagen, dass sie nicht als Parteichefin reist sondern als Privatperson. Es gibt einfach in der Partei keinen Konsens daüber, dass man in Israel als pro-israelische Kraft auftritt. Dazu gibt es einfach zu viele anti-israelisch und antisemitisch eingestellte Personen in der AfD.

Jan Riebe ist Sozialwissenschaftler und arbeitet seit 2008 in der Amadeu-Antonio-Stiftung in Berlin. Er ist Fachreferent im Bereich "Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" und hat sich intensiv mit der Partei AfD und antisemitischen Strömungen beschäftigt.

Das Gespräch führte Wolfgang Dick.