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Wo sind die Frauen in der digitalen Entwicklung?

Helle Jeppesen
7. März 2017

Vom Smartphone übers Internet zum PC: Frauen wie Männer arbeiten im Alltag mit digitalen Technologien - im Job wie zu Hause. Doch hinter der Entwicklung der Technologien stecken meist Männer. Wieso eigentlich?

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Symbolbild Netzwerkkabel
Bild: picture-alliance/dpa

Ein Hilfenotruf für Schlaganfall-Patienten, eingearbeitet in einer Strickjacke; ein Handyprogramm für Schwangere in Indien, die auf dem Land keinen Zugang zu Ärzten haben: Diese IT-Lösungen hat das Team um Gesche Joost entwickelt, die das "Design Research Lab" an der Universität der Künste Berlin leitet. 70 Prozent ihres Teams sind Frauen - eine Seltenheit in der IT-Branche.

Frauen sind in der Branche Mangelware, obwohl die Wirtschaft händeringend qualifizierte IT-Leute sucht. Insbesondere Deutschland hinke da weit hinterher, sagt Joost und weist auf den geringen Frauenanteil bei den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) hin. In anderen Ländern seien Frauen den Fächern gegenüber aufgeschlossener, so Joost im DW-Gespräch.

Symbolbild Indien Frauen in der IT-Branche
In Indien drängen viele topausgebildete Frauen in die IT-Branche, schwärmt JoostBild: Picture-Alliance/AP Photo/A. Rahi

"Gerade aus Indien bekommen wir viele Ingenieurinnen, die hervorragend ausgebildet sind, die auch ganz andere Karrierevorstellungen haben und die wirklich was bewegen wollen", sagt Joost. Auch Kolleginnen aus China und den osteuropäischen Ländern seien stark. "Da bekommen wir auch viele neue Kolleginnen und Kollegen, die wirklich toll ausgebildet sind und die positive Rollenbilder im Kopf haben und sagen 'Natürlich mache ich als Ingenieurin Karriere' - und das ist auch genau richtig!"

Stephanie macht als Steve Karriere

Karriere machen in der IT-Branche - etwa wie Stephanie Shirley, die mit Software zur Multimillionärin wurde. Shirley war fünf, als sie 1939 als unbegleitetes, minderjähriges Flüchtlingskind mit einem jüdischen Kindertransport nach England kam. Sie gründete ihre eigene Firma bereits 1962 - zu einer Zeit, in der die Programmentwicklung noch in den Anfängen steckte.

Die Firmengründung hatte, wie sie auch in ihrer Biographie "Let IT Go" schreibt, vor allem damit zu tun, dass sie als Frau keine Karrierechancen bei ihrem damaligen Arbeitgeber bekam.

"Damals durften Frauen nicht an der Börse arbeiten oder einen Bus fahren. Ich konnte ohne die Erlaubnis meines Mannes nicht einmal ein Bankkonto für die Firma eröffnen", erinnerte sie sich im April 2016 in einem Vortrag bei der Deutschen Bank in London.

Anfangs ignorierten die Unternehmen ihre Angebote  - bis ihr Mann Derek vorschlug, dass sie ihre Geschäftsbriefe mit ihrem Kosenamen "Steve" statt mit Stephanie unterschreiben sollte.

 

"Dann war ich durch die Tür und habe Hände geschüttelt, bevor jemand begriffen hatte, dass Steve eine Frau war", so Shirley.

Stephanie Shirley
Pionierin und Frauenvorkämpferin in der IT-Branche: Dame Stephanie ShirleyBild: CC-BY-Lynn Hart 4.0

Über die Jahre wurde Shirleys Software-Firma "Freelance Programmers" eine der erfolgreichsten britischen Unternehmen. Shirley baute auf eine ungewöhnliche Firmenpolitik: Die Beschäftigten arbeiteten alle in Heimarbeit auf Honorarbasis.

Bis 1976, als das Gleichstellungsgesetz in Großbritannien in Kraft trat, waren so gut wie alle Beschäftigten Frauen.

Viele von ihnen waren hoch qualifiziert, doch ohne Chancen auf dem traditionellen Arbeitsmarkt, weil sie spätestens mit dem ersten Kind zu Hause bleiben mussten. Für sie entstanden mit Shirleys Firmenphilosophie Karrierechancen und Berufsmöglichkeiten in der neu entstehenden IT-Branche. Mitte der 1980er Jahre hatte ihr Unternehmen etwa 1000 Mitarbeiter.

"Wir waren Vorreiter, wenn es darum ging, Frauen nach einer Berufsunterbrechung wieder zu beschäftigen. Wir entwickelten viele neue Arbeitsmodelle - flexible Arbeitszeiten, mobiles Arbeiten, Jobsharing und Mitarbeiterbeteiligung", erzählt die heute 83-Jährige, die für ihre Innovationen und Leistungen 1980 den britischen Verdienstorden Order of the British Empire erhielt und 2001 zur Dame geadelt wurde.

1993 zog sie sich aus der aktiven Beteiligung an der Firma zurück, die  2007 unter dem neuen Namen Xansa  für 472 Millionen britische Pfund (550 Millionen Euro) an die französische Steria-Gruppe verkauft wurde.

Bis zu einer Million Stellen unbesetzt?

Karriere machen in der IT-Branche - die EU-Kommission schätzt, dass bis 2020 bis zu einer Million Stellen in Europa unbesetzt bleiben werden, weil es an IT-Fachpersonal mangelt. Da der Bedarf an Fachpersonal noch steigen wird, wäre es sinnvoll, mehr Frauen im IT-Bereich auszubilden. Doch besonders in Deutschland sei die Hemmschwelle für Frauen groß, so Professorin Gesche Joost.

28.10.2015 DW Made in Germany Joost
Joost will mehr Frauen in die IT-Branche bringen und auch Mädchen früh fürs Programmieren begeistern

"Es ist ganz zentral, dass wir so früh wie es nur geht anfangen, mit der digitalen Welt umzugehen, sie zu entdecken und auch ein bisschen zu entschlüsseln", sagt Joost, die auch als Deutschlands Internetbotschafterin fungiert.

Sie hat dazu einen Mini-Computer für Grundschulkinder mitentwickelt, um die Kinder mit Technologien vertraut zu machen. "Wir sehen ja heute, dass Kinder und Jugendliche sowieso mit digitalen Technologien umgehen, aber bisher eigentlich unbegleitet." Der Calliope Mini vermittelt spielerisch die Grundlagen des Programmierens für Grundschüler in der dritten Klasse.

Spielerisch Programmieren lernen

Die Kinder seien begeistert, so Joost. Sie lernen durch die kleine Platine die Grundlagen des Programmierens und verstehen dadurch, wie ein Computer funktioniert. In dem Alter, so Joost, gebe es noch keine Vorbehalte - weder bei Jungs noch bei Mädchen. Ab einem Alter von 11 bis 12 seien die Mädchen eher befangen, so Joost, und haben das fatale Credo "Technik ist nichts für Mädchen" bereits verinnerlicht.

Calliope mini für Grundschulkinder
Mit Calliope Mini lernen Grundschüler spielend programmierenBild: calliope

"Wenn wir früher anfangen, ab der dritten Klasse, haben sie einen ganz spielerischen und kreativen Umgang, genau wie die Jungs", erzählt Joost und betont, das dieser früher Umgang mit den Grundlagen der Informationstechnologie auch für die spätere Technologie-Nutzung entscheidend sei.

Die gemeinnützige Firma Calliope will die Computer kostenlos an Grundschulkinder in Deutschland verteilen. Das Projekt wurde mit dem Wolfgang-Heilmann-Preis für humane Nutzung der Informationstechnologie ausgezeichnet.

„Es ist uns ganz wichtig, Kindern und Jugendlichen zu zeigen, dass sie das Internet und die digitale Welt selbst gestalten können und selbst programmieren können. Und nicht nur konsumieren, was eben auf Youtube und anderen Kanälen so herumfliegt."