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fern.schreiber

Andrea Buchberger21. Oktober 2006

In einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung werden Menschen in schwierigen Lebenslagen als "abgehängtes Prekariat" bezeichnet. Das hat eine Debatte um ein Unterschichten-Problem ausgelöst.

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Die Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) sorgt für Schlagzeilen. Sie stellt fest, dass 8 Prozent der Deutschen zum "abgehängten Prekariat" gehören, 4 Prozent im Westen, 25 Prozent im Osten. Das sind jene, die geprägt sind von "sozialem Ausschluss und Abstiegserfahrungen", die sich in einer prekären Situation befinden.

Das allein hätte wohl kaum zu einem öffentlichen Aufschrei geführt, wäre da nicht der SPD-Vorsitzende Kurt Beck gewesen. Bezugnehmend auf die Studie sagte er, dass manche diese acht Prozent wohl als "Unterschicht" bezeichnen würden. Über die anderen acht "politischen Typen", die die Studie definiert, sagte er nichts.

Mir persönlich hat der Begriff des "Selbstgenügsamen Traditonalisten" (11 Prozent) am besten gefallen, auch wenn die Gruppe der "Autoritätsorientierten Geringqualifizierten" (7 Prozent) ebenfalls einer genaueren Betrachtung würdig wäre.

Zu Schlagzeilen taugen sie nicht - wohl aber der Begriff "Unterschicht". Zugegeben, es dauerte immer noch mehrere Tage, bis sich mit diesem Reizwort die dazugehörige politische Debatte voll entfalten konnte. Erschwert möglicherweise durch die Tatsache, dass die Studie erst im Dezember veröffentlicht werden soll und dass viele lieber von "neuer Armut" (die wievielte eigentlich?) als von "Unterschicht" reden. Egal.

Nichts Neues, dafür Überraschendes

Mehrere Leitartikel, Kommentare und eine Bundestagsdebatte später wissen wir, dass die Studie fast nichts enthält, was wir, die Politiker im Allgemeinen und die SPD im Besonderen nicht ohnehin schon wussten: dass die Situation im Osten Deutschlands wesentlich schlimmer wahrgenommen wird als im Westen; dass die Zahl derer, die sich in einem reichen Land als arm einstufen, wächst; dass die Verunsicherung über die Zukunft die Mitte der deutschen Gesellschaft erreicht hat; dass die Bildungschancen in Deutschland ungleich verteilt sind; dass das Vertrauen in die Politiker und die Bindung an die Parteien schwindet - und dass Studien immer so viel taugen, wie es gelingt, sie zum eigenen Vorteil zu interpretieren. Das habe ich getan.

Überraschende 87 Prozent der Deutschen finden - laut der Studie - sozialen und psychischen Rückhalt in ihrer Familie und sind mit ihrer familiären Situation zufrieden. Immerhin drei Viertel der Deutschen haben gute Freunde, mit denen sie ihre Sorgen besprechen können.

So "arm" kann Deutschland nicht sein - auch wenn unverbesserliche Pessimisten diese Erkenntnis der Studie als beklagenswerten Rückzug ins Private deuten mögen.