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Argentinien vor dem freien Fall

20. Dezember 2001

Schwere Ausschreitungen und Plünderungen, Verhängung des Notstandes, Regierungsrücktritt - aus der Wirtschaftskrise in Argentinien ist eine Staatskrise geworden.

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Straßenschlachten in Buenos AiresBild: AP

Nach blutigen Protesten gegen die staatliche Sparpolitik hat der argentinische Wirtschaftsminister Domingo Cavallo offenbar seinen Rücktritt eingereicht. Er habe Präsident Fernando de la Rua um seine Entlassung gebeten, berichteten argentinischen Medien. Mit dem Rücktritt des
gesamten Kabinetts von Regierungschef Chrystian Colombo werde gerechnet, berichtete der Fernsehsender TN. Am Abend zuvor hatte De la Rua den Ausnahmezustand verhängt.

Nach Angaben der Behörden wurden 350 Menschen bei gewalttätigen Ausschreitungen festgenommen. Mehr als hundert seien bei den Plünderungen von Supermärkten im ganzen Land verletzt worden. Nach Verhängung des landesweiten Ausnahmezustandes gingen allein in der
Hauptstadt Buenos Aires zehntausende Menschen aus Protest auf die Straße.

Die gewalttätigen Proteste der Bevölkerung richten sich gegen die rigide Sparpolitik der Regierung. Argentinien befindet sich seit 43 Monaten in einer schweren Rezession und steht kurz vor dem Staatsbankrott.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat die argentinische Wirtschaftspolitik scharf kritisiert. Das südamerikanische Land muss sich zwischen Geldabwertung und rigorosen Einsparungen entscheiden. Der IWF hatte zu Monatsbeginn bereits einen Kredit von 1,3 Milliarden Dollar zurückgehalten, weil Argentinien das vereinbarte Haushaltsziel nicht erreicht hatte. Der argentinische Finanzminister Guillermo Mondino sagte in Uruguay, Buenos Aires sei auf das Geld zur Schuldentilgung dringend angewiesen.

Nach einer mittlerweile vier Jahre währenden Rezession leidet das Land unter starker Deflation, hoher Arbeitslosigkeit und einem Abfall der Industrieproduktion innerhalb eines Jahres um elf Prozent. Die Schulden Argentiniens belaufen sich auf 132 Milliarden Dollar. Wirtschaftsminister Domingo Cavallo kündigte am Montag (20. Dezember) an, die öffentlichen Ausgaben für das kommende Jahr von 49 auf 39,6 Milliarden Peso zu kürzen. Derzeit entspricht ein Peso einem Dollar.

Uneinigkeit über den rechten Weg

Diese feste Kopplung des Peso an den Dollar ist unter Experten und im Land selbst umstritten. Dieser von Cavallo 1991 eingeleitete Schritt hatte zunächst Geldwertstabilität und Wirtschaftswachstum gebracht. In den vergangenen Jahren wurden jedoch die Exporte Argentiniens durch den immer stärker werdenden Dollar zu teuer. Die argentinische Regierung schlägt dem Parlament nun für das kommende einen gegenüber 2001 um fast ein Fünftel verringerten Haushalt vor.

Eine straffe Haushaltspolitik gilt als Voraussetzung für weitere Hilfen des IWF und anderer Finanzorganisationen, mit denen Argentinien die Schuldenkrise überwinden will. Sollten die jetzt gesperrten 1,3 Milliarden Dollar ausbleiben, kann das Land bereits in diesem Jahr seine öffentlichen Schulden nicht mehr begleichen.

Gläubiger zahlen die Zeche

Mit immer neuen Einzelmaßnahmen versucht die Regierung, dem Defizit in Teilbereichen mit einschneidenden Sparmaßnahmen zu begegnen. Dazu gehören unter anderem das Aufheben von Steuerersparnissen für Unternehmen und eine 13-prozentige Kürzung der Bezüge von Beamten. Hauptposten der Sparmaßnahmen ist jedoch eine Umschuldung bei den internationalen Gläubigern der Staatsanleihen. Diese boten in der Vergangenheit äußerst hohe Zinsen. Um die Zinszahlungen zu reduzieren, hat die Regierung einen umfangreichen Schuldentausch eingeleitet, wobei ab Januar 2002 neue und geringer verzinste, aber mit besseren Rückzahlungsgarantien versehene Staatsanleihen gegen alte Hochzinsanleihen getauscht werden sollen. Ein entsprechendes Angebot an die Gläubiger wird derzeit erarbeitet. (dk/ks)