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Argentiniens Urbevölkerung will ihr Land zurück

19. November 2010

Argentinien gilt als das europäischste der lateinamerikanischen Länder, doch leben dort auch mindestens 600.000 Ureinwohner. Die indigene Bevölkerung, die sich zurück auf ihre Wurzeln besinnt, stellt jetzt Forderungen.

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Yolanda Lamas (Foto: DW)
Yolanda LamasBild: DW

Die Humahuaca-Schlucht in der argentinischen Provinz Jujuy, rund 1700 Kilometer nördlich von Buenos Aires. Yolanda Lamas geht langsam einen steinigen Weg entlang. Er führt von der Landstraße, wo sie aus dem Bus gestiegen ist, zu ihrer Indio-Gemeinschaft "Hornaditas". "Siebzig Familien leben ständig in 'Hornaditas'. Hundert weitere Familien sind in die Städte gezogen, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen", erzählt die 30-Jährige. Yolanda gehört zum Volk der "Omaguaca", einem von 32 Urvölkern in Argentinien, wo 1,6 Prozent der Bevölkerung sich als indigen definiert. Jujuy ist die Provinz mit dem größten Ureinwohner-Anteil: ein Zehntel der Haushalte hat indigene Mitglieder.

Indigene fordern Kollektivbesitz

Humahuaca-Schlucht (Foto: DW)
Die Humahuaca-Schlucht, in der sich zahlreiche indigene Gemeinschaften befindenBild: DW

Nach einem halbstündigen Fußmarsch bleibt Yolanda Lamas, die gegen die brennende Sonne einen Hut auf dem schulterlangen, schwarzen Haar trägt, vor einer winzigen Kirche stehen. Außer ihr ist kein Mensch ist zu sehen. Die Leute bewirtschaften das Land, sagt Yolanda, und zeigt in die Ferne, wo am Fuß der Berge lehmverputzte Häuschen zu erkennen sind. "Wenn es Zeit ist zu säen, versammeln sich die Familien traditionell zur 'Minga'. Gemeinsam werden Kartoffeln ausgesät. Zum Schluss erweisen wir mit einer Zeremonie der 'Pachamama' die Ehre", erklärt die junge Frau ein indigenes Gemeinschaftsritual.

"Pachamama" ist Mutter Erde und wird von den Ureinwohnern der Andenregion als Gottheit verehrt. Weil das gemeinsame Leben und Arbeiten für sie wichtig ist, fordern die meisten argentinischen Ureinwohner den Kollektivbesitz ihres Landes. Yolanda Lamas: "Unser Dorf 'Hornaditas' fordert dringend, dass der Staat dieses Land als unser Gemeinschaftseigentum anerkennt. Wir glauben, dass 'Pacha', die Erde, allen gehört." Bislang verfügt die Gemeinschaft über keinerlei Besitztitel für ihr Land. Das Stück Erde, das sie seit vielen Generationen bewohnt, gehört ihr offiziell nicht.

Ureinwohner leugneten Identität

Alejandra Castro (Foto: DW)
Alejandra CastroBild: DW

Der argentinische Staat, dessen Unabhängigkeit 1810 eingeleitet wurde, betrachtete die Ureinwohner auf seinem Gebiet als Störenfriede. Ende des 19. Jahrhunderts führte die Armee einen Vernichtungskrieg gegen die indigene Bevölkerung und eroberte viele ihrer Territorien. Das Land fiel dem Staat, Militärs und Großgrundbesitzern zu. Heute wollen es die Indígenas zurückhaben. In der Provinz Jujuy unterstützt der "Rat der Ureinwohner-Organisationen" die indigenen Gemeinschaften bei ihren Forderungen.

Mitarbeiterin Alejandra Castro: "Ich würde sagen, es gibt heute einen politischen Willen, den Ureinwohnern ihr Land zurückzugeben, aber es müssen konkrete Lösungen her. Es fehlen Instrumente, um die Landfrage zu lösen." In den achtziger Jahren begannen Argentiniens Indigene, nicht nur für ihr Land zu kämpfen, sondern sich auch auf die eigene Identität zurückzubesinnen. Seit der Staatsgründung bis in die 1980er Jahre hinein gab es in Argentinien offiziell keine Indigenen. Demokratische und Militärregierungen hätten ihre Kultur, ihre Weltanschauung und ihre Organisationsformen ignoriert, erzählt Alejandra Castro. "Keiner traute sich zu sagen: Ich bin Indígena. Wegen der staatlichen Unterdrückung ihrer Identität leugneten die Ureinwohner diese selbst."

Das ändere sich langsam, beobachtet Daniel Fernández, Präsident des "Nationalen Instituts für Indigene Angelegenheiten" in Buenos Aires. Das "INAI" ist für Argentiniens Urvölker zuständig, darunter die Omaguaca und Kolla im Norden, die Guaraní im Nordwesten und die Mapuche im Süden. "Als indigen gilt, wer sich selbst so bezeichnet. Gut 600.000 Indigene leben in Argentinien, das kam bei einer staatlichen Befragung im Jahr 2005 heraus. Die Ureinwohner-Organisationen glauben jedoch, dass es viel mehr sind", so Daniel Fernández. Der Funktionär hofft auf neue Erkenntnisse durch die Volkszählung, die Ende Oktober in Argentinien stattgefunden hat.

Späte Anerkennung

Kirche in der Indígena-Gemeinschaft (Foto: DW)
Kirche in der Indígena-Gemeinschaft "Hornaditas"Bild: DW

Erst 1994 wurden die Urvölker in der argentinischen Verfassung anerkannt und ihre Rechte festgeschrieben, darunter das Recht auf den Gemeinschaftsbesitz ihres Landes. Der Präsident des "INAI": "Vier Millionen Hektar Land sind bereits im kollektiven Besitz indigener Gemeinschaften. Aber weitere zehn bis 15 Millionen Hektar werden von meinem Institut noch überprüft." Der weitaus größere Teil also.

Überprüft werden vor allem die Besitzverhältnisse. Wenn das Land, das die Ureinwohner als ihres betrachten, heute in den Händen von Bergbau-Unternehmen, Großlandwirten oder Hotelbesitzern ist, wird es kompliziert. Daniel Fernández: "Zu den größten Konflikten kommt es dort, wo das Land zwischenzeitlich an andere Eigentümer übergegangen ist. Nicht selten wurde es unrechtmäßig erworben. Wir stehen erst am Anfang." Der Wille des Staates sei da, beteuert Fernández, aber es sei ein langwieriger Prozess.

Armut und Benachteiligung

Riesen-Kakteen (Foto: DW)
Riesen-Kakteen in der argentinischen Provinz JujuyBild: DW

Argentiniens Indigene, ob auf dem Land oder in den Städten, sind ärmer als der Bevölkerungsdurchschnitt. Fast ein Viertel der Ureinwohner-Haushalte kann seine Grundbedürfnisse nicht befriedigen. Achtzig Prozent der Menschen in den ländlichen indigenen Gemeinden leiden unter Hunger oder Mangelernährung, hat die Katholische Universität Buenos Aires herausgefunden. Auch beim Zugang zum Gesundheits- und Bildungssystem sind die Bewohner der teils sehr abgelegenen Dörfer benachteiligt.

Für Ernesto Vera, Präsident einer der 270 Indio-Gemeinschaften in Jujuy, ist die ungelöste Landfrage das größte Problem. "Wir sind es satt", bricht es aus Vera heraus. "Wir bitten nicht um Geld, wir bitten nicht um Arbeit. Wir wollen nur als Gemeinschaftseigentümer unseres Landes anerkannt werden. Um dort der 'Pachamama' zu huldigen, um dort zu säen, um dort zu leben und unsere 'Cambalaches', unsere Tauschgeschäfte, zu machen. Dafür wollen wir unser Land zurück haben."

Autorin: Victoria Eglau

Redaktion: Oliver Pieper