1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Auf zum Mars! Doch Europa zaudert ...

16. April 2010

Der Mond ist gestrichen, dafür sollen Menschen zum Mars fliegen. US-Präsident Obama präsentierte am Kennedy Space Center in Florida seine Weltraum-Ziele, eine mitreissende Rede, war es jedoch nicht, meint Dirk Lorenzen.

https://p.dw.com/p/MyDu
Weltraumexperte und Wissenschaftsjournalist Dirk Lorenzen (Foto: DW)
Weltraumexperte und Wissenschaftsjournalist Dirk LorenzenBild: DW

Die Nasa soll ab 2015 mit dem Bau einer Langstreckenrakete beginnen, um zu Zielen weit jenseits des Mondes aufzubrechen. Die Landung auf dem Mars werde er selber noch erleben, verkündete Obama recht tollkühn vor dem Nasa-Publikum. Da wird er wohl biblisches Alter erreichen müssen, denn wie aus dieser unausgegorenen Gemengelage zügig ein klar definiertes Programm werden soll, ist nicht klar.

Ende des Jahres werden die 40 Jahre alten Raumfähren endlich außer Dienst gestellt – sündhaft teure Oldtimer, die nie die in sie gesetzten Erwartungen erfüllt haben. Somit sind US-Astronauten zumindest in den kommenden fünf Jahren auf die Mitnahme in den russischen Soyuz-Raketen angewiesen, um die Internationale Raumstation ISS zu erreichen. Danach sollen private Unternehmen den Routinebetrieb zur Internationalen Raumstation abwickeln.

Schon zum dritten Mal stellt die Nasa die Entwicklung eines Shuttle-Nachfolgers ein. Ein halbes Jahrhundert nach Beginn der bemannten Raumfahrt steht die Nasa plötzlich fast mit leeren Händen da. Strukturiertes Vorgehen sieht anders aus.

Marsboden (Foto: AP)
Traum in Rot. Marsboden, aufgenommen vom Mars-Rover Spirit der NASA, der seit 2004 den Mars erkundeteBild: AP

Europa zaudert

Und Europa? Der alte Kontinent sieht wieder einmal staunend zu, wie die Nasa sich neu aufstellt. Viele europäische Raumfahrtpolitiker sind meist schon zufrieden, wenn man sich an Nasa-Programme anhängt – wobei man auf der anderen Seite des Atlantiks auch schon mal rüde abgekoppelt wird. Vor zehn Jahren haben die Nasa und das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt gemeinsam an einem Raumschiff gearbeitet, bis die Amerikaner mit der urplötzlichen Einstellung des Projekts ihre Partner düpierten. Als Ex-Präsident George W. Bush den neuen Mondflug ausrief, wollte sich Europa irgendwie an der Mondbasis beteiligen. Wahrscheinlich wäre man schon entzückt gewesen, die Türklinken der lunaren Module bauen zu dürfen.

Es ist fatal: Europa steht in der Raumfahrt mit dem Forschungslabor Columbus auf der ISS und dem voll automatischen Materialtransporter ATV so gut da wie nie zuvor. Aber der alte Kontinent ruht sich auf seinem Erfolg aus. Columbus ist zwar im All, aber Europa leistet sich den Luxus, seinen Außenposten in der Umlaufbahn nur mit fremder Hilfe erreichen zu können. Europäische Astronauten, die in Columbus forschen möchten, prügeln sich bald mit den Amerikanern um die Sitzplätze in den russischen Kapseln. Raumfahrt absurd: Europa ist im All, kommt aber nicht hin. Das ist so, als kauft man eine Insel, weigert sich aber, ein Boot anzuschaffen.

Noch absurder: Europas Weltraumorganisation Esa hat sich im Rahmen ihres Aurora-Programms vor fast zehn Jahren selbst das Ziel eines bemannten Fluges zum Mars vorgegeben. Doch aus der Morgenröte, was der lateinische Begriff Aurora bedeutet, ist nie ein heller Tag geworden. Europa schleppt sich in Tippelschritten voran: Alle drei Jahre treffen sich die Raumfahrtminister, peinlichst bemüht, bloß keinen großen Wurf zuzulassen. Statt kraftvoll in die Lücke vorzustoßen, die die Amerikaner jetzt hinterlassen, taktiert man halbherzig herum.

Weltraumfrachter ATV (Automated Transfer Vehicle) der ESA (Foto: picture-alliance/dpa)
Weltraumfrachter ATV (Automated Transfer Vehicle) der ESABild: picture-alliance/ dpa

Europa muss Selbstbewusstsein zeigen

Dabei hat Europa das technologische Vermögen, in der himmlischen Champions League mitzuspielen. Mit Columbus verfügt man über ein exzellentes bemanntes Raumschiff, nur eines ohne eigenen Antrieb. Europas Industrie baut aber seit Jahrzehnten erstklassige Triebwerke für die kommerziell äußerst erfolgreiche Ariane-Rakete. Jetzt muss man zusammenschrauben, was technisch und politisch zusammengehört: Europa braucht eine eigene bemannte Rakete, um Columbus zu erreichen und um der Abhängigkeit von anderen Weltraummächten zu entkommen. Bisher lehnen Europas Raumfahrtpolitiker eine eigene bemannte Rakete geradezu hysterisch ab und halten uns so künstlich in der zweiten Raumfahrtliga. Man schaut lieber weiter hilflos zu, was Präsidenten bei Nasa-Besuchen verkünden.

Man wolle Europa zum dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt machen, heißt es großspurig in der Lissabon-Strategie der Europäischen Union. Die Raumfahrt wäre ein idealer Motor, diese Strategie voranzutreiben. Raumfahrt fasziniert fast alle Menschen; denn sie fußt auf unserem Urinstinkt, den Horizont stets weiter hinauszuschieben und in unbekannte Bereiche vorzustoßen.

Was soll heute Mädchen und Jungen im Alter von zwölf oder 14 Jahren für wissenschaftlich-technische Berufe begeistern? Der Mondflug der Amerikaner hat weltweit eine ganze "Generation Apollo" hervorgebracht. Wo ist heute ein ähnliches Leuchtturm-Projekt? Am Geld kann es nicht liegen. Wenn Banken pleite gehen oder Wahlen verloren zu gehen drohen, sprudeln plötzlich die Milliarden. Es liegt daran, dass wir uns zu wenig zutrauen und zu wenige Visionen haben.

Autor: Dirk Lorenzen
Redaktion: Judith Hartl