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Schuldenschnitt als Reparationszahlung?

Panagiotis Kouparanis8. Juni 2013

Seit Jahrzehnten belasten griechische Reparationsforderungen das Verhältnis zu Deutschland. Könnte beim nächsten Schuldenerlass für Athen die Frage gelöst werden?

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NS-Generalfeldmarschall Walther von Brauchitsch (Mitte li.), Oberbefehlshaber des Heeres unter den Nationalsozialisten, besichtigt die Akropolis in Athen mit dem Landesgruppenleiter der NSDAP, Wrede (Mi. re.) nach der Eroberung Griechenlands durch die Wehrmacht im April 1941 (Foto vom Mai 1941: picture-alliance/akg-images)
Bild: picture-alliance/akg-images

Griechenland scheint ernst zu machen. Vor einigen Wochen haben zum ersten Mal alle Parteien im griechischen Parlament mit Ausnahme der rechtsradikalen "Chryssi Avgi" (Goldene Morgenröte) ihre Bereitschaft erklärt, noch ausstehende Reparationsforderungen gegenüber Deutschland auf die Tagesordnung zu setzen. Der bislang geheim gehaltene Bericht einer Expertengruppe, die die Staatsarchive durchforstet hatte, wird gerade vom "Juristischen Rat des Staates" geprüft. Im Wesentlichen geht es dabei um drei Arten von Forderungen, die sich aus der Zeit der deutschen Besatzung Griechenlands zwischen 1941 und 1944 ableiten: Reparationszahlungen für Zerstörungen und Konfiszierungen, Wiedergutmachungsleistungen für zivile Opfer und die Rückzahlung eines Zwangskredits bei der Bank von Griechenland. Nach bisherigen Schätzungen summieren sich all diese Forderungen auf bis zu 300 Milliarden Euro.

Ein gewaltiger Betrag, zu dem möglicherweise noch gewaltigere Summen hinzukommen könnten: Würde Berlin die Reparationsforderungen Griechenlands formell anerkennen, dann könnten theoretisch auch andere Staaten, die während des Zweiten Weltkrieges von deutschen Truppen besetzt waren, auf Reparationszahlungen dringen. Deutschland vertritt bislang den Standpunkt, die griechischen Ansprüche seien durch frühere Entschädigungen abgegolten, hinfällig geworden oder aber verjährt. Eine offizielle Abkehr von dieser Position zu erwarten, sei unrealistisch - das war die einhellige Meinung von Wissenschaftlern und Politikern bei einer Veranstaltung im Informationsbüro des Europäischen Parlaments in Berlin.

Stillschweigende Einigung?

Wirtschaftshistoriker Albrecht Ritschl (Foto: DW/Kouparanis)
Hält eine finanzielle Lösung für nötig: Wirtschaftshistoriker Albrecht RitschlBild: DW/P. Kouparanis

Eine Möglichkeit zu einem beiderseitigen Entgegenkommen könnte sich im Zuge eines neuen Schuldenschnitts für Griechenland ergeben, so Professor Albrecht Ritschl von der London School of Economics. Griechenland, schlägt der Wirtschaftshistoriker vor, sollte als Gegenleistung für einen Schuldenerlass auf jegliche Forderungen gegenüber Deutschland, die sich aus der Besatzungszeit ergeben, verzichten - stillschweigend und im beiderseitigen stillen Einvernehmen: "Ich glaube, die beste Lösung wird darin bestehen, dass man das R-Wort [also Reparationszahlungen, Anm. d. Redaktion] nicht mehr allzu groß erwähnt. Symbolische Politik ist wirkliche Politik. Was wir von Deutschland brauchen, ist ein Akt symbolischer Politik, der der griechischen Öffentlichkeit Genugtuung verschafft und ihr Würde zurückgibt."

Anschließend könne man sich auch über die finanziellen Dinge einigen - denn jeder wisse, dass es finanzielle Lösungen geben müsse, so der Historiker: "In Berlin pfeifen das die Spatzen von den Dächern."

Wäre also eine - wie auch immer symbolisierte - "stillschweigende" Anerkennung der Reparationsschuld eine Lösung, für die sich die Politik in Berlin gewinnen ließe? Die Vorsitzende der deutsch-griechischen Parlamentariergruppe und Abgeordnete der Partei "Die Linke", Annette Groth, könnte sich das vorstellen: "Das ist eine Kröte, die auch die anderen schlucken würden. Ihre Angst ist doch: Wenn wir einem Land Reparationszahlungen zahlen würden, dann kommen die anderen auch. Das ist die größte Angst, die in den Köpfen der Politikerinnen und Politikern steckt. Also muss man einen anderen Begriff dafür finden."

Die Linke-Politikerin Annette Groth (Foto: DW/Kouparanis)
Eine "stillschweigende Anerkennung" wäre auch für die Linken-Politikerin Annette Groth eine OptionBild: DW/P. Kouparanis

Schuldenerlass, Mittelstandsfonds - und Erinnerungskultur

Für einen solchen Ansatz zur Lösung der Reparationsfrage zwischen Athen und Berlin setzt sich auch der Europaabgeordnete der deutschen Liberalen (FDP), Jorgo Chatzimarkakis, ein. Voraussetzung dafür sei allerdings, dass die deutsche Seite akzeptiert, dass es noch eine offene Reparationsfrage gibt und dass anderseits die griechische Seite bereit ist, das Thema materiell endgültig abzuschließen - "auch wenn so etwas moralisch nie möglich sein wird". Jorgo Chatzimarkakis plädiert dabei für ein Paket von Lösungen: Zum einen könnten die Schulden Griechenlands gekürzt werden, so wie auch Deutschlands Schulden nach dem Zweiten Weltkrieg gekürzt worden waren. Darüber hinaus bedürfe es aber weiterer Geldtransfers, so der Politiker: "Während der deutschen Besatzung wurde Geld aus Griechenland entnommen", spielt Chatzimarkakis auf den Zwangskredit bei der griechischen Zentralbank an, "deshalb muss jetzt Geld zurückgezahlt werden. Das geht nicht nur durch einen Schuldenschnitt. Ich glaube, dass ein Mittelstandsfonds oder ein Investitionsfonds, zu dem Deutschland aktiv beitragen könnte, eine Lösung wäre."

Der FDP-Politiker Jorgo Chatzimarkakis (Foto: DW/Kouparanis)
Schlägt einen Investitionsfonds vor: Jorgo Chatzimarkakis (FDP)Bild: DW/P. Kouparanis

Als Vorbild hierfür könnte das geplante Abkommen von Deutschland mit Spanien und Portugal dienen. Die deutsche staatliche Förderbank KfW wird ein Kreditprogramm für kleine und mittlere Unternehmen in beiden Ländern auflegen. Die KfW verleiht hierbei Geld an Schwesterinstitute, die damit wiederum Kredite an die heimische Wirtschaft zu niedrigen Zinsen vergeben.

Er sei mit all diesen Vorschlägen einverstanden, aber es müsse dennoch um mehr als nur um finanzielle Dinge gehen, sagt Hagen Fleischer. Der emeritierte Geschichtsprofessor der Athener Universität - und wohl intimste Kenner der Materie rund um die Reparationsfrage - fordert die Gründung einer Stiftung mit staatlicher Beteiligung, die sich der Erinnerungskultur in beiden Ländern widmen sollte. Ein weiteres wünschenswertes Projekt wäre aus Fleischers Sicht die Errichtung einer internationalen Begegnungsstätte auf Kreta, zum Beispiel in einem von den Deutschen zerstörten Gebäude der jüdischen Gemeinde. Auch dafür bräuchte es politischen Willen. Hagen Fleischer zeigt sich optimistisch: "Es ist mehr Wille da als früher. Etwas hat sich bewegt - auch auf deutscher Seite."