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Atom-Schmuggel

13. April 2010

"Uran-Deal auf Minsker Schwarzmarkt", "radioaktives Material in georgischem Taxi" oder "Kirgistan und die schmutzige Bombe" - immer wieder gibt es Berichte über Atomschmuggel. Wie groß ist die Gefahr wirklich?

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Päckchen mit geschmuggeltem Uran (Foto: AP)
2007 in der Slowakei sichergestellt: Päckchen mit angereichertem UranBild: AP

Der Kampf gegen den Atomschmuggel ist ein Hauptthema bei der Konferenz über Atomsicherheit in Washington. Gewarnt wird vor "Atomarem Terrorismus", an vielen Schmuggelaktionen sind aber auch staatliche Stellen beteiligt: Möchtegern-Atomstaaten, die sich Material für Atomwaffen beschaffen wollen, korrupte staatliche Stellen in "unsicheren" Staaten - oder aber auch die Geheimdienste genau der Industriestaaten, die vor dem Atomschmuggel warnen. Marcel Dickow, Rüstungs- und Technologieexperte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, hält nichts von undifferenzierten Übertreibungen: "Der Schmuggel ist natürlich schon ein Problem, aber eben kein so besonders großes."

Waffenfähiges und "sonstiges" radioaktives Material

Bei den in den vergangenen Jahrzehnten bekannt gewordenen Fällen müsse man unterscheiden zwischen dem Schmuggel von spaltbarem, also für Nuklearwaffen verwendbarem Material, und dem Schmuggel von radioaktivem Material, das auch in der zivilen Technik benutzt wird, so der Physiker. Die internationale Atomenergiebehörde IAEA sammelt seit 15 Jahren Daten über illegale Aktionen mit radioaktivem und spaltbarem Material. Bis Ende 2008 wurden insgesamt über 1500 Fälle registriert. Nur 15 Mal ging es dabei um waffenfähiges Material: hochangereichertes Uran oder Plutonium.

Atom-U-Boot nahe Murmansk (Foto: dpa)
Ausrangierte Waffen, arbeitslose Wissenschaftler: Atom-U-Boot-"Friedhof" nahe MurmanskBild: dpa - Bildfunk

Marcel Dickow verweist auf die Zeit nach dem Ende des Kalten Krieges, es habe einen regen Handel gegeben nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion zu Beginn der 90er Jahre: "Das ist auch klar, weil die UdSSR natürlich ein erhebliches militärisches, aber auch ziviles Nuklearprogramm unterhalten hat mit vielen hunderten, wenn nicht sogar tausenden von Wissenschaftlern. Die sind zu einem gewissen Teil dann arbeitslos geworden, bei ohnehin schlechten Pensionen. Insofern bestand da eine gewisse Bereitschaft, ihr Wissen, aber eben auch Material anderweitig zu verkaufen."

Geheimdienste als Käufer?

Koffer mit geschmuggeltem Plutonium (Foto: dpa)
Der Koffer mit 363 Gramm Plutonium, beschlagnahmt am 10.08.1994 auf dem Münchner FlughafenBild: picture alliance /dpa

1994 wurde in München ein Koffer mit knapp 400 Gramm Plutonium sichergestellt, geschmuggelt in einer Lufthansa-Maschine aus Moskau. Schwere Vorwürfe wurden anschließend gegen den deutschen Geheimdienst BND laut: über Mittelsmänner soll er das gefährliche Geschäft selber angezettelt haben. Ein Vorwurf, der bestritten, aber nie restlos ausgeräumt wurde. Geheimdienste und Atomschmuggel - in den USA hat man weniger Berührungsängste. Hier wurde gefordert, CIA und andere Dienste sollten das bombengefährliche Material aus aller Welt einfach aufkaufen. Marcel Dickow hat Bedenken, weil man dadurch ja letztlich auch einen Markt erzeuge: "Wenn es keine Abnehmer gibt, dann wird der Schmuggel oder der Handel mit solchen Materialien eben auch nicht attraktiv. Und wenn jetzt die Geheimdienste einen künstlichen Markt erzeugen, ist es natürlich nicht unbedingt im Interesse der Sicherheit."

Fehlende Dokumentation, fehlende Kontrollmöglichkeiten

Auf der Welt gibt es tausende Tonnen kernwaffenfähigen Materials. Die IAEA hat 20.000 Betreiber hochradioaktiver Quellen registriert. Trotz vieler internationaler Verträge gibt es keine lückenlose Dokumentation über Mengen, Verwendung und Verbleib. Die Atomstaaten wollen sich nicht in die Karten sehen lassen. Sorgen macht man sich heute nicht nur über ehemalige sowjetische Bestände, sondern z.B. auch über die Sicherheit des pakistanischen Materials.

Auch Grenzkontrollen seien nicht einfach, sagt Technologieexperte Dickow, weil Radioaktivität mit Blei und anderen schweren Metallen gut abschirmbar ist: "Man muss sehr empfindliche Detektoren aufstellen, die möglichst dicht an die zu suchende Quelle heran müssen. Das geht natürlich nicht, schon gar nicht an Häfen, wo viele tausende Container pro Tag umgeschlagen werden; oder an Flughäfen, wo man mehrere zehntausend Personen pro Tag befördert." Das Aufspüren von radioaktivem Material bleibe eine Herausforderung, so der Physiker. Zumal die kostspieligen Detektoren ohnehin keine hundertprozentige Sicherheit versprächen: "Es gibt immer noch einen gewissen Prozentsatz - der durchaus zweistellig sein kann - von nicht detektierbaren Materialien".

Brisante Röhren und schmutzige Bomben

Geschmuggelt wird im übrigen nicht nur mit spaltbarem Material, sondern auch mit Anlagen zur Uran-Anreicherung. Ende 2003 fingen der britische und der amerikanische Geheimdienst ein Bombenbau-Set aus Pakistan an Libyen ab: Fünf Container mit Gas-Ultra-Zentrifugen holten sie von einem deutschen Frachter herunter. Absender war der bekannte Atomwissenschaftler Abdul Quadir Khan, der auch schon dem Iran und Nordkorea beim Bombenbau helfen wollte.

Zentrifugen zur Urananreicherung in Natanz, Iran (Foto: AP)
Begehrte Röhren: Zentrifugen zur Urananreicherung in Natanz, IranBild: AP

Gegen schmuggelnde Staaten können Sanktionen verhängt werden, aber was ist mit Terroristen? Experten gehen davon aus, dass es für Terrorgruppen extrem schwierig und ohne staatliche Unterstützung wahrscheinlich unmöglich wäre, wirkliche Atombomben zu bauen. Doch warnt man seit langem vor sogenannten "schmutzigen" oder radiologischen Bomben. Das sind keine Atomwaffen, sondern Waffen mit konventionellen Sprengstoff, dem radioaktive Partikel zugefügt werden, wie sie weltweit in der Medizin, Messtechnik oder Forschung anfallen. Solche "schmutzigen" Bomben sind schwer zu bauen und würden durch die Explosion selbst nicht sehr viele Opfer fordern, könnten aber in der Bevölkerung Panik schüren. Eine außerordentlich große Gefahr sieht der Experte Marcel Dickow hier allerdings nicht: "Die Erfahrungen der letzten 20 Jahre zeigen, dass es keinen Versuch gegeben hat, solche Bomben zu bauen und einzusetzen. Es ist in der Logik der Terroristen plausibel, dass es andere Formen der terroristischen Bedrohung gibt, die einfacher zu realisieren und die trotzdem eine ähnliche Wirkung haben, oder eben sogar noch eine größere Wirkung."

Um den Schmuggel mit radioaktiven oder nuklearen Materialien künftig einzuschränken, da sind sich die Experten einig, müssten alle Staaten ihr komplettes Material offenlegen, es wirksamer vor Diebstahl schützen und seine Verwendung lückenlos dokumentieren. Davon aber kann bisher noch keine Rede sein.

Autorin: Andrea Grunau
Redaktion: Manfred Götzke