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Nach Fukushima: Atomkraft weltweit ohne Zukunft?

20. April 2011

437 Atomkraftwerke gibt es weltweit, sie produzieren 13 Prozent des gesamten Stroms. Nach der Katastrophe in Fukushima überprüfen viele Regierungen ihre Atompolitik, und der Widerstand der Menschen wächst.

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Strahlungswarnung auf verrostetem Behälter (Foto: fotolia)
Unkalkulierbares Risiko: Geht das Atomzeitalter zu Ende?Bild: fotolia/Wamsler

Eigentlich ist ihm nicht zum Lachen zumute, doch der Umweltaktivist Praful Bidwai muss doch bitter lachen, als er die Stellungnahme der indischen Atombehörde zur Katastrophe in Fukushima vom 14. März vorliest: Es handele sich um eine chemische Reaktion und nicht um einen Atomunfall; der Notfallplan funktioniere bestens. "Das sind reine Wahnvorstellungen", kommentiert Bidwai. Dass die indische Atombehörde den Unfall herunterspielte, hat einen leicht durchschaubaren Grund: Sie hat einen ehrgeizigen Nuklearplan und baut zusätzlich zu den 20 existierenden sechs neue Atomkraftwerke, teils in ökologisch sensiblen Regionen.

Bisher sei der Widerstand gegen die Kernenergie in Indien kaum sichtbar gewesen, berichtet der Umweltaktivist aus Neu Delhi, doch das habe sich inzwischen geändert. Zum ersten Mal kommen nun Kernkraftgegner aus verschiedenen Regionen auf nationaler Ebene zusammen und gründen Komitees. "Fukushima hat den indischen Atomkraftgegnern einen großen Schub gegeben. Sie verlangen von der Regierung, dass sie ihre Atompläne in die Mülltonne wirft."

Neues Bewusstsein für die Gefahren

Hamsterkäufe in China (Foto: AP)
Hamsterkäufe in China: Salz wird für ein Mittel gegen Radioaktivität gehaltenBild: dapd

Auch in China, wo 27 Atomkraftwerke im Bau sind, wird seit dem Unfall in Fukushima neu über die Kernenergie nachgedacht. Die Regierung lässt nun alle Anlagen überprüfen und legt dabei höhere Sicherheitsstandards an als zuvor. Das kann dazu führen, dass einige Meiler nicht fertig gebaut werden.

"Endlich ist die Öffentlichkeit in China aufgewacht", sagt der Wissenschaftler Li Bo. Er leitet die "Friends of Nature", eine der mitgliederstärksten Umwelt-NGOs in China. Seine persönliche Schlussfolgerung lautet: In China gibt es einen riesigen Bedarf an fundierten Informationen über die Kernenergie. Es sei haarsträubend, wie wenig die breite Öffentlichkeit über das Thema wisse. So sei an den Küsten Chinas vielerorts das Salz ausverkauft, weil die Menschen glaubten, das helfe gegen radioaktive Strahlung.

Schlechte Chancen für neue Reaktoren

Solareinheiten auf Dach in Nordindien (Foto: CC/Barefoot Photographers of Tilonia)
Lokale Lösung ohne Stromnetz: Solareinheiten in NordindienBild: CC/Barefoot Photographers of Tilonia

Derzeit werden in China nur zwei Prozent des Stroms aus Kernenergie gewonnen. Kaum aber stehe die Kernenergie öffentlich in der Kritik, berichtet Li Bo, werde schnell ein bekanntes "Totschlagargument" hervorgeholt: "Die Massen müssen leben und überleben. Das ist in China ein sehr starkes Argument."

Ähnlich wie in China wird auch in Indien nur wenig Strom aus Kernenergie gewonnen, es sind unter drei Prozent. Würden die geplanten Reaktoren fertig gebaut, wären es sechs Prozent. Der Umweltaktivist und Sozialwissenschaftler Praful Bidwai hält Atomkraftwerke nicht für geeignet, um Indiens Energieprobleme zu lösen: "100.000 der 600.000 Dörfer in Indien haben überhaupt keinen Strom und werden für Jahrzehnte keinen haben. Gebt ihnen wenigstens Licht mithilfe von Solaranlagen", so Bidwais Appell.

Der Anfang vom Ende?

Der weltweite Niedergang der Atomenergie habe schon vor Fukushima begonnen, sagt Mycle Schneider. Der Fachmann für Energiepolitik und Träger der Alternativen Nobelpreises untersucht, wie sich die Nutzung der Atomenergie international entwickelt. Bereits 2009 - das sind die letzten verfügbaren Zahlen - sei die Stromproduktion durch Atomkraft im vierten Jahr in Folge gesunken. Da viele Reaktoren schon recht alt sind, aber nur wenige neue gebaut werden, setzt sich dieser Trend fort. Gleichzeitig wird immer mehr Strom aus erneuerbaren Energien gewonnen, auch in Ländern wie China und Indien. Der Atomunfall in Fukushima werde diesen Prozess noch beschleunigen, prophezeit Schneider: "Wenn die Geschichte der Atomenergie geschrieben wird, dann leitet Fukushima das letzte Kapitel ein."

Autorin: Nina Werkhäuser
Redaktion: Hartmut Lüning