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Auf dem Weg zur Berufsarmee?

9. April 2002

Die Wehrpflicht in Deutschland steht auf dem Prüfstand. Weniger Bedrohung von außen und Einsätze in aller Welt sprechen für eine Berufsarmee. Vergleichbare Länder haben die Wehrpflicht abgeschafft oder planen dies.

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Soldatendasein: Müssen alle oder kann wer will?Bild: AP

Am Mittwoch (10. April) urteilt das Bundesverfassungsgericht (BVG) über die Abschaffung der Wehrpflicht in Deutschland. Nach dem Vorstoß mehrerer SPD-Landesvorsitzender zur Abschaffung der Wehrpflicht ist der Grundwehrdienst in Deutschland wieder in die Diskussion geraten.

Dabei verlaufen die Grenzen auch quer durch die Parteien. So sprach sich SPD-Generalsekretär Franz Müntefering jüngst in Berlin persönlich für die Wehrpflicht aus. Müntefering räumte ein, dass viele jüngere SPD-Mitglieder für die Abschaffung der Wehrpflicht seien, wollte aber nicht von einem Riss durch die Partei sprechen. Er sei für eine "Armee dicht an der Gesellschaft".

FDP-Vizechef Jürgen Möllemann kündigte für den Bundestagswahlkampf eine Unterschriftenkampagne für die Aussetzung der Wehrpflicht an. Die Unionsparteien bekräftigten ihr Eintreten für die Wehrpflicht, jedoch gibt es dort Überlegungen, Wehrpflichtige nur noch für den Heimatschutz und nicht mehr im Ausland einzusetzen.

Der PDS-Fraktionsvize im Bundestag, Wolfgang Gehrcke, forderte zudem nicht nur die Abschaffung der Wehrpflicht, sondern auch eine drastische Verkleinerung der Bundeswehr auf 100.000 Mann. Deren einzige Aufgabe solle die Landesverteidigung sein. Für die völlige Abschaffung des Grundwehrdienstes treten in ihrem Wahlprogramm auch die Grünen ein.

Die Geschichte und die Sicherheitslage

Das Urteil des BVG wird von allen Parteien mit Spannung erwartet. Bei dem Streit um die Wehrpflicht spielen historische Argumente ebenso eine Rolle wie die aktuelle Sicherheitslage in Europa. Befürworter der Wehrpflicht argumentieren, dass möglichst viele Bürger in einer Demokratie Soldaten sein sollten.

Der Grund: Eine reine Berufsarmee könnte ein Fremdkörper im Staat sein. Diese Idee entspringt vor allem den Erfahrungen der Weimarer Zeit zwischen den Weltkriegen. Die damalige Reichswehr war eine Berufsarmee, deren Angehörige sich vor allem den militärischen Idealen, aber nicht der jungen deutschen Demokratie verpflichtet fühlten.

Dies erleichterte den politischen Aufstieg der Nationalsozialisten. Diese führten nach der Machtübernahme 1933 schon bald die Wehrpflicht wieder ein, um den Angriffskrieg vorzubereiten. Gegner der Wehrpflicht argumentieren, dass diese Gefahr im demokratischen Deutschland nicht mehr gegeben sei. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Wehrpflicht wiederum eingeführt, um genügend Soldaten für die Bundeswehr während des Ost-West-Konfliktes zu gewinnen. Auch diese Gefahr ist vorbei, weniger Soldaten werden heute benötigt.

Zwischen Wehrpflicht und Freiwilligenarmee

Ein Blick in die Partnerländer und Nachbarn Deutschlands zeigt, wie unterschiedlich diese ihre Armeen organisieren und spiegelt den Umbruch wider. Frankreich hat nach Jahrzehnten der Wehrpflicht diese nun abgeschafft. 317.000 Soldaten dienen dort in einer reinen Berufsarmee. Auch in Italien gibt es derzeit noch über 120.000 Wehrpflichtige, doch auch das italienische Heer soll bis 2005 aus Freiwilligen bestehen, und auf 190.000 Soldaten von derzeit 250.000 verringert werden. Gleiches gilt für Spanien. Eine reine Berufsarmee soll 2003 eingeführt werden, von 187.000 Soldaten sind 103.000 Wehrpflichtige, die neun Monate Dienst leisten.

In den USA gibt es hingegen mit 1,4 Millionen Soldaten die größte reine Berufsarmee. Als der Vietnamkrieg 1973 für die Amerikaner verloren ging, wurde die Wehrpflicht abgeschafft. In Russland dauert der Wehrdienst hingegen 2 Jahre, in Israel, das stets mit der arabischen Bedrohung leben musste, sogar drei Jahre. Großbritannien hat ebenfalls eine Berufsarmee mit 212.000 Soldaten. Die Landesverteidigung übernimmt ein Milizsystem auf freiwilliger Basis. Kanada unterhält eine Berufsarmee mit 61.000 Soldaten. In den Niederlanden sind 56.000 Soldaten aktiv, die Wehrpflicht gibt es seit 1996 nicht mehr. Ein Jahr zuvor schaffte Belgien den Grundwehrdienst ab und unterhält seither 42.000 Soldaten.

Die zweitgrößte Armee aller NATO-Staaten und die meisten Wehrpflichtigen unterhält die Türkei mit 640.000 Angehörigen. 528.000 davon sind Wehrpflichtige, die 18 Monate eingezogen werden. Auch der NATO-Kandidat Polen setzt noch auf den Grundwehrdienst: Die Streitkräfte zählen 240 000 Soldaten, davon sind rund 142.000 Wehrdienstleistende für ein Jahr. In vielen kleineren Staaten Europas wie Griechenland, Tschechien, Ungarn, Norwegen und Dänemark gibt es ebenfalls Wehrpflichtarmeen. Ein Sonderfall ist die Schweiz mit ihrer nur auf Verteidigung eingerichteten Milizarmee. 120.000 Männer sind dort unter Waffen. Nach der 100-tägigen Grundausbildung wird jeder Wehrfähige alle 2 Jahre für 20 Tage eingezogen, auf eine Dauer von 20 Jahren. (dk)