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Wahlkampf auf Tschechisch

25. Mai 2009

Vor fünf Jahren, bei der ersten Europawahl für Tschechien, schaffte Libor Rouček den Sprung nach Brüssel. Nun möchte er gerne wiedergewählt werden - und macht dafür im ganzen Land Wahlkampf.

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Porträt vom Abgeordneten (Foto: Gerald Schubert)
Der tschechische Abgeordnete Libor Rouček tritt zum zweiten Mal bei der Europawahl anBild: Gerald Schubert

Eine kleine Privatuniversität in der Nähe des Prager Wenzelsplatzes. Es ist Montagnachmittag, die Aula ist gut gefüllt. Auf dem Podium buhlen Kandidatinnen und Kandidaten fast aller tschechischen Parteien um die Gunst des Publikums. Der Sozialdemokrat Libor Rouček ist gerade so richtig in Fahrt gekommen.

Er persönlich sei über den Sturz der konservativen Regierung während der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft auch nicht gerade glücklich, sagt er auf die Frage eines Studenten. Die Regierung aber habe sämtliche Kooperationsangebote für die Zeit des EU-Vorsitzes ausgeschlagen und trage daher selbst die Verantwortung dafür, dass sich Tschechien international nicht gerade als stabiler Partner präsentiert hat.

Wird das Misstrauensvotum bei den bevorstehenden Wahlen den Sozialdemokraten nun eher nützen oder schaden? "Innenpolitisch hat das meiner Ansicht nach gar keine Auswirkungen", meint Libor Rouček, "Das zeigen auch die Meinungsumfragen. Die Reaktionen sind geteilt: Die eine Hälfte sagt, das hätte man nicht tun sollen. Die andere Hälfte sagt, gut, dass diese schlechte Regierung weg ist."

Wahlkampf ist harte Arbeit

Blick von oben in den Saal des Europäischen Parlaments (Foto: European Parliament)
Das Ziel des Wahlkampfes: ein Platz in BrüsselBild: Photo European Parliament/Architects : Architecture Studio

Libor Rouček sitzt schon seit 2004 für die tschechischen Sozialdemokraten im Europäischen Parlament. Davor war er Mitglied des Abgeordnetenhauses in Prag. Auf den ersten Blick unterscheide sich eine Europawahlkampagne kaum von den Kampagnen vor nationalen Wahlen, sagt Rouček. Mit seinem Team ist er jeden Tag von acht Uhr früh bis spätabends auf den Beinen.

"Wir reisen durch die ganze Republik, jeden Tag gibt es vier oder fünf Veranstaltungen. Wir besuchen kleinere Städte, Dörfer, und auch Großstädte", erzählt Libor Rouček. Immer am Abend haben sie eine Großveranstaltung in einer größeren Stadt. Dazu kommen noch Podiumsdiskussionen und Mediendiskussionen.

Mit Europa kann man die wenigsten Wähler begeistern

Wahlkampf wie in alten Zeiten also, als Rouček noch für das tschechische Parlament kandidiert hat. Der einzige Unterschied: Europapolitische Inhalte sind schwerer zu vermitteln als Rezepte gegen die Probleme daheim: "Wie in jedem Land interessiert die Menschen mehr die Situation zu Hause, also die Innenpolitik", erklärt Libor Rouček.

In der Tschechischen Republik gebe es außerdem im Herbst auch nationale Wahlen, weshalb die Leute mehr über die Wahlen zum tschechischen Parlament als über die zum Europäischen Parlament redeten. "Wir sagen aber, das sind zwei Teile des Gleichen. Natürlich hat das tschechische Parlament gewisse Kompetenzen und das Europäische Parlament hat wiederum andere Kompetenzen. Aber insgesamt geht es um das Gleiche", so das Fazit des tschechischen Abgeordneten.

Finanzkrise rauf und runter - in Tschechien wie in ganz Europa

An einem langen Tisch sitzen Personen vor Mikrofonen und Namensschildern (Foto: Gerald Schubert)
Im nationalen wie europäischen Wahlkampf stehen zahlreiche Veranstaltungen auf dem ProgrammBild: Gerald Schubert

Die Wirtschaftskrise und ihre sozialen Dimensionen - im aktuellen Wahlkampf eindeutig Thema Nummer eins: "Wenn wir die Krise meistern sollen, dann brauchen wir eine gemeinsame europäische oder auch globale Lösung. Deshalb müssen wir zusammenarbeiten", meint Libor Rouček.

Als Sozialdemokraten müssten sie darauf achten, dass auch die wirtschaftlichen Maßnahmen soziale Aspekte hätten. "Dass wir nicht nur die Banken unterstützen, sondern auch die einfachen Leute sehen, die diese Wirtschaftskrise nicht verursacht haben."

Mit der Vergangenheit für die Zukunft planen

Libor Rouček ist 1977 nach Österreich emigriert und verbrachte zunächst einige Zeit im Flüchtlingslager Traiskirchen. 1978 absolvierte er in einem Zelt an der Wiener Ringstraße einen zehntägigen Hungerstreik. Anlass: der zehnte Jahrestag der Invasion der Warschauer-Pakt-Truppen in die damalige Tschechoslowakei. An der Uni Wien studierte Rouček Politikwissenschaft und Soziologie, später lebte er in Großbritannien, den USA und Australien.

Erinnert er sich heute im Europäischen Parlament noch manchmal an seine Zeit als politischer Flüchtling? "Ja, natürlich denke ich daran zurück", sagt er sofort. Zum Beispiel erst vor kurzem als der Jahrestag der EU-Erweiterung gefeiert wurde. Er könne sich gut erinnern, wie es vor 20 Jahren gewesen sei: "Es gab noch den Stacheldraht, die Menschen konnten überhaupt nicht reisen. Jetzt kann jeder, der will, ohne Grenzkontrollen von Litauen nach Portugal reisen. Das ist etwas, das wir uns nicht nur in Tschechien nicht vorstellen konnten, sondern nirgendwo in Europa", so Rouček.

Autor: Gerald Schubert

Redaktion: Nicole Scherschun/Julia Kuckelkorn