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Empörung über Auftritt in KZ-Häftlingskleidung

Juri Rescheto
28. November 2016

Olympia-Gewinnerin Tatjana Nawka tanzte in der russischen TV-Show "Eiszeit" im Kostüm eines KZ-Häftlings zur Musik aus dem Film "Das Leben ist schön". Russland reagiert gespalten darauf. Aus Moskau Juri Rescheto.

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Russland Tatjana Nawka
Bild: picture-alliance/AP Photo/I. Sekretarev

Darf man über Konzentrationslager lachen? Das fragte man den italienischen Regisseur Roberto Benigni, als er 1997 "Das Leben ist schön" drehte. In dieser Tragikomödie verkauft ein inhaftiertes Ehepaar seinem kleinen Sohn das Leben im KZ als ein großes Spiel mit komplizierten Regeln, dessen Gewinner am Ende einen echten Panzer bekommt, wenn er es schafft, sich von den Nazis zu verstecken. Der Junge glaubt daran, versteckt sich und überlebt.

Schon der Titel "Das Leben ist schön" sorgte für heftige Reaktionen. Im Film wird gelacht, getrickst und gezaubert. Eine typische italienische Verwechslungskomödie ist er auch, denn der Vater des Jungen verkleidet sich als Frau, um den Nazis zu entkommen. Am Ende wird er ermordet.

Diese 90 Minuten kontroverser tragikomischer Handlung haben die Teilnehmer der populären russischen Fernsehshow "Eiszeit", Profi-Eiskunstläuferin und Olympia-Gewinnerin Tatjana Nawka und ihr Amateur-Partner Andrej Burkowski zur besten Sendezeit im russischen "Pervy Kanal" auf knappe vier Minuten schmissigen Eistanz komprimiert und den Zuschauern als unterhaltsames Lehrstück über den Mord an den Juden im Zweiten Weltkrieg auf Eis serviert.

Die Jury der Sendung befand, dass die Nummer perfekt die Stimmung des Films wiedergab und bescherte den Tänzern in gestreifter Häftlingskleidung die besten Noten, sowohl für die Technik als auch für den künstlerischen Ausdruck. Doch kaum war dieser Erfolg verkündet, überrollte eine Lawine der Zuschauerreaktionen das Netz. Von "Schande! Und so etwas kommt ausgerechnet aus Russland?" über "Hoffentlich gehen sie damit nicht auf Israel-Tour" bis "Unbedingt sehenswert". Einer der User fragt: "Holocaust wird in Filmen, Gemälden und Theaterstücken dargestellt. Warum kann man das Thema nicht auch auf diese Weise verarbeiten?"

Nawka selbst, deren spektakuläre Hochzeit mit dem Kreml-Sprecher Dmitrij Peskow schon vor einem Jahr für Schagzeilen sorgte, verteidigt die Idee im Boulevard-Blatt Komsomolskaya Prawda: "Das war nicht nur eine Show. Das ist ein Stück Theater. Solche Themen muss man unbedingt auch dort ansprechen. Damit man sie nicht vergisst. Wenn junge Leute das sehen und sich dafür interessieren, für den Holocaust, für die KZ und für den Film, dann haben wir unser Ziel erreicht."

Wer recht hat und wer nicht, das wird gerade heftig diskutiert. Ob die Nummer peinlich und geschmacklos war oder mutig und innovativ, auch. Fakt ist, die Diskussion darüber ist längst Selbstläufer geworden und bietet mal wieder genügend Nährboden für gegenseitige Beschuldigungen der sogenannten Westler auf der einen Seite und Slawophilen auf der anderen. Die einen werfen den anderen einen Image-Schaden für Russland vor, die anderen riechen vor allem in der Kritik an der Nummer die europäisch-ukrainische Verschwörung: "Achtet nicht auf Kritiker! Das ist dieselbe Biomasse, die jetzt mit ihren rostigen Fingern knarzt und die früher Menschen im Donbass und Odessa umbrachte", stellt radikal einer der Instagram-User fest.

Die Tatsache, dass selbst solch sensible Themen von Russen für politische Abrechnungen ganz anderer Art benutzt werden, zeigt, wie tief das Land gespalten ist. Dabei haben sowohl Russen als auch Ukrainer Millionen Todesopfer im Zweiten Weltkrieg zu beklagen.

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Juri Rescheto Chef des DW-Büros Riga