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Arbeitsmigranten aus Osteuropa

30. Juni 2009

Die Osterweiterung der Europäischen Union liegt zwar schon ein paar Jahre zurück. Doch die Bürger aus den neuen EU-Mitgliedsländern haben nach wie vor weniger Rechte als die Bürger der alten Länder.

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Erntehelfer aus Polen in Gierstaedt bei Erfurt mit einem Korb voller Plaumen (Foto: AP)
Erntehelfer aus PolenBild: AP

Prinzipiell darf jeder EU-Bürger in einem anderen EU-Land arbeiten, doch angesichts des hohen Einkommensgefälles zwischen den Mitgliedstaaten gelten für die Länder Mittel- und Osteuropas Übergangsfristen. Bis zu sieben Jahre kann die Freizügigkeit ausgesetzt werden. Neben Österreich macht auch Deutschland von diesem Recht ausgiebig Gebrauch, sein Arbeitsmarkt bleibt für Osteuropäer weiter abgeschottet. Wirtschaftsexperten halten das für einen Fehler.

Bundesarbeitsminister lobt sich selbst

Arbeitsminister Olaf Scholz im Porträt (Foto: dpa)
Arbeitsminister Olaf Scholz: Problem der qualifizierten ZuwanderungBild: picture-alliance / dpa

Olaf Scholz kann die Kritik nicht verstehen. Der Bundesarbeitsminister findet seine Arbeitsmarktpolitik richtig gut. Zwar hat Scholz im Frühjahr beschlossen, dass aus den mittel- und osteuropäischen EU-Mitgliedsländern weiterhin niemand ohne Einschränkungen in Deutschland arbeiten kann. Doch er betont: "Deutschland hat seit dem 1. Januar dieses Jahres den offensten Arbeitsmarkt für akademisch Qualifizierte auf der ganzen Welt. Wir haben sichergestellt, dass alle akademisch Qualifizierten aus allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union, auch aus den neuen Beitrittsländern, ohne Einschränkung an der Freizügigkeit teilnehmen können."

Neue Freizügigkeit

Seit sechs Monaten gilt die neue Freizügigkeit für Hochqualifizierte auf dem deutschen Arbeitsmarkt, gebracht hat sie bislang aber nicht viel. Das liegt zum einen daran, dass die Beschlüsse der Bundesregierung im In- und Ausland bislang wenig bekannt sind.

Zum anderen, so sagt der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Klaus Zimmermann, liege es daran, dass Deutschland ein Imageproblem habe. Ausländische Fachkräfte fühlten sich in Deutschland wegen der grundsätzlich nach wie vor restriktiven Arbeitsmarktpolitik schlicht und ergreifend nicht erwünscht.

Deutschlands Image leidet

"Wir haben das in den letzten Wochen ja beobachtet", sagt der DIW-Experte, "als zum 1. April fünf Jahre Osterweiterung gefeiert wurde, da kam aus Brüssel die massive Kritik, Deutschland und Österreich sollten sich doch nun endlich mal öffnen. Und wir haben gesagt, nein, wir bleiben dabei." Und das sei das Bild, das Deutschlands Image europaweit geprägt habe. "Das ist auf jeden Fall ein Problem", fügt Zimmermann hinzu.

Angesichts des absehbaren Fachkräftemangels, so Zimmermann, müsse die Botschaft eigentlich lauten, dass Deutschland ein Zuwanderungsland sein will. Dafür aber müssten alle Beschränkungen fallen. Das DIW hat in einer Studie herausgefunden, dass Länder wie Großbritannien und Irland, die ihre Arbeitsmärkte früh geöffnet haben, von der Zuwanderung durchaus profitiert haben. Es kamen vor allem Arbeitskräfte, die auf den lokalen Arbeitsmärkten gebraucht wurden.

Kaum Arbeitsplätze für weniger Qualifizierte

Ein Mann sammelt in einem Biergarten in München benutztes Geschirr und Bierkrüge ein (Foto: AP)
Biergarten in München: Benutztes Geschirr und Bierkrüge werden eingesammelt - ein Niedriglohn-Job in der GastronomieBild: AP

Auch Deutschland hatte in den Jahren zwischen 2004 und 2006 eine erhebliche höhere Zuwanderung aus Osteuropa als in den Jahren zuvor. Doch die erwies sich für den Arbeitsmarkt als unbrauchbar. Denn diese Zuwanderer seien vergleichsweise älter und weniger ausgebildet. Die Folge: Für diese Menschen kämen nur gering qualifizierte, schlechter bezahlte Jobs infrage. Und deshalb sei ihr Nettoeinkommen das niedrigste unter allen Immigrantengruppen, außer denen der Nicht-EU-Zuwanderer. Und sie seien zu 24 Prozent weniger beschäftigt als Einheimische.

Die meisten dieser EU-Migranten kommen aus Polen und den baltischen Staaten. "Sie kommen - ob wir das verhindern wollen oder nicht", sagt Zimmermann. Die DIW-Studie hat zwar ergeben, dass diese Migranten keine deutschen Arbeitnehmer auf dem deutschen Arbeitsmarkt verdrängen konnten. Die Lage nichtdeutscher Arbeitnehmer haben sie jedoch verschlechtert.

Reizthema Jugendarbeitslosigkeit

Doch das genau ist ein Punkt, der Bundesarbeitsminister Scholz Kopfzerbrechen bereitet. Denn in Deutschland gibt es vor allem unter den jungen Menschen mit Migrationshintergrund schon jetzt viele, die aufgrund einer geringen Qualifikation von Arbeitslosigkeit bedroht sind.

Auszubildende im 1. Lehrjahr im Grundlehrgang für Kfz-Mechatroniker im Zentrum für Gewerbeförderung in Götz bei Brandenburg/Havel (Foto:Nestor Bachmann ZB)
Nicht nur für viele Jugendliche mit Migrationshintergrund ist es schwer, eine Lehrstelle zu finden: Grundlehrgang für Kfz-MechatronikerBild: ZB - Fotoreport

Scholz zählt die traurigen Fakten auf: Von den 20 bis 29-jährigen in Deutschland hätten 1,5 Millionen keinen Berufsabschluss. Von denen, die langzeitarbeitslos sind, habe die Hälfte keinen Berufsabschluss, 500.000 nicht einmal einen Schulabschluss. Von denjenigen, die mit einem Hauptschulabschluss die Schule verlassen, brauche die Hälfte der Jugendlichen zweieinhalb Jahre, bis sie eine ungeförderte Ausbildung fänden.

"Das durchschnittliche Eintrittsalter in eine Berufsausbildung ist in Deutschland 19,3 Jahre", so der Bundesarbeitsminister. Und bevor der deutsche Arbeitsmarkt für EU-Migranten uneingeschränkt geöffnet werden könne, müssten zunächst diese Probleme gelöst werden.

Deutsches Abitur als Eintrittskarte

Daher lehnt Scholz auch die Forderung der Wirtschaft strikt ab, sich schon jetzt in den neuen EU-Beitrittsländern nach potenziellen Auszubildenden und Fachkräftenachwuchs umschauen zu dürfen. Erst wenn hierzulande die Engpässe bei den Lehrstellen behoben seien, könne über weiere Zuwanderung diskutiert werden.

Bis 2011 hat der Bundesarbeitsminister noch Zeit, die Masse der gering Qualifizierten in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Dann fallen die Beschränkungen für Arbeitssuchende aus den neuen EU-Ländern auch in Deutschland. Scholz hat auch schon eine Idee. Was, so fragt er, spreche dagegen, das Erreichen des deutschen Abiturs an eine uneingeschränkte Aufenthaltserlaubnis hierzulande zu knüpfen. Vielleicht würde das so manchen in Deutschland lebenden Jugendlichen mit Migrationshintergrund bewegen, sich in der Schule mehr anzustrengen.

Autorin: Sabine Kinkartz

Redaktion: Klaus Ulrich