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Auf der Suche nach der eigenen Identität

Victoria Eglau2. März 2009

Jessica Schwarz dreht in Buenos Aires einen Film über eine Tochter von „desaparecidos“ der argentinischen Diktatur

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Bild: Filmakademie Baden-Württemberg

Das Hotel Reina im Zentrum von Buenos Aires atmet noch den Glanz vergangener Zeiten: hohe Stuckdecken, verschnörkelte Spiegel und ein schwarz-goldener, gußeisener Aufzug empfangen die Besucher. Die einstige Pracht wirkt heute abgeblättert. Neben Touristen mit beschränktem Reisebudget beherbergt das Ein-Stern-Hotel in diesen Tagen ein deutsch-argentinisches Filmteam.


An diesem Nachmittag wird eine Szene mit den deutschen Schauspielern Michael Gwisdek und Jessica Schwarz gedreht. Sie spielen in dem Streifen, der 2010 ins Kino kommen soll, Vater und Tochter. Die Handlung: Maria, eine junge Schwimmerin aus Deutschland, verkörpert von Jessica Schwarz, steigt auf einer Reise nach Chile am Flughafen von Buenos Aires um und hört dort zuefällig, wie eine Argentinierin ein Kinderlied singt.

Dreharbeiten zum Spielfilm El Nino
Dreharbeiten zu dem deutsch-argentinischen Spielfilm mit Jessica Schwarz in der HauptrolleBild: Filmakademie Baden-Württemberg

"Sie spricht kein Wort Spanisch, erkennt es wieder, kann den Text, fährt rein in die Stadt und fängt an, Dinge zu erkennen, in der Stadt. Und da ruft sie zuhause an bei ihrem Vater, der nicht da ist, und hinterlässt eine Nachricht und sagt: Ich bin in Buenos Aires und erkenne was wieder. Ruf mich mal zurück. Ich bin in dem und dem Hotel. Und der Vater ruft und ruft nicht an. Und 24 Stunden später steht er vor der Tür", schildert Regisseur Florian Cossen den Hergang der Geschichte.


Die Suche nach der eigenen Identität


Der Vater, vom schlechten Gewissen nach Buenos Aires getrieben, beichtet seiner Tochter, dass sie als Argentinierin geboren wurde und er sie, mit seiner inzwischen verstorbenen Frau, als Dreijährige an sich genommen hat. Maria macht sich auf die Suche: nach der eigenen Identität, nach der leiblichen Familie. Sie erfährt, dass ihre Eltern zu den desaparecidos, den Verschwundenen der argentinischen Militärdiktatur gehören. Sie trifft ihre Tante, die 27 Jahre lang nach ihr gesucht hat. Und das Verhältnis zu ihrem Adoptivater wird auf eine harte Probe gestellt. Geschichten wie die der Filmfigur Maria gibt es in Argentinien viele. Rund 500 kleine Kinder wurden während der Diktatur von 1976 bis '83 ihren Eltern geraubt. Fremde Familien eigneten sich die Babies an. In seltenen Fällen gelangten die Kinder auch ins Ausland.


Regisseur Florian Cossen, geboren 1979, erfuhr von diesen Ereignissen während eines Auslandssemesters in Buenos Aires. Der Film, den er gemeinsam mit Fabian Maubach dreht, ist das Diplomprojekt der beiden an der Filmakademie Baden-Württemberg. Es gehe nicht darum, die jüngste argentinische Geschichte aufzuarbeiten, betont Producer Maubach. „Wir möchten eigentlich eine Geschichte über zwei Menschen erzählen, die eine grosse Familienlüge verbindet. Und diese Geschichte ist verknüpft mit der Geschichte Argentiniens, ist aber aus der Sicht einer jungen Deutschen erzaehlt, die – wie die meisten unserer Generation – keine Ahnung haben, was hier Ende der siebziger Jahre passiert ist. Es geht darum, zwischen einem Vater zu stehen, der 30 Jahre lang ein toller Vater war, und einer leiblichen Familie, die man gerade erst kennengelernt hat, deren Sprache man nicht spricht, deren Kultur man nicht kennt. Die aber durch das Wiedertreffen ihr großes Trauma aufarbeiten. Und dieser Konflikt, wo nichts schwarzweiss ist, das ist es, was wir spannend fanden und das, was wir universell finden.“

Dreharbeiten zum Film El Nino
Maria (Jessica Schwarz) hat von ihrem Adoptivvater (Michael Gwisdek) erfahren, dass ihre leiblichen Eltern Opfer der argentinischen Militärdiktatur geworden sindBild: Filmakademie Baden-Württemberg

Sprachbarriere als Thema


In der Szene, die heute im Hotel Reina gedreht wird, verabschieden sich der deutsche Vater und die Tochter voneinander, Maria bleibt in Buenos Aires zurück. Später erzählt Jessica Schwarz, sie spiele die Rolle mit absichtlich wenig Vorwissen über die Geschehnisse der argentinischen Militärdiktatur. Denn auch die Maria fängt bei ihrer Spurensuche quasi bei Null an und weiss kaum etwas über ihr Geburtsland. „Man kann sich beim Film nicht ausschalten und sagen, ich weiss gar nicht, worum es hier geht – es wäre toll, wenn das gehen würde - aber es soll halt nicht so das Leben bestimmen, dass ich mich jetzt hier super auskenne. Also, ich schaue schon immer, dass ich drauf achte, dass alles noch irgendwie frisch bleibt.“


Genau wie die Filmfigur Maria kann auch Jessica Schwarz nur wenig Spanisch. Und die argentinischen Schauspieler sprechen kein Deutsch. Der Film umgeht die Kommunikationsproblematik nicht, im Gegenteil, er macht sie zum Thema. Diese Unmöglichkeit zweier Menschen, die sich einmal sehr nahe waren, miteinander zu sprechen. Weil man sie getrennt hat, als eine von ihnen ein Kind war, gehören sie nun verschiedenen Kulturen an“, sagt Beatriz Spelzini, die die Tante der Maria verkoerpert.


97 geraubte Kinder haben die Grossmütter der Plaza de Mayo bis jetzt gefunden. Sie alle haben das Trauma erlebt, als junge Erwachsene plötzlich den Boden ihres bisherigen Lebens unter den Füssen zu verlieren. Einen Menschen zu spielen, dem dies widerfahre, sei nicht einfach, sagt die 31jährige Jessica Schwarz: „Gerade dieser wunderschöne Anfang, nein, dieser eigentlich traumatische Anfang, wie das Ganze hochkommt, wo es um Erinnerungen geht, die durch einen kleinen, kurzen Moment auf einmal etwas auslösen, dass man körperliche Schmerzen – darauf habe ich fünf Stunden hingearbeitet, indem ich mich fünf Stunden zurückgezogen und keinen Ton mehr gesprochen habe, einfach nur ganz tief in mir gegraben und mir Dinge vorgestellt habe.“ Ein ganz unglaublicher Moment sei diese Szene gewesen, erinnert sich Jessica Schwarz: „Die Mutter hört auf zu singen, das Kind hört auf zu schreien, ich lasse meinen Gefühlen freien Lauf – und in dem Moment reisst der Himmel auf und es fängt an zu regnen – und ich dachte, das hat so eine Poesie, das ist so, als würde Argentinien um seine 500 verlorenen Kinder weinen.“