1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Außer-Parlamentarische Opposition

Stephan Hille10. Februar 2004

Das russische Parlament – die Duma – hat ein Problem: Aus dem Parlament ausgeschiedene Abgeordnete weigern sich ihre Wohnungen für ihre Nachfolger zu räumen. Jetzt erhöht die Wohnraumverwaltung des Kreml den Druck.

https://p.dw.com/p/4f4n

Nachdem die Parlamentswahl vom vergangenen Dezember dem Kreml eine willfährige Duma beschert hat, - die Kreml-Partei "Einiges Russland" verfügt dort über eine solide Zwei-Drittel-Mehrheit, die demokratischen Parteien "Jabloko" und "Union der rechten Kräfte" scheiterten an der Fünf-Prozenthürde - sollte sich das aus Sicht des Kremls lästige Problem von widerspenstigen Parlamentariern erledigt haben. Irrtum!

Zwar ist mit der neuen Duma alles in Butter, doch aus dem Kreis der Ex-Duma-Abgeordneten hat sich eine quasi außer-parlamentarische Opposition derjenigen Parlamentarier gebildet, die partout nicht aus ihren vom Kreml zur Verfügung gestellten Dienstwohnungen ausziehen wollen.

Parlamentarier im Hotel

Insgesamt 64 neugewählte Volksvertreter warten nun schon seit Wochen in dem Mittelklasse-Hotel "Rossija" darauf, dass ihre Vorgänger die von ihnen bezogenen Quartiere räumen, doch die zeigen sich stur und legen ein ganz und gar nicht parlamentarisch-vorbildliches Verhalten an den Tag.

Manche von ihnen lassen sich einfach in dem von der Kremlverwaltung gebauten Komplex mit Elitewohnungen verleugnen und verweigern sogar die Annahme von Briefen. Der Kreml, vielmehr die Liegenschaftsabteilung, geht inzwischen mit aller Härte der Putinschen Diktatur des Gesetzes vor und bemüht nun die Gerichte, um die trotzigen Deputierten aus ihren Quartieren zu vertreiben.

Mögliches Strafverfahren

Der Sprecher der Kreml-Liegenschaftsabteilung hält sogar ein Strafverfahren für möglich, denn streng genommen sind die Ex-Abgeordneten mit der Neuwahl des Parlaments nicht nur ihrer kostenfreien Vier-Zimmer-Luxus-Appartments verlustig geworden, sondern darüberhinaus auch gleich ihrer Aufenthaltsberechtigung für Moskau.

In der russischen Hauptstadt gelten strenge Vorschriften für Zugezogene: Jeder Fremde muss sich innerhalb von drei Tagen registrieren, um legal in Moskau zu leben. Dazu braucht er sowohl eine Arbeit als auch eine feste Wohnung.

Geliebte Privilegien

Natürlich kann man es Iwan Normal-Deputierter nicht verdenken, der aus dem sibirischen Dorf kommend vier Jahre lang nicht nur die Annehmlichkeiten der russischen Hauptstadt, sondern auch die Annehmlichkeiten eines weichen Parlamentssessel genoss, wenn er sich nur schwerlich von den vertraut gewordenen Privilegien trennen mag.

Doch wie viele der russischen Probleme ist auch dieses ein hausgemachtes. Zwar sind die Gehälter zumeist mickrig, doch der Staat meint es dennoch gut mit seinen höheren Angestellten, Funktions- und Würdenträgern. Die Liegenschaftsverwaltung des Kremls ist Herr eines riesigen Arsenals von Dienstwohnungen, Regierungsdatschen und Fuhrparks edler Karossen. Je höher das Amt, desto beeindruckender die Privilegien: Vom Wochenendhäuschen bis hin zur Luxuslimousine mit Blaulicht.

Staatliche Streicheleinheiten

Offiziell werden aus dem Staatsbudget 91 Millionen Euro bereitgestellt, um Diäten, Dienstwohnung, Dienstwagen, Dienstdatscha und andere Vergünstigungen für die Amtsträger zu bezahlen. Solche Streicheleinheiten von Staats wegen machen natürlich nicht nur gefügig, sondern auch empfänglich dafür, das Amt mehr als Futtertrog, denn als Pflicht zu sehen. Im Kampf gegen die allgegenwärtige Korruption wäre Russland einen großen Schritt weiter, wenn es das System der Entlohnung seiner Funktionäre und Staatsdiener umkehren würde: Weniger staatliche Hätschelei und dafür ein angemessenes Salär. Dann könnten sich russische Parlamentarier auch eine Mietwohnung leisten.