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"Appell an gute Gefühle"

14. Juli 2003

- Interview mit Ungarns Gleichstellungsministerin Katalin Lévai

https://p.dw.com/p/3rHZ

Budapest, 14.7.2003, BUDAPESTER ZEITUNG, deutsch, Gunnar Erth

Die Gleichstellung von Mann und Frau, die Förderung der Roma und mehr Hilfe für Behinderte. Das sind nur einige der Aufgabenbereiche, mit denen sich Katalin Lévai beschäftigt. Erst seit dem 19. Mai im Amt, kann die neue Ministerin bereits erste Erfolge feiern.

Frage:

Was sind die Hauptziele Ihres Ministeriums?

Antwort:

Da würde ich in erster Linie vier Dinge nennen. Im Bereich der Geschlechterbeziehungen planen wir ein umfassendes Gleichstellungsprogramm. Wir wollen das bestehende Netzwerk von Krisenzentren für Frauen erweitern. Wir wollen die Opfer von häuslicher Gewalt stärken - sowohl ihre rechtliche Lage verbessern, als auch ganz konkret die betroffenen Frauen wieder aufbauen. Als zweiten großen Pfeiler wollen wir die Gettoisierung einiger Regionen stoppen. Viele Dörfer, vor allem in Nordungarn, aber auch um Südwesten, partizipieren nicht an der Entwicklung der Infrastruktur des Landes - im Gegenteil. Wir wollen für die Menschen dort bessere Ausbildungs- und Bildungsmöglichkeiten schaffen. Damit wollen wir die Landflucht und Verödung der Mikroregionen stoppen.

Frage:

Und die anderen beiden großen Aufgabengebiete?

Antwort:

Die Hilfe für Behinderte ist eine weitere große Aufgabe. Wir wollen 100 Millionen Forint (ca. 384 0000 Euro – MD) in die Verbesserung der Infrastruktur für Behinderte stecken. Zu guter Letzt wollen wir auch das öffentliche Bewusstsein stärken, wollen mehr Toleranz und weniger Diskriminierung. Dies soll unter anderem durch Veranstaltungen, das Fernsehen oder Ausstellungen geschehen.

Frage:

Ihre Ernennung zur Ministerin kam unerwartet. Auch für Sie?

Antwort:

Ja. Diese Möglichkeit kam ganz plötzlich. Der Kabinettchef des Premiers rief mich eines Tages an, kurz darauf gab es ein Treffen mit Péter Medgyessy selbst. Ich hatte zehn Tage Zeit für meine Entscheidung.

Frage:

Jetzt sind Sie seit sieben Wochen im Amt. Wie läuft es denn bisher?

Antwort:

Es ist mehr Arbeit, als ich dachte - wir müssen ja ein komplettes Ministerium aufbauen. Ich arbeite täglich zwölf Stunden und auch an Wochenenden muss ich zu vielen Terminen. Ich hatte schon in meiner alten Stelle im Arbeitsministerium viel zu tun - aber nicht so viel wie jetzt. Ich hoffe, dass die Arbeit bald ein normales Maß annimmt, sobald das Ministerium etabliert ist. Früher war ich im Arbeitsministerium vor allem für Fragen der Gleichstellung von Männern und Frauen beschäftigt. Das ist jetzt nur noch eine von vielen Aufgaben.

Frage:

Wie sieht der Aufbau Ihres Ministeriums aus?

Antwort

: Verglichen mit den meisten anderen Ministerien, die etwa 200 Mitarbeiter haben, sind wir klein. Wir werden bei voller Stärke etwa 80 Mitarbeiter haben. László Teleki, der Staatssekretär für Roma-Fragen, saß bisher im Kanzleramt und ist jetzt bei uns. Auch das so genannte Zivilprogramm für Vereine und Organisationen ist uns angeschlossen worden.

Frage:

Was ist das für ein Programm?

Antwort:

Das Programm verwaltet den Zivilfonds, der Ende Juni im Parlament verabschiedet wurde. In Ungarn kann jeder Bürger ein Prozent seiner Einkommensteuer Kirchen oder gemeinnützigen Organisationen spenden. Für jeden Forint legt der Staat einen Forint drauf. Dieses Geld wird im Zivilfonds verwaltet, es handelt sich dabei um mindestens sechs Milliarden Forint. Eine sehr gute Einrichtung, wie ich finde.

Frage:

Was haben Sie ansonsten bisher inhaltlich erreicht?

Antwort:

Ich war erst eine Woche im Amt, als ich bereits den ersten Gesetzesvorschlag einreichen konnte, der auch bereits angenommen wurde - das schaffen die wenigsten Minister. Es geht dabei um eine bessere Integration von Roma-Kindern im Grundschulunterricht. Oft haben diese ein Sprachproblem und werden in Sonderschulen abgeschoben. Jetzt sollen die Gremien, die über diese Fälle entscheiden, besser zusammen gesetzt werden. Auf jeden Fall werden dort Roma-Vertreter dabei sein, denn es kann nicht das Ziel sein, dass die dominierende Kultur die Minderheiten erdrückt.

Frage:

Müsste man bei diesen Sprachproblemen früher ansetzen?

Antwort:

Ja, es gibt Vorbereitungsklassen für Roma-Kinder. Wir wollen diese Einrichtung auch stärken. Leider fehlt es aber gerade in vielen kleineren Orten auf dem Land an solchen Klassen. Was ich sonst erreicht habe? Ein Zeichensprachenübersetzer für das ungarische Fernsehen gehört dazu, ebenso wie ein Anti-Diskriminierungsprogramm für das Gesundheitswesen, das ich mit dem Gesundheitsministerium angeregt habe. Ich arbeite bei diesen Dingen oft mit anderen Ministerien zusammen - ich bin quasi ein Katalysator für viele Ministerien.

Frage:

Wie sehen Sie die EU-Forderungen nach einer stärkeren Roma-Integration? Was muss auf diesem Gebiet noch getan werden?

Antwort:

Auf dem Gebiet der Beschäftigung und Bildung müssen wir sehr schnell Programme starten. Die Benachteiligung der Roma-Kinder beginnt nicht in der ersten Schulklasse, sondern bereits im Kindergarten. Gemeinsam mit dem Informatikministerium haben wir ein Nachhilfeprogramm gestartet, mit dessen Hilfe die Kinder das Internet kennen lernen, auf spielerische Art und Weise.

Frage:

Wie sehen Sie die Gleichberechtigung von Frauen im Arbeitsalltag? Was muss getan werden?

Antwort:

Junge Mütter und Frauen über 40 sind in einer besonders schweren Situation auf dem Arbeitsmarkt. Im Rahmen des Phare-Programms der EU wurden Beschäftigungs- und Weiterbildungsmaßnahmen für sie in Ungarn gestartet. Wenn wir in der EU sind und sich die Strukturfonds für uns öffnen, dann können wir diese Projekte mit deutlich mehr Geld ausstatten.

Frage:

Gleichstellung geht nicht allein mit Gesetzen. Ist Ungarns Gesellschaft bereit dazu?

Antwort:

Ungarn hat sicher nicht eine Gesellschaft wie die skandinavischen Länder, in denen diese Traditionen stärker verwurzelt sind. Wir müssen in Ungarn an die guten Gefühle im Menschen appellieren, ich bin sicher, dass diese existieren.

Frage:

Erschwert die vom Sozialismus geprägte Gesellschaft diese Reformen?

Antwort:

Sie macht sie nicht einfacher. Toleranz und Freiheitsgefühl wurden im Sozialismus nicht unbedingt gefördert.

Frage:

Wie viele Jahre werden vergehen, bis wir eine Gesellschaft haben, in der Gleichberechtigung an der Tagesordnung ist?

Antwort:

Ich bin sicher, dass es noch einige Jahre dauert, bis die Vorurteile beseitigt sind und eine tolerantere und solidarischere Öffentlichkeit entsteht.

Frage:

Sie sind parteilos. Ist dies ein Nachteil gegenüber den anderen Ministern?

Antwort:

Bislang war dies eher ein Vorteil. Jeder versteht, dass ich die Fachpolitik repräsentiere und jeden als Partner ansehe, der sich des Themas Gleichberechtigung annimmt. Ich stelle diese Aufgabe über die Parteipolitik. (...) (fp)