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"Auch eine CDU-Regierung wird sich Unmut und Protest einhandeln"

10. August 2005

Parteienforscher Klaus Detterbeck gibt im wöchentlichen Wahlkampf-Check Antworten auf Fragen zur Wahl 05. Diesmal: Ist das rot-grüne Projekt am Ende und sind die Klagen vor dem Verfassungsgericht gerechtfertigt?

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DW-WORLD: Die Kläger vor dem Bundesverfassungsgericht wie der Grünen-Abgeordnete Werner Schulz und die SPD-Parlamentarierin Jelena Hoffmann sehen in der absichtlich verlorenen Vertrauensfrage eine Schwächung der parlamentarischen Demokratie. Wie berechtigt ist dieser Vorwurf?

Klaus Detterbeck: Die Kläger zeichnen ein veraltetes Ideal einer parlamentarischen Demokratie, in der freie Abgeordnete der Regierung gegenüberstehen und diese kontrollieren. In der Realität gibt es eine Handlungseinheit von Regierung und parlamentarischer Mehrheit im Bundestag, die gemeinsam versuchen, ihren politischen Kurs - für den sie von den Wählern einen Auftrag bekommen haben - gegenüber der Opposition durchzusetzen. Eine Regierung ist nur solange handlungsfähig, wie sie auf eine stabile Mehrheit im Bundestag bauen kann. Daher ist die Gretchenfrage, ob die Regierung Schröder noch eine solche stabile Mehrheit besessen hat.

Die inszenierte Neuwahl belegt eine Überlegenheit der Regierung gegenüber dem Parlament, die jedoch für moderne parlamentarische Systeme kennzeichnend ist. Der Bundestag ist ein Fraktionenparlament. Die Fraktionen organisieren die Arbeit im Parlament und sie strukturieren auch, bis auf wenige Ausnahmefälle, das Abstimmungsverhalten. Nur mit disziplinierten Fraktionen ist es möglich, dass eine Regierung verlässlich arbeiten kann. Hier argumentieren die Kritiker somit meines Erachtens ins Leere.

Ist der von Schröder gewählte Weg zu Neuwahlen über die Vertrauensfrage also unbedenklich?

Nein, ich halte den Vorgang aus einem anderen Grund für bedenklich. Kanzler Schröder hat hier, wie auch bei früheren Gelegenheiten, eine Entscheidung vorbei an allen Parteigremien gefällt. Der Plan zur Neuwahl entsprang einem informellen Kreis um Schröder und Müntefering; Vorstand und Präsidium erfuhren davon erst am Abend der Wahl in Nordrhein-Westfalen. Parlamentarische Systeme werden jedoch von Parteien getragen, die in innerparteilichen Prozessen zu politischen Positionen gelangen. Hier wird tatsächlich Kontrolle ausgeübt, wenn Amtsträger sich für ihre Entscheidungen den Rückhalt ihrer Partei sichern müssen. Wo entscheidende Weichenstellungen jedoch nicht mehr der internen Kontrolle der Parteien unterliegen, wird aus der Parteiendemokratie einer Kanzlerherrschaft.

Und noch ein Punkt ist bedenklich: Schröder hat wiederholt argumentiert, dass er für seine Reformen nicht auf sichere Mehrheiten in der Partei und Fraktion bauen kann. Darum suche er ein Mandat vom Volk für seinen Kurs, dem sich dann – das ist offensichtlich die Logik – die Partei zu fügen habe. Der Kanzler fragt also nach einer plebiszitären Bestätigung seines Willens, um interne Kritik verstummen zu lassen. Dies würde ich nun tatsächlich als eine Schwächung bezeichnen, eine Schwächung der Parteiendemokratie.

Es gilt als unwahrscheinlich, dass die rot-grüne Koalition die Wahl gewinnen kann. Ist dies das Ende des rot-grünen Projektes?

In der Tat wäre bei einer Niederlage Rot-grün zunächst von der Landkarte verschwunden; in Kiel und Düsseldorf sind dieses Jahr die letzten Landesregierungen dieser Koalition abgewählt worden. Aber nein, ich glaube nicht, das dies das Ende von Rot-grün ist. Wir werden bereits in den kommenden Jahren wieder Koalitionen von SPD und Grünen auf Landesebene sehen. Für diese Annahme gibt es mehrere Begründungen: Zum einen sind die Grünen weiterhin die Partei, mit der die SPD die meisten politischen Gemeinsamkeiten hat. Der anstehende Generationenwechsel bei beiden Parteien wird dies noch deutlicher hervor­treten lassen. Zum zweiten sind die Grünen in den Ländern gefestigt genug, um der SPD als Koalitionspartner zur Seite zu stehen; es ist nicht zu erwarten, dass die Grünen, wie die FDP in den 1990er Jahren, einen Auszug aus den Landtagen erleben müssen.

Zum dritten wird sich der politische Wind wieder drehen. In den vergangenen Jahren konnte die CDU, oftmals mit Hilfe der FDP, in den Ländern sozialdemokratisch geführte Regierungen ablösen. Dabei profitierte sie von der Unzufriedenheit mit der Bundesregierung wie auch von mangelnden Erfolgbilanzen der SPD-Länder. Dieser "Amtsmalus" wird nun in den kommenden Jahren vermehrt CDU-Regierungen treffen. Die wirtschaftlichen Probleme des Landes sind kurzfristig zu gravierend, als dass Regierungen, gleich welcher Couleur, sich nicht Unmut und Protest einhandeln würden. Enttäuschte Wähler werden sich von der CDU abwenden. Entsprechend werden sich auch die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat wieder zugunsten der Linken verändern. Im Laufe dieser Entwicklung wird es zu einer Renaissance von Rot-grün kommen.

Klaus Detterbeck Bundestagswahl 05 Experte Porträtfoto
Klaus Detterbeck

Der Politologe und Parteienforscher Klaus Detterbeck (Jahrgang 1966) lehrt und arbeitet am Institut für Politikwissenschaft der Universität Magdeburg.