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Auf kultureller Mission im Weltall

Marie Todeskino24. August 2013

Im Mai 2013 drehte der Astronaut Chris Hadfield das erste Musikvideo im Weltraum. Doch die kulturelle Erschließung des Alls steht noch ganz am Anfang. Fliegen bald auch Künstler zu den Sternen?

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Astronaut Chris Hadfield spielt David Bowie-Song dpa
Astronaut Chris Hadfield spielt David Bowie-SongBild: picture-alliance/dpa

Ein schnauzbärtiger Mann, rotes T-Shirt, Jeans, weiße Tennissocken, blickt herrzerreißend ernst in die Kamera. Er schwebt mit einer Gitarre in der Hand in einem engen Schlauch voller technischer Geräte - und singt dabei. Der Mann ist der kanadische Astronaut Chris Hadfield, der ungewöhnliche Drehort die internationale Raumstation ISS. Durch seine Coverversion des David-Bowie-Hits "Space Oddity" wurde er im Mai 2013 zum Internetstar. Bei Youtube klickten mehr als 17 Millionen Nutzer das erste Musikvideo aus dem All an.

"Faust" im Weltraum

Die Idee, kulturelle Gegenstände mit in den Weltraum zu nehmen ist nicht neu. 1971 platzierten Apollo-15-Astronauten das erste Kunstwerk auf dem Mond, die kleine Statue "Fallen Astronaut". Der deutsche Raumfahrer Sigmund Jähn, der für die DDR ins All flog, nahm 1978 nicht nur das "Kommunistische Manifest" mit, sondern auch Johann Wolfgang von Goethes berühmte Tragödie Faust.

Schon an Bord der russischen Raumstation Mir gab es Gitarren, die ISS verfügt über ein eigenes Filmarchiv. Kosmonauten zeichneten im Weltraum mit Kreide und Pastellfarben. 1993 brachten Raumfahrer die abstrakte Skulptur "Cosmic Dancer" des Künstlers Arthur Woods zur Mir. Videos zeigen, wie sie sich in der Schwerelosigkeit auf eine ganz besondere Art bewegt. Und dann gibt es heute natürlich die modernen Kommunikationsmedien: Astronauten twittern und bloggen aus der Schwerelosigkeit. Es sind moderne Tagebücher aus dem Weltall.

Die Statue "Fallen Astronaut" auf dem Mond
Die Statue "Fallen Astronaut" auf dem Mond erinnert an 14 verstorbene Raumfahrer

"Angewandte Nostalgie"

Doch am wichtigsten sind Klänge: "Musik ist ein sehr starker Faktor. Viele Situationen an Bord verbinden sich bei mir mit den Stücken, die da über den Lautsprecher der Raumstation klangen", sagt der deutsche Astronaut Reinhold Ewald. 1997 verbrachte er 20 Tage auf der russischen Raumstation Mir. Die Frage, welche Kulturgegenstände er mit ins All nimmt, wurde allerdings schon vor dem Start seiner Sojus-Rakete beantwortet: "Es waren nur anderthalb Kilo persönliches Gepäck erlaubt."

Reinhold Ewald entschied sich für eine Musikkassette. "90 Minuten brauchte die Raumstation, um einmal um die Erde zu fliegen, 90 Minuten hatten damals auch diese Kassetten. Das passte wunderbar." Er wählte die Musik nach den Kontinenten aus, die er überflog. Über seiner Heimatstadt Köln erklang die Kölner Band Bläck Fööss. Mit seinen russischen Kollegen an Bord tauschte er Musik aus der Heimat aus: "Das war dann aber nicht Kunst, sondern eher angewandte Nostalgie", schmunzelt er heute.

Blick auf die russische Raumstation Mir mit der Erde im Hintergrund (Photo courtesy of NASA/Newsmakers)
Die russische Raumstation Mir im Jahr 2001Bild: Getty Images/NASA/Newsmakers

Gedanken an die Schöpfung

Dennoch: "Man hört ein Klavierkonzert von Mozart ganz anders, mit einem grandiosen Erdblick und in einer völlig fremden artifiziellen Umgebung", sagt Reinhold Ewald. Er spricht vom sogenannten Overview-Effekt: Raumfahrer nehmen die Erde aus dem All als Ganzheit war. Manche Astronauten kehrten als Pazifisten zurück. Den existenziellen Blick auf die Erde als Murmel wie die Mondfahrer habe er zwar nicht gehabt, sagt Reinhold Ewald. Doch auch ihm kamen auf der Mir philosophisch-religiöse Gedanken: "Land und Wasser, Licht und Dunkelheit, alles ist wohlgefügt, das ist der Eindruck."

Den Overview-Effekt betrachtet die Philosophin Marie-Luise Heuser von der Technischen Universität Braunschweig als Chance für alle Menschen: "Wir nehmen die Erde dadurch nicht mehr nur terrestrisch wahr, sondern von außen." Auch deshalb ist die Erschließung des Weltraums für sie nicht nur eine technische Frage, sondern "insgesamt eine Kulturaufgabe der Menschheit." Als Geschäftsführerin der Gesellschaft für Kultur und Raumfahrt setzt sie sich gemeinsam mit Künstlern und Wissenschaftlern für die kulturellen Dimensionen der Raumfahrt ein.

ARCHIV - Der Deutsche Reinhold Ewald winkt Pressevertretern zu, die ihn am 20.1.1997 während des Trainings für das russische Sojus-TM-25-Weltraumprojekt in Rußlands Raumfahrtzentrum Star City, 25 km von Moskau entfernt, beobachteten. Abenteuerlust darf ein Astronaut schon mitbringen, aber die allein würde als Motiv für eine so lange Marsmission nicht reichen, meint der deutsche Raumfahrer Reinhold Ewald. «Solche Leute würden schon auf dem Weg zum Mars an ihrer Entscheidung zweifeln, weil es so lange dauert», sagte er zum Weltkongress der Astronauten in Köln (1.-5. Juli) im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa. Foto: Mashatin/dpa (zu dpa-Gespräch vom 01.07.2013) +++(c) dpa - Bildfunk+++
Er flog zur Mir: Reinhold Ewald 1997 beim Training in RusslandBild: picture-alliance/dpa

Die Öffnung des Weltraums

Doch was verbirgt sich hinter der "kulturellen Erschließung" des Alls? Die Astronautik sei sicherlich noch nicht von Kultur durchsetzt, sagt Reinhold Ewald, der heute in der europäischen Raumfahrtagentur Esa tätig ist. In den 1990er Jahren wurde er in Moskau zum Raumfahrer ausgebildet. In der Sowjetunion seien kulturelle Aspekte der Raumfahrt von Anfang an stärker mitgedacht worden, als im Westen: "Während wir mehr von der Technik begeistert waren, haben die Russen die Öffnung des Weltraums als Fortschritt der Menschheit interpretiert." Was ist unser Platz im Weltraum? Sind wir Herren dieser Erde, oder sind wir kleine Ameisen? Diese Grundfragen der Raumfahrt seien tief kulturell, sagt Ewald.

Er hofft, dass die Ansätze der Russen weitergetragen werden. In der Kunst selbst könnte die dritte Dimension zu neuen Perspektiven führen. Wie nutzt ein professioneller Tänzer die Schwerelosigkeit für seinen Bewegungsapparat, wie wären im Weltraum entstandene Skulpturen beschaffen? Diese Fragen können nur geklärt werden, wenn ein Künstler zu den Sternen fliegen könnte.

Blick aus dem All auf die Erde dpa
Blaue Murmel: Die Erde aus dem All aufgenommenBild: picture-alliance/dpa

Der "ARTronaut"

Einer, der es vorhatte, war der deutsche Designer Charles Wilp. 1986 schickte er mit dem Satelliten TDF1 als erster Künstler überhaupt Skupturen ins All. "Die Idee war, sie vom Kosmos signieren zu lassen", sagt Marie-Luise Heuser. Wilp unterhielt Kontakte zu Wissenschaftlern und arbeitete auch mit der US-Raumfahrtbehörde NASA zusammen.

Er sah sich als "ARTronaut", eine Mischung aus Raumfahrer und Künstler. Auf über 100 Parabelflügen, auf denen durch ein bestimmtes Manöver Schwerelosigkeit erreicht werden kann, probierte er sich an der Herstellung von Kunst ohne Bodenhaftung aus. Später plante er, ein Kulturmodul an die ISS andocken zu lassen. Doch bevor sich das umsetzen ließ starb er 2005 im Alter von 72 Jahren.

Der Weltraumkünstler und Fotograf Charles Wilp dpa
Der Weltraumkünstler Charles WilpBild: picture-alliance/dpa

Die Idee, den Weltraum auch kulturell zu nutzen, kommt dennoch weiter in Gang. "Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt hat Interesse daran", weiß Marie-Luise Heuser. Doch die immensen Kosten der Ausbildung für Raumfahrer und Flüge in den All stünden der Idee von Künstlern im Weltraum bisher noch im Weg. Und die wechselnden Astronauten-Crews an Bord von Raumstationen haben neben ihren wissenschaftlichen und technischen Aufgaben nur wenig Muße für kulturelle Betätigung. Doch, wer weiß, vielleicht hat Chris Hadfield mit seinem Musikvideo neue Ideen angestoßen und es gibt bald mehr Kunst aus dem All.