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Wandernde Mitte

Bernd Riegert24. Dezember 2007

Ist Brüssel eigentlich die Mitte Europas? Schlägt hier das Herz Europas, wo die mächtigsten Institutionen der Europäischen Union zusammenkommen. Oder ist die Mitte ganz woanders?

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Bild: DW
Im Jahr des 50. Geburtstags hat sich die EU einen neuen Grundlagenvertrag gegeben. Sie sucht ein Ziel, einen Weg." Sie sucht ihre Mitte" würde man sagen, wenn die EU eine alternde Geografielehrerin wäre, die mit 50 nach der midlife crisis anfängt Yoga zu lernen, sich die Haare rot färbt und schräge Musik hört.
Bernd Riegert

Die Mitte. Alle suchen sie, auch die konservative Volkspartei CDU. Die hat jetzt den schlichten Wunsch nach Mitte zum Wahlprogramm erhoben. Also, die Mitte scheint ein lohnendes Ziel auf der Suche nach sich selbst zu sein.

Das dachte sich auch der britische Fotograf Justin Leighton. Er klapperte auf einer Autotour von London aus alle die Stätten in Europa ab, die von sich selbst sagen oder von denen behauptet wird, sie seien die Mitte Europas. Seine Reise führte ihn in die Wälder von Viroinval in Belgien. Dort lag das geografische Zentrum der EU als sie noch 15 Mitglieder hatte, also bis zum Mai 2004. In einem Kreis von Baumstümpfen erinnert eine Plakette an die ehemalige Mitte. Ständig in Bewegung Mit dem Beitritt von acht mittel- und osteuropäischen Staaten sowie Malta und Zypern verschob sich die Mitte der EU dramatisch nach Osten. Die Mitte der EU der 25 lag nun plötzlich in Kleinmaischeid in Deutschland. Der Bürgermeister dort lies ein Monument errichten in Europablau. Dann drei Jahre später verloren die Kleinmaischeider ihre Mitte wieder. Die EU nahm Bulgarien und Rumänien auf und das Zentrum wanderte weiter nach Osten, und zwar nach Ochsenwasen in der Nähe von Frankfurt am Main. Ochsenwasen ist eine Wiese in der Nähe von Gelnhausen. Dort stehen drei Flaggenmasten und eine blau gestrichene Holzbank. Die ziert der sinnige Spruch: Europäische Zentralbank. Ochsenwasen ist also die Mitte. Noch. Denn sobald Kroatien beitritt, geht es wieder ein Stück Richtung Südosten. Nach und nach kommen die übrigen Balkanstaaten. Europas Mitte wandert mit. Die EU ist ständig in Bewegung. Und wenn dann eines Tages die Türkei beitritt, wird vielleicht nicht nur die geografische Mitte weiter gen Südosten ziehen. Eine Welt ohne Mitte

Ich habe Justin Leighton, den Fotografen, der die Mitte sucht, in Brüssel getroffen, als er seine Ausstellung eröffnete. Er hat eine Kartografen-Firma beauftragt. Die hat nachgemessen und befunden, dass der Mittelpunkt der EU eigentlich 200 km östlich von Ochsenwasen liegt. Die Berechnungen hängen immer davon ab, welche Inseln am Rande der Union eingerechnet werden und welche nicht. Müsste man nicht auch Grönland, das ja technisch zu Dänemark gehört, berücksichtigen? Oder Französisch-Guyana in Südamerika oder britische Besitzungen im Pazifik? Oder die Falklandinseln? Das würde die Mitte der EU sehr erschüttern.

#map# Daten unf Fakten zu Europa

Beschränkt man sich also besser auf die europäische Festlandsmasse. Die Mitte des Kontinents, zu dem ja auch noch Weißrußland, die Ukraine, der Kaukasus und Teile Russlands gehören, die ist nun wieder ganz woanders, nämlich in Litauen in der Ortschaft Bernotai. Dort steht eine große Säule, die eine goldene Sternenkrone trägt. 54 Grad 54 Minuten Nördlicher Breite und 25 Grad 19 Minuten östlicher Länge. Aber auch hier kann man nicht ganz sicher sein, auch ein Dorf in Polen könnte die Mitte sein. Dann nämlich, wenn man die Anordnung der russischen Zarin Katharina der Großen außer Acht läßt, Russland bis zum Ural zu Europa zu zählen. Zuvor war Europa kleiner. Die Suche nach der Mitte ist spannend, bei Europa oder bei einem selbst. Die Ausstellung von Justin Leighton ist in Brüssel und im Internet zu sehen, einer virtuellen Welt gänzlich ohne Mitte.