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Politik

Die Macht der Anhörer

5. Dezember 2011

"Politisch Verfolgte genießen Asylrecht", heißt es im deutschen Grundgesetz. Beweisen muss man die Verfolgung nicht, wohl aber glaubwürdig darstellen – und das ist gar nicht so einfach.

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Flüchtlinge vor ihrer Unterkunft in Chemnitz (Foto: dpa)
Flüchtlinge vor ihrer Unterkunft in ChemnitzBild: picture-alliance/dpa

Fragt man drei Flüchtlinge nach ihren Erfahrungen mit dem deutschen Asylrecht, erhält man grundverschiedene Antworten. Für Ahmad Syed (Namen geändert) begann mit seiner Flucht aus Syrien 1984 ein bürokratischer Hürdenlauf: Zwölf Jahre dauerte es bis zur endgültigen Ablehnung seines Asylantrages. Seither lebt er ohne gesicherten Aufenthaltsstatus in Deutschland. "Bis jetzt habe ich keine Chance", sagt er.

Die Zentrale des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg (Foto: dpa)
Die Zentrale des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge in NürnbergBild: picture alliance/dpa

Ganz anders die Erfahrung von Urmat Mamirov (Name geändert). Viel einfacher als erwartet wurde seine Homosexualität als Asylgrund anerkannt, der junge Kirgise kann dauerhaft bleiben. Auch der Somalier Mohamed Abdifatah bewertet seine Erfahrungen mit deutschen Behörden überwiegend positiv – bis jetzt zumindest. Denn ob er Asyl erhalten wird, ist noch ungewiss (siehe Video).

Leben unter Sozialhilfe-Niveau

Zunächst läuft das Verfahren für alle Asylbewerber, die deutschen Boden erreichen, ähnlich ab: Zunächst wird entschieden, in welchem Bundesland der Antragsteller untergebracht wird. Dort wird geprüft, ob er schon in einem anderen europäischen Land registriert wurde - ist dies der Fall, darf er nicht in Deutschland bleiben. Anfangs wohnen die Bewerber in großen, wenig wohnlichen Erstaufnahme-Einrichtungen, nach drei Monaten können sie in kleinere Heime oder, falls verfügbar, Wohnungen umziehen. In einigen Bundesländern erhalten Asylbewerber Geld, in anderen nur Sachleistungen, die durch ein Taschengeld ergänzt werden – in jedem Fall aber nur rund 60 Prozent dessen, was Sozialhilfeempfänger bekommen. Arbeiten dürfen sie frühestens nach einem Jahr.

Die Erstaufnahme-Einrichtung Friedland bei Göttingen (Foto: dpa)
Die Erstaufnahme-Einrichtung Friedland bei GöttingenBild: picture alliance/dpa


Bis zur eigentlichen Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) können Wochen oder auch Monate vergehen. "In dieser Anhörung geht es darum, die Fluchtgeschichte zu erfahren", sagt Rochsana Soraya, Sprecherin des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. "Es wird viel Raum gelassen, frei zu erzählen; es kann aber auch viele Nachfragen geben." Neben dem sogenannten Einzelentscheider des BAMF, der die Fragen stellt, ist immer auch ein Dolmetscher dabei.

Von diesem Gespräch hängt alles weitere ab. Entsprechend wichtig sei eine gute Vorbereitung, sagt Elisabeth Reese, die seit Jahrzehnten in der Berliner Heilig-Kreuz-Gemeinde Flüchtlinge berät. "Das Problem ist, dass die Leute oft erst zu uns in die Beratungsstelle kommen, wenn sie schon eine Ablehnung bekommen haben." Und das könne schnell passieren: So verwirre es viele Flüchtlinge, dass die Frage nach den Fluchtgründen häufig erst nach einer detaillierten Befragung zu Reiseweg und Verwandtschaftsverhältnissen gestellt wird. "Oft haben die Leute Asylgründe, die nicht zur Sprache kommen, weil sie gar nicht wissen, worauf es bei dem Asylverfahren ankommt", sagt die Juristin.

In Widersprüche verstrickt

Marei Pelzer von Pro Asyl (Foto: dpa)
Marei Pelzer von Pro AsylBild: picture alliance / dpa


Auch Marei Pelzer, rechtspolitische Referentin der Flüchtlingsorganisation Pro Asyl rät dazu, vor der Anhörung eine unabhängige Beratungsstelle aufzusuchen. "Das Besondere an diesem Asylverfahren ist, dass oft keine anderen Beweismöglichkeiten vorliegen als die Angaben des Asylbewerbers", erklärt sie. Daher müsse in dem Gespräch die Glaubwürdigkeit der Angaben geprüft werden – und das könne leicht zu einer "Verhörsituation" führen. "Manche Befragungen werden fast schon dahin gesteuert, dass der Bewerber widersprüchliche Aussagen trifft."

Das sei keineswegs das Anliegen des Bundesamtes, sagt die BAMF-Sprecherin Rochsana Soraya. "Wir achten sehr darauf, dass die Einzelentscheider eine gewisse Reife und menschliche Erfahrung mitbringen, denn der Beruf ist anspruchsvoll." So müssten sie einerseits über Einfühlungsvermögen verfügen, andererseits aber Distanz wahren, um objektiv zu bleiben. "Aber letztlich sitzt dort ein Mensch, der auch Fehler machen kann", sagt Soraya. Gleichwohl müsse sich niemand vor der Anhörung fürchten.

Wie sahen die Stewardessen aus?

Mit erfundenen Geschichten hat man kaum eine Chance, glauben Kenner des Verfahrens. "Es ist sehr schwer, eine wasserdichte Story zu erschaffen", sagt etwa die Flüchtlingsberaterin Elisabeth Reese. Wer beispielsweise behauptet, mit dem Flugzeug - und nicht etwa über einen anderen EU-Staat - nach Deutschland gekommen zu sein, wird möglicherweise aufgefordert, Flughäfen oder Stewardessen zu beschreiben. Mit Ausflüchten wird man dann nicht sehr weit kommen – ganz gleich, wie gut man sich vorbereiten mag. Das gilt auch für den Vortrag: Wer stotternd und ungegliedert berichtet, kann glaubwürdiger sein, als jemand, der eloquent eine glatte und widerspruchsfreie Geschichte erzählt.

Infografik Herkunft der Asylbewerber 2010

Entscheidender als das Gespräch ist ohnehin das Herkunftsland: So erhielt 2010 nur ein Prozent der indischen Antragsteller Asyl, bei Bewerbern aus Birma (Myanmar) waren es 95 Prozent. Wer aus Asien kam, hatte bessere Chancen (33 Prozent) als ein Afrikaner (19 Prozent), Lateinamerikaner (6 Prozent) oder Europäer (5 Prozent). Die Gesamtquote bei den insgesamt 48.600 Asylanträgen lag bei 22 Prozent.

Die Duldung erdulden

Wer in der Anhörung Erfolg hat, bekommt eine Aufenthaltserlaubnis und kann ungehindert arbeiten. Den übrigen bleibt nur der Gang zum Verwaltungsgericht. Wird die Ablehnung dort bestätigt, leitet die Ausländerbehörde die Abschiebung ein. Das bedeutet aber nicht, dass es auch dazu kommt. "Die meisten versuchen, auf der Duldungsebene zu bleiben", sagt Elisabeth Reese. Denn wer keinen Pass hat, kann nicht abgeschoben werden und erhält eine Duldung, es sei denn, die jeweilige Botschaft stellt der Ausländerbehörde Rückführungspapiere aus – und das tun nicht alle.

"Den Pass zu verbrennen, nützt aber überhaupt nichts", sagt Elisabeth Reese. "Dann bin ich zwar mit dieser Duldung hier, aber das hilft mir ja nicht viel. Ich bekomme dann meine Sozialhilfe und darf jahrelang nicht arbeiten. Das macht mich nur krank." Diese Erfahrung hat auch der Syrer Ahmad Syed machen müssen. Erst vor kurzem erhielt der inzwischen 60-jährige Ökonom überhaupt eine Arbeitserlaubnis. Sein Vierteljahrhundert in Deutschland empfindet er als vergeudete Zeit: "Ich lebe wie in einem Gefängnis."

Autor: Dennis Stute

Redaktion: Andrea Grunau