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Anziehendes Europa

30. November 2011

In vielen Ländern sind die Lebensbedingungen kaum erträglich, während in Europa Sicherheit und Wohlstand locken. Doch nur ein winziger Teil der Weltbevölkerung verlässt das Herkunftsland.

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Nordafrikanische Einwanderer auf der italienischen Insel Lampedusa (Foto: dpa)
Nordafrikanische Einwanderer auf der italienischen Insel LampedusaBild: picture-alliance/dpa

Die Geschichte von Burhan und Mariam beginnt unspektakulär. Ein Mann und eine Frau begegnen einander, sie verlieben sich, wollen heiraten und Kinder bekommen. Sie träumen von einer gemeinsamen Zukunft – natürlich in ihrer Heimat, wo ihre Familien und ihre Freunde leben. Doch die Heimat von Burhan und Mariam heißt Somalia.

Seit Anfang der 1990-er Jahre herrscht in Somalia Bürgerkrieg. Eine funktionierende Regierung gibt es nicht, lokale Clans und Islamisten ringen um die Macht. "Es gab dauernd schlimme Kämpfe mit vielen Toten", erzählt Burhan. Eines Nachts plünderten Anhänger der radikalislamischen al-Shabaab das Haus von Mariams Familie. Sie töteten den Vater.

Hauptsache Europa


"Da wollten wir nur noch weg", sagt Burhan. Das Ziel: Europa, egal welches Land. "Wir kannten Europa nur aus dem Fernsehen. Es war für uns gleichbedeutend mit Sicherheit, Wohlstand und einer guten Gesundheitsversorgung." Sie schlugen sich bis nach Libyen durch und bestiegen dort mit 80 anderen Flüchtlingen ein kleines Schlauchboot. Sieben Tage dauerte die gefährliche Überfahrt nach Malta, von dort ging es weiter nach Schweden und schließlich nach Deutschland.

Autobombenanschlag der Al-Schabaab in Somalias Hauptstadt Mogadischu im Oktober (Foto: dpa)
Autobombenanschlag der Al-Schabaab in Somalias Hauptstadt Mogadischu im OktoberBild: picture-alliance/dpa

"Krieg und Gewalt sind eine bedeutende Ursache für Migration", sagt Karl Kopp von der Flüchtlingsorganisation Pro Asyl. "Allerdings steuern die wenigsten Flüchtlinge Europa oder Deutschland an." Mehr als 80 Prozent blieben in der Nachbarschaft ihrer Herkunftsländer.



Nach Schätzungen der Vereinten Nationen leben rund 215 Millionen Menschen nicht in ihren Heimatländern, das sind gut drei Prozent der Weltbevölkerung. Nur 15 Millionen von ihnen sind Flüchtlinge; die meisten entscheiden sich aus wirtschaftlichen Gründen für eine Migration. "Arbeitslosigkeit und Armut im Herkunftsland sind die wichtigsten Abwanderungsgründe", erklärt die Soziologin Susanne Schmid vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. "Zugleich ist die Aussicht auf einen besseren Verdienst im Zielland ein wichtiger Anziehungsfaktor. Ökonomische Gründe sind also sowohl Push- als auch Pullfaktoren." In der Europäischen Union seien derzeit Spanien und Italien die Länder mit der stärksten ökonomischen Sogwirkung, denn dort gebe es Bedarf an unqualifizierten Arbeitskräften.

DW-Grafik: Per Sander

Was kostet die Zuwanderung?


Zu den neueren Abwanderungsgründen gehören auch ökologische Risiken. "Einige Weltregionen werden durch den Klimawandel künftig stärker von Umweltkatastrophen betroffen sein", sagt Susanne Schmid. Europa muss sich also zunehmend auf Klimaflüchtlinge und Umweltmigranten einstellen.

Susanne Schmid vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Foto: BAMF)
Susanne Schmid vom Bundesamt für Migration und FlüchtlingeBild: BaMF

Bei der Auswahl des Ziellandes orientieren sich Auswanderer an Aspekten wie den Kosten der Zuwanderung oder der Wahrscheinlichkeit, eine Arbeitserlaubnis zu erhalten. Zu den wichtigsten Gründen, ein bestimmtes Land anzusteuern, zählen aber die sozialen Netzwerke. "Migranten gehen am liebsten dorthin, wo sie bereits Freunde oder Verwandte haben", sagt Karl Kopp von Pro Asyl. Neben der Sprache spielen deshalb Verbindungen aus der Kolonialzeit, etwa zwischen einigen afrikanischen Ländern und Frankreich oder Belgien, eine entscheidende Rolle.

"Hier leben wir in Sicherheit"

Wenn man Migration politisch beeinflussen wolle, sagt die Soziologin Susanne Schmid, solle man vor allem die Abwanderungsfaktoren in den Blick nehmen: "Wir müssen langfristig die Lebensbedingungen der Menschen in den Herkunftsländern verbessern, etwa durch Bildung und gute Regierungsführung." Schließlich würden die meisten Migranten am liebsten in ihrer Heimat bleiben.


So empfinden es auch Burhan und Mariam. Die beiden sind mittlerweile verheiratet und haben einen kleinen Sohn. Sie haben eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen und dürfen in Deutschland bleiben. "Darüber sind wir froh, denn hier leben wir in Sicherheit", sagt Burhan. "Doch wenn es in unserer Heimat Somalia Frieden gäbe, würden wir zurückkehren."

Infografik Migranten in Europa 2010

Autorin: Monika Dittrich
Redaktion: Dеnnis Stutе