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Aserbaidschan: Revolution nicht in Sicht

3. November 2005

Wenige Tage vor den Parlamentswahlen blicken internationale Beobachter im In-und Ausland mit Interesse nach Aserbaidschan. Faire Wahlen erwartet man nicht, eine wie auch immer geartete Revolution jedoch ebenso wenig.

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Kann sich Präsident Ilham Alijew an der Macht halten?Bild: AP

Es gab bereits etliche Verletzte und Verhaftete im Vorfeld der Wahlen, die Polizei ging zum Teil brutal gegen Demonstranten vor, wenn diese gleiche Chancen für alle Parteien, Versammlungsfreiheit oder den Rücktritt des Präsidenten forderten. Die Befürchtungen der Opposition: erneute Wahlfälschung durch die regierende Partei "Neues Aserbaidschan" (YAP) wie bei den Präsidentschaftswahlen 2003. Und auch der Europarat sah Anlass zur Besorgnis: "Die aserbaidschanischen Behörden setzen sich nicht für die Abhaltung demokratischer Wahlen ein, die im Einklang mit den Werten des Europarates stehen", so seine Bilanz vier Wochen vor den Wahlen. Elchan Nurijew, Politikwissenschaftler an der Universität in Baku, meint trotzdem: „Präsident Alijew hat wohl begriffen, dass Aserbaidschan diesmal demokratische, transparente und faire Wahlen braucht."

Bescheidene Fortschritte

Der von den USA und internationalen Organisationen ausgeübte Druck sei dabei hilfreich gewesen: Einige - bescheidene - Fortschritte sind tatsächlich zu verzeichnen: Für die 125 Parlamentssitze durften sich diesmal mehr als 2.000 Direktkandidaten registrieren lassen, fünf Mal so viele wie bei der letzten Wahl im Jahr 2000. Und ebenfalls nach internationalem Druck werden die Wähler am Sonntag (6.11.) bei der Wahl ihre Finger mit Farbe markieren lassen müssen, um einem mehrfachen Wählen vorzubeugen. Andererseits wurde die Opposition in ihrer Arbeit von den Behörden behindert, ihre Versammlungen wurden mit Polizeigewalt auseinander getrieben; von gleichen Chancen im Wahlkampf in gleichgeschalteten aserbaidschanischen Medien kann keine Rede sein.

Politik und Wirtschaft

40 politische Parteien gibt es in Aserbaidschan, die drei führenden Oppositionsparteien haben sich zum Bündnis "Azadliq" ("Freiheit") zusammengeschlossen. Eine herausragende Rolle in diesem Block spielt der Chef der Demokratischen Partei und einstige Parlamentspräsident Rasul Gulijew. Politologe Elchan Nurijew charakterisiert ihn so: „Er ist ein Politiker mit Geld. Und dass jetzt unabhängige Leute mit wirtschaftlicher Macht wie Gulijew nach vorne streben, bedeutet für die aserbaidschanische Führung eine Gefahr. Diese Führung hält doch die meisten wirtschaftlichen Aktivitäten im Land fest in ihrer Hand."

Mitte Oktober wollte Gulijew nach 10 Jahren Exil in den USA auf dem Flughafen von Baku landen. Die Behörden verwehrten aber dem Privatjet Gulijews die Landung. Kurz darauf wurden mehrere Minister unter dem Vorwurf eines geplanten Staatsstreichs entlassen. Für Präsident Alijew ist Gulijew ein Krimineller, er habe dem Land mehr als 100 Millionen Dollar gestohlen. Die Opposition wiederum weist auf die seltsamen Machenschaften im aserbaidschanischen Innenministerium hin: Der Leiter der Abteilung für Verbrechensbekämpfung zum Beispiel war selbst Kopf einer Gangsterbande, die sich mit Morden und Entführungen hervorgetan hatte. Mit Hilfe des amerikanischen FBI konnte er vor einigen Monaten überführt werden.

Geringes Interesse an Politik

Kein Wunder, dass die Menschen in Aserbaidschan wenig Vertrauen in die Politik haben. Der unabhängige Kandidat Balakishi Gasimow meint: „Im Grunde sympathisiert die Bevölkerung weder mit den Regierungsparteien noch mit der Opposition. Das Volk ist müde geworden - von den Demonstranten und von denen, die sie zusammenschlagen. Die Menschen wollen Veränderungen, sie wollen, dass im Parlament mehr Technokraten sitzen und keine Populisten; sie wollen junge Leute, die neue Lösungen suchen, ohne Korruption, und die ihre Fähigkeiten zum Wohle des Landes einsetzen."

Der 27-jährige Wirtschaftsberater Gasimow steht wohl selbst für diesen neuen Politikertyp. Mehr als 1.000 Haushalte habe er während des Wahlkampfes besucht - Wahlkampfwerbung in den Medien ist nur für Parteien umsonst - und versucht, den potenziellen Wählern sein Programm zu erläutern. Über seine Ziele sagt Gasimov: „Ich möchte helfen Bedingungen zu schaffen für eine liberale Wirtschaftspolitik, die Kleinunternehmer und den Mittelstand fördert. Der Mittelstand soll zum Rückgrat der Wirtschaft werden. Und es muss zu Veränderungen im sozialen Bereich kommen."

Interesse an einem stabilen politischen Verhältnissen

Bisher bezieht die Wirtschaft in Aserbaidschan ihr Entwicklungspotential fast ausschließlich aus den Öl- und Erdgasvorkommen des Landes, die sich hauptsächlich südlich des Kaspischen Meers befinden. Ende Mai wurde in Baku mit Hilfe von anglo-amerikanischen Investoren die mit 1.800 Kilometer längste Öl-Pipeline der Welt eröffnet - sie führt über Georgien zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan. Das Drei-Milliarden-Dollar-Projekt lässt die Erschließung der Ölproduktion in Aserbaidschan geradezu explodieren. Elchan Nurijew aus Baku: „Politisch bedeutet dieses Projekt Stabilität, ich meine eine nachhaltige Stabilität. Und ich glaube, dass beide Länder - die USA und Russland - an einer Stabilität in Aserbaidschan interessiert sind."

Mit einer wie auch immer gearteten Revolution - wie vor einem Jahr in der Ukraine, davor in Georgien und im Frühjahr in Kirgisien - rechnen die politischen Beobachter in Baku nicht. Und auch der Westen scheint eher auf den jetzigen Machthaber gesetzt zu haben, vorausgesetzt, es finden keine Wahlfälschungen statt und der ausufernden Korruption wird ein Riegel vorgeschoben. Denn Aserbaidschan gehört zu den zehn korruptesten Staaten der Welt. Auch der unabhängige Kandidat Gasimow gibt zu: „Ich sehe niemand in der Opposition, der höhere Popularitätswerte hätte als der Präsident."

Vladimir Müller

DW-RADIO, 3.11.2005, Fokus Ost-Südost