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Auf dem Weg zur Gleichschaltung

Ute Schaeffer22. Januar 2002

Seit dem Amtsantritt von Präsident Putin kommen aus Moskau immer wieder Berichte über die Behinderung oder die Schließung unabhängiger Medien. Nun wurde TW-6, der letzte unabhängige, landesweite Sender abgeschaltet.

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Harte Hand: Präsident PutinBild: AP

Aus seiner Wut macht der Kommentator der russischen Zeitung "Nowyje Iswestija" keinen Hehl: "Die Bürger fallen in Trance und nehmen allen Ernstes an, dass es immer nur um einzelne Sender, einzelne Journalisten oder einzelne Firmen geht. Die verzauberten Russen weigern sich beharrlich einzusehen, dass die Herren in den grauen Anzügen, wenn die Presse erst erledigt ist, sich die Zuschauer vorknöpfen werden."

Wirtschaft, Justiz und Politik arbeiten zusammen

Vorgeknöpft hat sich die russische Politik und Justiz vor rund einer Woche eine weitere kritische und Kreml-unabhängige Stimme: den privaten Fernsehsender TW-6. Das oberste Schiedsgericht in Moskau entschied am 11. Januar: TW-6 darf wegen Verschuldung des Mutterkonzerns MNWK aufgelöst werden.

Der staatsnahe Erdöl-Konzern Lukoil hatte als Investor die Entscheidung erzwungen. Das Vorgehen gegen TW-6 ähnelt dem Verfahren, das zur Auflösung des regierungskritischen Medienkonzerns Media-Most vor fast einem Jahr geführt hat. Das Vorgehen ist immer das gleiche - Wirtschaft, Politik und Justiz setzen sich gemeinsam gegen unliebsame, kritische Medienstimmen zur Wehr. Regie führt der Kreml selbst.

Zwei große Mediengruppen

Was in Russland passiere, sei staatliche Monopolisierung der Medien, kritisieren Journalisten vor Ort. Oder - wie die Nichtregierungsorganisation 'Stiftung zur Verteidigung der Glasnost' das Vorgehen gegen TW-6 kommentiert: "Wenn es TW-6 nicht mehr gibt, bleiben nur noch zwei große Mediengruppen in Russland übrig: staatseigene und staatstragende."

Die Strukturen von NTW und TW-6 ähneln sich: beide gehörten - beziehungsweise gehören - Kreml-kritischen Geschäftsleuten - Wladimir Gussinski im Falle von NTW und Boris Beresowski bei TV-6. Beide Medienmagnaten sind ins Ausland geflohen. Sowohl Media-Most wie TW-6 brachte die russische Justiz durch den Vorwurf wirtschaftlicher Unregelmäßigkeiten sowie der Zahlungsunfähigkeit zu Fall.

An den Konzernen von Gussinski und Beresowski hängt die Existenz weiterer Medien, wie die Tageszeitung "Sewodnija" (die inzwischen eingestellt wurde) und das Nachrichtenmagazin "Itogi" oder auch das Inforadio "Echo Moskwy". Doch das erste Ziel der politischen Führung waren die landesweiten Fernsehkanäle, denn sie erreichen die meisten Menschen im Land. Durch die Schließung von TW-6 sind nun alle drei landesweiten russischen Fernsehkanäle in Kreml-naher Hand. Bei den regionalen Sendern sieht es nicht besser aus: Hier halten die jeweiligen Gouverneure die Medien an der kurzen Leine.

Beunruhigende Beispiele

Zwei Jahre nach Amtsantritt von Wladimir Putin wird in Russland wieder rigoros gegen freie und kritische Stimmen in Presse und Publizistik vorgegangen, werden die Medien auf Linie des Kreml getrimmt. Und gerade in der jüngsten Vergangenheit gibt es dafür viele aktuelle und beunruhigende Beispiele: Der Umweltjournalist und ehemalige Offizier der russischen Armee, Grigori Pasko sitzt seit dem 25. Dezember im Gefängnis. Er wurde aufgrund seiner journalistischen Arbeit - Berichte über Umweltsünden der russischen Marine und die Versenkung radioaktiven Mülls im Meer - zu vier Jahren Lagerhaft verurteilt. Die Urteilsbegründung: Spionage. Der russische Geheimdienst soll in seinem Fall massiv Druck auf die Justiz ausgeübt haben. Oder der deutsche Zeitungskorrespondent Klaus-Helge Donath: Ihm droht wegen kritischer Berichterstattung über den zunehmenden Putin-Kult im Land der Verlust seiner Akkreditierung. Das Verfahren läuft noch.

Hinter all diesen Maßnahmen ist die Regie des Kreml spürbar. Welche Stoßrichtung die Putinsche Medienpolitik hat, wird deutlich, wenn man die Aktion der Präsidenten-treuen Jugendbewegung "Gemeinsamer Weg" betrachtet: eine große Umtauschaktion für kritische, junge Literatur "verwestlichter" Autoren wie Wiktor Pelewin oder Wiktor Jerofejew. Deren Werke bezeichnete der Vorsitzende der präsidententreuen Organisation als "Dreck". Ihre Bücher können an Sammelstellen eingetauscht werden gegen patriotische russische Literatur über den Zweiten Weltkrieg. Wohlgemerkt: Noch ist die Aktion nur freiwillig. Doch mancher fragt, wie lange das so bleibt.