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"Auch die Kirche wird zum Spielball der Politik "

15. März 2002

- In Ungarn mangelt es offenbar an Demokratie

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Budapest, 13.3.2002, BUDAPESTER ZEITUNG, deutsch

Der Bundestagsabgeordnete Markus Meckel (SPD) warf der ungarischen Regierung ein Demokratiedefizit vor. Dies beginne bei der Ablehnung von Untersuchungsausschüssen und reiche bis zur Diskriminierung der Gegner als Vaterlandsverräter, kritisierte er am Montag (11.3.) auf einem Forum der Friedrich-Ebert-Stiftung. Meckel diskutierte mit Gábor Fodor (SZDSZ (Bund Freier Demokraten - MD)) und László Donáth (MSZP (Ungarische Sozialistische Partei - MD)) die Entwicklungschancen der politischen Kultur in Ungarn.

"Die Reduzierung der Möglichkeiten des Parlaments ist problematisch", merkte Meckel an, denn "die Opposition habe unbestreitbare Rechte. Das ist doch der Knackpunkt der parlamentarischen Demokratie an sich. Der Mehrheit unterlaufen doch auch Fehler, so ist es dem sozial-liberalen Kabinett unter Gyula Horn etwa mit dem Mediengesetz geschehen, das nun zurückschlägt." Der Rest Europas habe übrigens auch keine Patentlösungen zur Kontrolle von Medienmogulen und ihrer Meinungsmacht, meinte Meckel mit Blick auf Italiens Premier Silvio Berlusconi.

Die Forderung der Koalitionsparteien, die Vertreter der Opposition sollten untereinander in der offenen Frage der Besetzung der Medienkuratorien einig werden, sei absurd. Meckel: "Niemand würde so etwas von der CDU und der PDS im Bundestag verlangen." Ebenfalls stelle es ein Demokratiedefizit dar, wenn die Koalitionsparteien die Einrichtung von Untersuchungsausschüssen mit ihrer Mehrheit verhindern. "Die Regierung muss für die ganze Gesellschaft handeln, nicht nur für ihr Klientel", so Meckel.

Die Mehrheit an Mandaten im Parlament sichere nur das Recht zum Regieren zu, nicht aber den Grund der Teilung der Mitmenschen in Gute und Böse und die Abstempelung der politischen Gegner als Landesverräter. Es gäbe keine Parteien oder Ideologien, die die Wahrheit gepachtet hätten, so Meckel. Wahrheitsmonopole seien nur Diktaturen eigen. "In Demokratien ist die Macht zeitlich begrenzt, die Mehrheit stellt nicht automatisch auch die Wahrheit dar", schloss der SPD-Politiker.

Gábor Fodor sah vor allem die Gefahr, dass sich der Fidesz (Bund Junger Demokraten - MD) zur dominanten Staatspartei entwickelt. Der einstige Fidesz-Mitbegründer warnte davor, dass die Regierungspartei zu großen Einfluss in allen Bereichen des öffentlichen Lebens ausübe. Seit 1998 werde der Spielraum der Demokratie radikal eingeengt, kritisierte Fodor. Hierzu gehören die dreiwöchigen Tagungsintervalle der Plenarsitzungen des Parlaments, die Einschränkung der Unabhängigkeit der Justiz durch materielle Erpressung und die Ernennung treuer Parteianhänger in verantwortungsvolle Positionen.

In dieselbe Kategorie zählte der Politiker die Umwandlung des öffentlich-rechtlichen Radios und Fernsehens zu Sprachrohren der Regierung und die finanzielle Favorisierung der Kommunen je nach Parteizugehörigkeit ihrer Würdenträger. Parallel dazu mache der Fidesz die rechte politische Extreme salonfähig, um die entsprechende Wählerbasis zu kassieren. "Wer für den Fidesz stimmt, bekommt als Zugabe auch die MIÉP (Ungarische Gerechtigkeitspartei - MD) dazu!", warnte Fodor. "Es gibt Anlass zur Sorge, dass der Fidesz eine neue Staatspartei errichtet. Die Nichtbeachtung der demokratischen Rechte führte im öffentlichen Leben der letzten Jahren zu regelrecht verheerenden Auswirkungen."

Auch die Kirche werde zum Spielball der Politik, meinte der evangelische Pfarrer und MSZP-Abgeordnete László Donáth. Angehörige des katholischen Bischofskorps in Ungarn stellten sich zunehmend in den Dienst der vom Fidesz verkörperten aggressiven Politik. "Manche lassen sich in weiser Voraussicht nicht auf eine Stasi-Mitarbeit durchleuchten", kritisierte Donáth. Viktor Orbán nehme der Kirche mit Geldgeschenken die Seele weg, er reiche aber postwendend auch die Rechnung bei ihr ein, wie man das an der Beteiligung der Kirchen und vieler Würdenträger im Wahlkampf für das konservative Lager mitverfolgen kann. (fp)