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"Tannhäuser" in Düsseldorf

Klaus Gehrkre10. Mai 2013

Die jüngste Neuinszenierung von Wagners "Tannhäuser" geriet am Mittwoch bei der Premiere in der Düsseldorfer Rheinoper zum handfesten Theaterskandal – und wirft die Frage nach künstlerischer Freiheit wieder auf.

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Szene aus der Tannhäuser Inszenierung an der Deutschen Oper am Rhein. Foto: Hans Jörg Michel, Düsseldorf, 2013
Bild: Hans Jörg Michel

Hochkochende Emotionen und Stürme von empörten Buh-Rufen: Sicherlich hatte Regisseur Burkhard C. Kosminski mit seiner Sicht auf den "Tannhäuser" mit eher ablehnender Haltung des Publikums gerechnet. Doch die überaus heftigen Reaktionen auf die Inszenierung, die das Geschehen ins "Dritte Reich" verlegt und Gräueltaten der Nazis wie Erschießungen oder Vergasungen zeigt, scheinen auch ihn überrascht zu haben. Die Leitung des Hauses zog die Konsequenz aus dem Skandal und setzte die Inszenierung ab - die zweite Aufführung ging nur noch konzertant über die Bühne.

Gewalt auf der Bühne

Theaterskandale sind beinahe so alt wie die Einrichtung selbst, und Darstellungen von Rohheit und Brutalität kamen noch nie beim Publikum an - man denke nur an den Skandal, den die Uraufführung von Igor Strawinskys Ballett "Le sacre du printemps" vor 100 Jahren in Paris auslöste. Die eher nur andeutende Bühnenästhetik von damals ist längst einer oft drastisch realistischen Darstellung von Gewalt gewichen. In Tilman Knabes Inszenierung von Saint-Saens' Oper "Samson und Dalila" 2009 an der Kölner Oper gab es beispielsweise Erschießungen und Vergewaltigungen.

Samson et Dalila in der Inszenierung durch Tilman Knabe. Darsteller: Chor, Extra-Chor und Statisterie der Oper Köln
Sex und Gewalt auch an der Kölner Oper 2009: Samson et Dalila in der Inszenierung durch Tilman KnabeBild: Klaus Lefebvre

Mut zu neuen Blicken

Damals protestierten auch Mitglieder des Opernchores und Solisten gegen die Inszenierung - unter anderem mit dem Hinweis auf die psychische Belastung bei den Massenszenen. Nicht anders reagierten jetzt verschiedene Besucher, die sich im Anschluss der Düsseldorfer "Tannhäuser"-Premiere in ärztliche Behandlung begaben. Ohne die Möglichkeit, vor dem Besuch der Oper neben Arzt und Apotheker auch Intendanz und Regisseur nach eventuellen Risiken und Nebenwirkungen zu befragen, kann der Besucher Einführungsmatineen zu Neuinszenierungen bekannter Bühnenklassiker besuchen und Programmhefte lesen. So, wie man seine Lieblingsopern einst kennen gelernt hat, werden sie jedenfalls kaum wieder auf die Bühne gelangen.

Schwieriges Kapitel Wagner

Gerade zum 200. Geburtstag Wagners scheint der Reiz groß zu sein, sich mit seinem Antisemitismus und seiner Vereinnahmung nach 1933 auseinanderzusetzen. Dass daraus provokante Arbeiten wie Kosminskis Tannhäuser-Inszenierung entstehen, ist nichts Ungewöhnliches, sondern eher normal. Auf die Absetzung reagierte der Regisseur bestürzt: "Ich stelle klar, dass ich in keinem Moment die furchtbaren Verbrechen des Nationalsozialismus als Selbstzweck oder billiges Mittel, einen Skandal zu provozieren, benutzt habe.“ Zugleich warf er der Rheinoper "eine Art Zensur“ vor.

Szene aus der Oper "Idomeneo" bei einer Probe an der Deutschen Oper Berlin zu einer Inszenierung von Hans Neuenfels, die am 13.03.2003 Premiere hatte. Foto: Claudia Esch-Kenkel dpa
Die Deutsche Oper setzte die Inszenierung von Mozarts "Idomeneo" abBild: picture-alliance/ dpa

Raus aus dem Plan

Bayreuther Festspiele: Szenenbild aus der `Walküre` Inszenierung Patrice Chereau, Bühnenbild Richard Peduzzi Juli 1977. ullstein bild
Damals ein Skandal, heute zelebriert: die "Ring"-Inszenierung von Patrice ChereauBild: Ullstein

Der Düsseldorfer "Tannhäuser"-Skandal zeigt erneut, wie problematisch der Pfad zwischen künstlerischer Freiheit der Regisseure und der Reaktion von Publikum und Opernintendanz nach wie vor ist. Dass eine provokante Inszenierung abgesetzt wurde, kam in den vergangenen Jahren nur einmal vor: 2006 nahm die Berliner Oper Hans Neuenfels' Inszenierung von Mozarts "Idomeneo" kurzzeitig vom Spielplan aus Furcht vor möglichen muslimischen Protesten wegen des dort gezeigten abgeschlagenen Kopfes des Propheten Mohammed. Dass skandalumwitterte Aufführungen übrigens auch zu Klassikern werden können, zeigt unter anderem die Inszenierung von Wagners "Ring des Nibelungen" durch Patrice Chereau bei den Bayreuther Festspielen 1976. Ob Kosminskis Düsseldorfer "Tannhäuser" auch das Zeug dazu hat, ist umstritten. Das Publikum wird bis auf Weiteres die möglichen Qualitäten der Inszenierung nicht sehen und nachvollziehen können.