1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Per Tretroller durch Deutschland

Gönna Ketels10. Mai 2013

DW-Reporter Michael Wigge hat ein ehrgeiziges Ziel: Mit dem Tretroller einmal quer durch Deutschlands Provinz fahren - in nur 80 Tagen. Die ersten 40 Tage führten ihn bereits an skurrile Orte und körperliche Grenzen.

https://p.dw.com/p/18UF9
Michael Wigge auf dem Tretroller in Norddeutschland
Michael Wigge: Auf einem Tretroller in 80 Tagen von Sylt nach BayernBild: DW

"Los, los! Weiter!" Drei ältere Damen an einer Bushaltestelle klatschen begeistert in die Hände und feuern Michael Wigge spontan an, als er auf einer Landstraße an ihnen vorbeizieht. Ob sie wohl wissen, dass der Mann auf dem Tretroller in 80 Tagen eine Strecke von 2473 Kilometern zurücklegen möchte? Michael Wigge winkt freundlich und rollert unbeirrt weiter.

Ein Blick auf sein Fahrradnavi verrät: 1238 Kilometer hat er insgesamt schon geschafft. Heute liegen noch 32 Kilometer vor ihm bis nach Walldorf in Thüringen. Dann ist nicht nur sein Tagespensum geschafft, sondern auch auf den Tag genau die Hälfte seiner Deutschlandreise. Die führt ihn vom nördlichsten Punkt auf Sylt bis zum südlichsten Zipfel in Bayern.

Dass er mit seinem überdimensionalen Kinderroller und dem roten Trainingsanzug Blicke auf sich zieht, ist Michael Wigge inzwischen gewohnt. Viele Menschen sehen so einen Tretroller zum ersten Mal. "Ein Mann hat mich neulich aus dem fahrenden Auto mit dem Handy gefilmt, weil er mich für verrückt hielt."

Jenseits der Touristenpfade

Um größere Städte und bekannte Sehenswürdigkeiten macht Michael Wigge auf seiner Reise einen großen Bogen. Mit dem Tretroller darf er überwiegend nur Fahrradwege benutzen. So entdeckt er abseits der ausgetretenen Touristenpfade skurrile Orte der deutschen Provinz: Dörfer namens Brasilien, Kalifornien und Elend zum Beispiel; oder den Erfinderclub in Schleswig-Holstein. Mit insgesamt 30.000 Patentanmeldungen jährlich ist Deutschland Spitzenreiter in Europa.

Screenshot: Reportage der Euromaxx-Serie "Auf dem Tretroller durch Deutschland".
Michael Wigge (r.) mit Jürgen Kolk - einem von acht Bewohnern des kleinsten DorfesBild: DW

Überall versucht Wigge mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. "Es sind ja gerade die kleinen Dinge am Wegesrand, die viel über unsere Kultur verraten", sagt er. In Wolfsburg etwa begegnete er zehn Handwerksgesellen auf der Walz. So nennt man die traditionelle Wanderzeit, auf die zukünftige Handwerker nach ihrer dreijährigen Lehre gehen. Sie sollen erst bei anderen Arbeitgebern Erfahrung sammeln, bevor sie die Meisterprüfung ablegen. Dafür können sie auch ins Ausland reisen. "Die jungen Männer haben mir erzählt, dass sie in Deutschland oft belächelt werden - während Menschen aus anderen Ländern ihnen sehr interessiert Fragen stellten", sagt Wigge. In Deutschland ist die Tradition rückläufig, derzeit sind etwa 500 Wandergesellen unterwegs.

Deutsche streben nach Superlativen

Auch das kleinste Haus, den tiefsten Punkt und die älteste Eiche Deutschlands hat Michael Wigge besucht. Sein Fazit: Die Deutschen streben nach Superlativen. Selbst auf kleine Schönheitsfehler seien die Einheimischen stolz - solange sie einzigartig sind: "In einem Laden nebenan kann man zum Beispiel Mitbringsel vom schiefsten Kirchturm Thüringens kaufen." Der sei angeblich schiefer als der Turm von Pisa.

In der Mitte steht das kleinste Haus Deutschlands - ein Fachwerkhaus in Wernigerode. Screenshot: Reportage der Euromaxx-Serie "Auf dem Tretroller durch Deutschland".
Das kleinste Haus steht in Wernigerode im HarzBild: DW

Wo der Lokalpatriotismus noch zu wünschen übrig lässt, stellt Wigge seinen Roller auch mal länger ab und wird selbst aktiv: An einem von insgesamt sechs selbsternannten Mittelpunkten Deutschlands, in Niederdorla, lud er Dorfbewohner zum Yoga-Test ein. "Alle drei Testkandidaten meditierten und ermittelten ihre innere Mitte grandios genau. Der Beweis ist also erbracht: Die Niederdorlarer sind die wirkliche Mitte Deutschlands", verrät Michael Wigge.

Blog, Buch und TV-Berichte

Es ist fast 16 Uhr. Nach knapp acht Stunden Fahrt lehnt Michael Wigge den Tretroller in Walldorf an ein kleines weißes Wohnmobil - sein sieben Quadratmeter großer Wohn- und Arbeitsplatz während der Reise. Drinnen wartet schon Kollegin Mechthild Ermisch, die Wigge mit dem Wagen begleitet und seine Reise mit organisiert. Denn Feierabend ist jetzt noch lange nicht. Abends arbeiten Reporter und Redakteurin an Reiseberichten für das Magazin "euromaxx", ab dem 4. August werden sie im DW-Fernsehen ausgestrahlt. Außerdem schreibt Michael Wigge von unterwegs ein Blog und ein Reisetagebuch, das im Herbst als Buch erscheint.

Auf dem Tretroller durch Deutschland

Bis dahin hat der rasende Rollerreporter noch einiges vor: die anstrengenden Steigungen in Taunus, Schwarzwald und den Alpen zum Beispiel. Auf der bisher steilsten Strecke, im Harz, musste der völlig erschöpfte Wigge bereits einmal absteigen und weiterschieben. Er ist trotzdem optimistisch, dass er sein Ziel innerhalb der geplanten 80 Tage erreicht: "Ich freue mich jetzt schon darauf, ins Ziel am Haldenwanger Eck in Bayern einzufahren - und danach wieder auf meine Wohnung!" Doch viel Zeit zum Träumen hat der Reporter nicht. Am nächsten Morgen wartet garantiert schon die nächste unterschätzte Sehenswürdigkeit auf ihn - mitten in der deutschen Provinz.