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Auge um Auge

Markus Reher5. Juni 2007

Wladimir Putin hält sich für den reinsten Demokraten der Welt. Es gebe sonst einfach keinen neben ihm. Macht Schluss mit der pharisäischen Kritik an Russland, so der Tenor nicht nur des Präsidenten.

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Bild: DW

"Wot widjesch!" - "Da siehst Du's!", feixt unser Producer, als er im russischen Staatsfernsehen die Bilder von hart eingreifenden Polizisten gegen jugendliche Randalierer sieht. Schauplatz: Hamburg, Rostock, bald auch im Raum Heiligendamm, fürchteten Ermittler, so der Nachrichtensprecher. "Eure Polizisten schlagen auch", so einfach ist die Botschaft für unseren Producer und viele andere Russen dieser Tage.

Fruchtbarer Boden für Staatspropaganda

Alles wie bei uns vor einem Jahr, vor dem G8-Gipfel in St. Petersburg, meinen sie - und stehen damit voll hinter ihrer Staatsführung. Kritik perlt inzwischen ab, solche aus dem Westen erst recht. Mit unausgesprochener aber umso hörbarerer Genugtuung berichten die Kremlnahen Kanäle von den Randalen im Vorfeld des Gipfels der acht Mächtigsten der Welt im deutschen Ostseebad. Minutenlang Bilder vom "entschlossenen Vorgehen" der Ordnungshüter, obwohl man hier Nachrichten aus der Heimat sonst höchsten ein-, zweimal im Jahr sieht, es sei denn es ist gerade Fußball-WM.

"Ihr seid doch genau so, wot widjesch!", sagen viele Russen derzeit und meinen, bei ihnen im Lande laufe doch alles ganz normal. Die Staatspropaganda fällt auf fruchtbaren Boden: groß ist die Sehnsucht, endlich dazu zu gehören, endlich mit zu spielen in der ersten Liga, nach all den Entbehrungen der chaotischen Jelzin-Jahre. Umso fataler das ungewollte Signal aus Deutschland im Vorfeld von Heiligendamm. Denn dass der Unterschied zwischen Petersburg vor einem Jahr und dem G8-Treffen an der Ostsee jetzt ein riesiger ist, dass will in Russland niemand hören.

"Wir tun nichts, was ihr nicht auch tun würdet"

Keine Chance irgendwelchen Gewalttätern, das ist unbestritten! Nur, damals gab es in Russland von Seiten der heimischen Globalisierungsgegner gar keine Aufrufe zu Gewalt, zu Angriffen auf den Gipfel und seine Teilnehmer. Und Gipfelgegner aus dem Ausland trauten sich erst gar nicht, anzureisen. Dennoch setzten Miliz und Geheimdienste viele G8-Gegner und Kremlkritiker massiv unter Druck oder sperrten sie gleich weg. Und auch die Treffen einiger weniger Tausender bei den so genannten Märschen der Nichteinverstandenen sind alles andere als eine Bedrohung für die russische Staatsordnung. Und doch gibt es von den Sicherheitskräften regelmäßig Haft und Prügel für die heimische Opposition.

Die derzeitige deutsche Debatte um innere Sicherheit im Vorfeld von G8 ist Wasser auf die Mühlen des Kremls für eine noch härtere Gangart gegen alle, die nicht auf seiner Linie sind. Der Westen steckt in der Glaubwürdigkeitsfalle, so sehen viele Russen das, solange Westeuropa nicht klar machen kann, dass trotz umfassender Polizeimaßnahmen grundlegende Menschenrechte und Bürgerfreiheiten eben nicht eingeschränkt sind. Ein spannungsreicher Gipfel steht also an. Ganz zu schweigen vom russisch-amerikanischen Raketenstreit. Wir reagieren doch bloß, wir tun doch nichts, was ihr nicht auch tun würdet, "wot widjesch!"