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Asket mit Familiensinn: John von Düffel

Heide Soltau9. November 2005

Die deutsche Gegenwartsliteratur ist mehr als Grass, Wolf und Walser. Zu den jüngeren der vielfältigen Literaturszene gehört John von Düffel. Heide Soltau hat ihn getroffen.

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John von DüffelBild: dpa

Treffpunkt ist das Theater. John von Düffel, 39 Jahre alt, aufgewachsen in Nordirland, den USA und Deutschland, ist nicht nur Autor - für seinen Erstlingsroman "Vom Wasser" (1998) wurde er hoch gelobt und mit Preisen ausgezeichnet -, sondern auch Dramaturg am Hamburger Thalia Theater.

"Das Theater ist natürlich deshalb ein toller Ort für mich, weil ich nicht nur Arbeit habe, sondern wirklich etwas mache, was mich interessiert."

Wir sitzen im so genannten Atelierraum, einem Saal mit vielen großen Fenstern, in dem früher der Chefbühnenbildner des Hamburger Thalia-Theaters residierte. Mit Tischen und Stühlen, einem alten Sofa und allerlei Gerümpel dient er heute als eine Art "Allroundraum".

Theater Rinderwahnsinn Düffel
Brigitte Peters und Martin Reik in John von Düffels Familiengroteske "Rinderwahnsinn"Bild: dpa

Theaterleute stellt man sich gern ein wenig flippig vor. Dieses veraltete Klischee spukt immer noch in vielen Köpfen herum, schließlich hätte die Klatschpresse sonst nichts zu berichten. John von Düffel sieht nicht aus wie ein "La Bohème-Künstler", sondern völlig unauffällig. Wie ein Physiker oder Computerspezialist. Ein schlanker Mann mit Brille und kurz geschorenem Haar, der T-Shirts und Jeans trägt und im Winter gern eine dieser kurzen Reißverschlussjacken. Auffällig ist seine Liebeswürdigkeit.

"Das Schöne am Theater ist, es ist sicherlich eine Art Ersatzfamilie auch, aber es ist eine, die sehr viel verzeiht. Und die viele Eigenheiten respektiert. Ich respektiere ja auch viele Eigenheiten vieler Schauspieler. Das ist fast ein utopisches Modell."

Dokument der Einsamkeit

John von Düffel führt ein asketisches Leben: ohne Zigaretten, ohne Alkohol, mit viel Arbeit und viel Sport. Er schreibt von 6 bis 10 Uhr morgens und fährt dann mit der Bahn von Bremen nach Hamburg ins Theater, wo er oft bis in den Abend hinein zu tun hat. In Bremen lebt seine Frau, eine Maskenbildnerin, mit der er seit über zehn Jahren liiert ist. John von Düffel schätzt die Kontinuität der Beziehung, aber liebt die Bewegung. Er joggt und schwimmt. Seine Leser wissen das, weil er darüber geschrieben hat. In seinem Erstling "Vom Wasser" zum Beispiel, aber auch in seinem jüngsten Buch, dem Familien- und Generationenroman "Houwelandt".

"Ich will einfach, dass ich mich wohl fühle, dass es Spaß macht, dass man das Gefühl hat, auch der Körper lebt das Leben, das man lebt, mit. Und nur deshalb mache ich das manchmal auch ein bisschen exzessiv, aber in der Regel eigentlich ohne falschen Ehrgeiz."

Wie exzessiv er seinen Sport betreibt, zeigt der Dokumentarfilm "Houwelandt" von Jörg Adolf, in dem John von Düffel in einer Szene mit zwei Hanteln in der Hand durch den Wald joggt. Jörg Adolf hat den Entstehungsprozess des Romans mit der Kamera festgehalten, vom Schreiben, über die Arbeit mit dem Lektorat, dem Vertrieb und der Presseabteilung bis hin zur Auslieferung und ersten Lesungen. Der Film ist ein beeindruckendes Dokument über die Einsamkeit und die Mühsal schriftstellerischer Arbeit, und er zeugt von dem ungeheuren Mut John von Düffels, sich der Kamera auszusetzen. Denn das Risiko war hoch.

Intimität und Kollektiverlebnis

"Bei einem Roman muss jeder einzelne Satz stimmen", erklärt John von Düffel. Beim Theatertext gelte das nicht unbedingt - der müsse erst auf der Bühne seine optimale Form erreichen. "Das Besondere beim Roman ist ja die Intimität, die das Buch dann im Verhältnis zum Leser hat. Und in der Intimität muss ein Buch überzeugen und sich entfalten. Theater ist ein Kollektiverlebnis."

Und daran wirken Dramaturgen, Regisseure und Schauspieler mit. Durch ihre Darstellung auf der Bühne interpretieren und verändern sie den Text. Striche und Kürzungen gehören auch dazu, betont John von Düffel, damit müssten sich Autoren abfinden. Er selbst erarbeitet gerade eine Bühnenfassung der Buddenbrooks von Thomas Mann und hat damit wieder - wie zuletzt in "Houwelandt" - mit einer Familiengeschichte zu tun.

"Ich muss sagen, so schmerzhaft und angstbesetzt Familie manchmal ist, es ist natürlich ein Punkt, wo wir am menschlichsten sind. Natürlich hat Familie auch Schattenseiten, aber es ist immer noch ein Ort, wo man sich spürt und wo man in gewisser Weise hingehört, selbst wenn man es nicht möchte. Es ist eine Form von Zugehörigkeit und allein darin liegt schon ein gewisser Wert. Um sich selber zu verstehen, muss man auch seine Familie verstehen."

Um das zu lernen, ist die "Ersatzfamilie Theater" offenbar ein gutes Übungsterrain.