1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

"Auf der Alm, do gibt's koa Sünd"

Henrik Hübschen17. Juli 2003

Es gab eine Zeit, da ging es Leavenworth im nordamerikanischen Bundesstaat Washington schlecht. Die Einwohner fassten einen Entschluss: Leavenworth sollte bayerisch werden - die ganze Stadt ein Themenpark.

https://p.dw.com/p/3g2o
Bild: AP

1965 war Leavenworth eine unauffällige amerikanische Kleinstadt im Bundesstaat Washington. Eine kleine Stadt mit einem großen Problem: Die meisten Einwohner hatten in der Sägemühle gearbeitet. Dann änderte die Eisenbahngesellschaft den Streckenverlauf, das Holz konnte nicht mehr abtransportiert werden. Deshalb machte die Sägemühle dicht und von einem auf den anderen Tag war Leavenworth arbeitslos.

Bayerisches Bergdorf? Machen wir!

Aber mit diesem Schicksal wollte man sich nicht abfinden. Kommissionen wurden gegründet, Experten befragt, und viele Vorschläge verworfen: Wodkafabrik? Abgelehnt. Indianerdorf? Abgelehnt. Bayerisches Bergdorf? - Das machen wir! Die Berge waren ja schon da.

Leavenworth liegt am Fuße der Cascade Mountains. Dort kann man sich tatsächlich vorstellen, in den Alpen zu sein. Nur die Bayern, die fehlten. Aber davon ließ man sich in Leavenworth nicht abhalten. Per Stadtratsbeschluss wurde Leavenworth zum bayerischen Alpendorf ernannt. Erlaubt sind seitdem nur Häuser im Alpenstil.

Was ist denn "echt bayerisch"?

Vom "Alpenstil" hatten die Amerikaner zunächst nur vage Vorstellung. Und so kam es, dass Fachwerk ihre Häuschen ziert - und nicht Rauhputz, wie in Bayern üblich. Denn erstens war Fachwerk billiger, und zweitens wusste man nur sehr wenig über Bayern. Das, was man wusste, wusste man von amerikanischen Soldaten, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Bayern stationiert waren. Und da kann so ein Fehler schon mal passieren.

Inzwischen gibt es eine Designkommission, die sich monatlich trifft. Die Hausbesitzer wurden aufgefordert, das Fachwerk gegen Rauhputz zu tauschen. Jede bauliche Veränderung und selbst jedes neue Schild werden geprüft. Deshalb hängen an der Dachkante von McDonalds jetzt Eiszapfen aus Holz, die Bank of America hat ihren Drive-In-Schalter mit Laubsägearbeiten verziert und die meisten Gebäude haben Giebeldächer und Holzbalkone, in deren Geländer Herzen eingesägt sind.

Reger Zulauf

Dass die Holzbalkone keine Böden haben, scheint da nicht weiter zu stören. Schließlich ist Leavenworth nicht aus einer German Community gewachsen, kein "Heimatdorf" fern von Europa. Leavenworth ist eine reine Geschäftsidee: eine Stadt als Themenpark. Mehr als 1,5 Millionen Menschen besuchen Leavenworth jedes Jahr. Sie wälzen sich zu Tausenden durch die Frontstreet und schleppen Tüten auf denen "Tannenbaum Shoppe" steht oder "Nussknacker Haus".

Sie stehen unter dem Balkon des "Hotels Enzian" und lauschen dem mit Gamsbart und Lederhosen verbayerten Schweden Bob Johnson beim Alphornblasen. Und sie kommen zum Feste feiern. Denn es gibt viele Feste zu feiern in Leavenworth. Das Oktoberfest und den Christkindlmarkt natürlich, aber auch das Akkordeonfest, das Sausage Fest und das Maifest - seit 1997 mit echtem Maibaum und einem aus Bayern eingeführtem Haflingergespann.

Bavaria is great

Jeder vierte Einwohner stammt mittlerweile aus Deutschland. Die Auswanderer finden hier ein Stück Heimat wieder, dass es zu Hause so gar nicht gibt. Und sie verkaufen den Amerikanern alles, was die sich so unter Bayern vorstellen: Kuckucksuhren aus dem Schwarzwald, erzgebirgische Räuchermännchen, Puppen, Weihnachtskrippen, Spieluhren und Nussknacker.

Fragt man die Amerikaner, wieso sie in Leavenworth ihr Geld ausgeben, bekommt man immer nur eine Antwort: "Bavaria is great and the food is good." Leavenworth ist schließlich genau wie Bayern. Und bestimmt nie mehr arbeitslos.