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Schweigen brechen

3. März 2010

Israelische Menschenrechtler wollen die Bundesregierung um mehr Unterstützung bitten. Sie glauben, dass Deutschland zum Nahost-Konflikt schweigt, während international die Unterstützung für die Menschenrechtler wächst.

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Yehuda Shaul, einer der Gründer von 'Breaking the Silence' (Foto:DW/Bettina Marx)
Yehuda Shaul, einer der Gründer von 'Breaking the Silence'Bild: DW
Israelische Soldaten mit einem palästinensischen Gefangenen(Foto:ap)
Israelische Soldaten mit einem palästinensischen GefangenenBild: AP

Am liebsten wäre es dem israelischen Reservisten Yehuda Shaul, wenn er vor Gericht gestellt würde: "Ich habe in meinem Militärdienst so viele Untaten begangen, dass ich dafür eigentlich für Jahrzehnte ins Gefängnis müsste", sagt er. "Aber wenn man mich vor Gericht stellen würde, dann müsste man das auch mit meinen Vorgesetzten tun. Ich würde mich freuen, wenn es passieren würde, denn das wäre der wichtigste politische Akt, den ich in meinem Leben tun könnte: für das gerade zu stehen, was ich getan habe. Damit würde das gesamte System des Unrechts im Westjordanland vor Gericht stehen."

Das Schweigen brechen

Ein israelischer Soldat in Hebron hält mit angelegter Waffe palästinensische Kinder in Schach (Foto:ap)
Kinder im Visier: Ein israelischer Soldat im Einsatz im besetzten HebronBild: AP

Yehuda Shaul ist 27 Jahre alt, in Jerusalem geboren, orthodoxer Jude. Seinen dreijährigen Militärdienst absolvierte er in Hebron, wo eine kleine Minderheit von rund 600 extremistischen jüdischen Siedlern unter 220.000 Palästinensern lebt. Nach seinem Militärdienst gründete er mit Kameraden die Organisation "Breaking the silence – das Schweigen brechen". Zum ersten Mal berichteten die jungen Männer einer geschockten israelischen Öffentlichkeit, wie sie in Hebron Palästinenser misshandelt und gedemütigt hatten, wie sie ihre Autos konfisziert, ihr Eigentum beschädigt und ihre Toten geschändet hatten, wie sie ihnen das Leben zur Hölle gemacht hatten.

"Man gewöhnt sich so schnell daran," sagt Yehuda Shaul heute. Und er berichtet davon, wie er mit anderen israelischen Soldaten in ein palästinensisches Haus eingedrungen ist und die Familie in ein Zimmer eingesperrt hat, nur um sich dann in Ruhe ein Fußballspiel im Fernsehen anzuschauen. "Solche Dinge haben wir Soldaten alle getan," erzählt der Israeli.

Menschenrechtsverletzungen im Gazakrieg?

Seit 2004 brechen sie nun das Schweigen, klären die israelische und die internationale Öffentlichkeit über die Besatzung auf. Auch nach dem Gazakrieg vor einem Jahr veröffentlichten sie die Zeugenaussagen von israelischen Soldaten. Aussagen wie diese des jungen Soldaten Amir: "Die Anweisungen, die wir früher immer bekommen hatten, dass man Zivilisten schonen muss, galten diesmal nicht. Stattdessen hieß es: 'Gibt es ein Problem, dann schießt und stellt keine Fragen!'"

Die im Gaza-Krieg völlig zerstörte Salahaddin-Straße in Rafah (Foto:ap)
Im Gaza-Krieg wurden weite Teile des Landstrichs, so wie hier die Salahaddin-Straße in Rafah, völlig zerstört. Insgesamt starben während des Krieges rund 1400 Palästinenser und 13 israelische Soldaten.Bild: AP

Es sind solche Äußerungen, die Zeugnisse israelischer Soldaten aus dem Gazakrieg, über die Yehuda Shaul nun in Deutschland gesprochen hat. Dazu traf er Politiker, Beamte im Auswärtigen Amt und Mitglieder des Menschenrechtsausschusses. Zum ersten Mal führte er mit seiner Organisation "Breaking the Silence" eine systematische Tour nach Europa und in die USA durch. Für Shaul bildete der Krieg in Gaza einen Wendepunkt: "Es ist unsere moralische Verpflichtung als Soldaten, die dort waren, der Welt zu erzählen, was wir dort getan haben."

Trägt auch Deutschland eine Mitschuld?

Auch Yahav Zohar vom Israelischen Komitee gegen Häuserzerstörungen war in Deutschland unterwegs. Auch er warb um Unterstützung für die israelischen Menschenrechtler, die sich für Frieden und Gerechtigkeit im Nahen Osten einsetzen. Zohar sprach dabei hauptsächlich über die Lage der Menschenrechte im Westjordanland und in Gaza und über die deutsche Verstrickung in Menschenrechtsverletzungen. Der Menschenrechtler wies darauf hin, dass es das deutsche Gesetz verbiete, Waffen dorthin zu liefern, wo sie gegen die Menschenrechte und für die Unterdrückung von Zivilisten eingesetzt werden können. Und dennoch gebe es diese Lieferungen. Deutschland müsste sich nur an seine eigenen Gesetze halten, sagt Yahav Zohar, dann wäre schon viel gewonnen.

Pro-palästinensische Proteste gegen den Gaza-Krieg in Frankreich (Foto:ap)
Pro-palästinensische Proteste gegen den Gaza-Krieg in FrankreichBild: AP

In 24 deutschen Städten hat der junge Mann aus Jerusalem über die Lage der Menschenrechte in den palästinensischen Gebieten gesprochen und dabei festgestellt, wie schwer es den Deutschen fällt, das Thema vorurteilsfrei zu diskutieren. Eine Erkenntnis, die Zohar beunruhigt: "Dass es hier Dinge gibt, die keine Volksverhetzung und kein Aufruf zur Gewalt sind und die man dennoch nicht aussprechen darf, das ist, glaube ich, eine Gefahr für die deutsche Demokratie."

International, etwa in Großbritannien oder Frankreich, wachse die Bewegung von Bürgerrechtlern, die eine gerechte Friedenslösung im Nahen Osten fordere und auf die Einhaltung der Menschenrechte bestehe, erzählt Zohar. Nur in Deutschland finde diese Bewegung kaum Unterstützung. Und dies verhindere, dass die Europäische Union ihre Israel-Politik verändere und die Einhaltung des internationalen Rechts fordere.

Autor: Bettina Marx

Redaktion: Thomas Latschan