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"Ausländische Investoren könnten sich aus dem Rundfunkgeschäft zurückziehen"

26. November 2002

- Litauens Regierung Druck auf unabhängige Medien vorgeworfen

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Vilnius, 21.11.2002, ATGIMIMAS, litauisch

Alle Regierungen haben stets versucht, auf die öffentliche Meinung so viel Einfluss wie möglich zu nehmen, daher hat man sich seit Wladimir Lenin als erstes die Agenturen (und später das Fernsehen) zueigen gemacht. Die Zeit der Revolutionen ist aber vorbei, daher wird von revolutionären Mitteln kein Gebrauch mehr gemacht.

Heute bedient sich die Regierung des wirtschaftlichen und gesetzlichen Drucks, um Druck auf unabhängige Medien auszuüben. Es ist darauf hinzuweisen, dass nur diejenigen unabhängigen Sender, die unter marktwirtschaftlichen Bedingungen überleben können, ihren eigentlichen Auftrag erfüllen können, nämlich den, die Öffentlichkeit darüber zu informieren, wie diejenigen, die sich derzeit an der Macht befinden, ihr Mandat, das ihnen die Wähler erteilt haben, nutzen. Diejenigen Sender und Zeitungen, die wirtschaftlich nicht stark genug sind und deren Zukunft recht häufig ungewiss ist, können sich nicht das Risiko leisten, diesem Auftrag nachzukommen und - um zu übeleben - entscheiden sie sich für Schmeicheleien oder sie beschließen einfach, sich mit den Machenschaften der Behörden anzufreunden.

Litauens Regierung übt wirtschaftlichen Druck auf Sender aus

Obwohl seit der Unabhängigkeit Litauens schon immer das Bestreben vorhanden war, die unabhängigen Medien zu unterdrücken, haben die letzten Ereignisse mit einem demokratischen Staat, wie immer man ihn definieren mag, nichts mehr zu tun. Die derzeitige Regierung versucht nicht nur, die wirtschaftliche Grundlage der unabhängigen Medien zu untergraben, sie greift auch zum Gesetz als Mittel und stärkste Waffe, um Einfluss auf die Medien in diesem Land auszuüben.

Alle politischen Kräfte sind sich darin einig, dass Lietuvos radijas ir televizija (LRT) nicht in privaten Händen sein sollte. Die Regierung zögert aber eine entsprechende Entscheidung hinaus und behauptet, für eine zusätzliche Finanzierung von LRT gebe es im Haushalt kein Geld. Gleichzeitig aber schlägt die Regierung vor, für LRT im nächsten Haushalt mehr Mittel bereit zu stellen. Zusätzliche Gelder werden dazu genutzt werden, ein Netz regionaler staatlicher Fernsehsender aufzubauen. Regionale Fernsehsender mit kommerzieller Werbung würden das Ende der wirtschaftlich schwachen unabhängigen Lokalsender bedeuten.

Neue Gesetze fordern eine stärkere Regierungskontrolle

Gleichzeitig wird am Entwurf eines neuen Gesetzes über elektronische Kommunikation gearbeitet, das an die Stelle des vor kurzem verabschiedeten, derzeit geltenden Gesetzes treten wird. Nach dem neuen Gesetzentwurf soll die für die Beaufsichtigung der unabhängigen Sender zuständige LRT-Kommission liquidiert und mit dem Dienst für Kommunikationsregulierung verschmolzen werden, der von den Launen der Regierung stärker abhängig ist.

Das ist aber nicht alles. Parallel dazu befindet sich eine Gesetzesvorlage in Arbeit, die den Einfluss der Regierung auf die Nachrichtenagentur ELTA, die sich vor kurzem von der staatlichen Schirmherrschaft gelöst hat, wieder legitimiert. Jedermann weiß, dass es Ärger bedeutet, mit den Behörden zu streiten. Wenn die Wochenzeitung "Atgimimas" also dieses Thema aufgreift, so riskiert sie damit den Zorn aller Politiker, die sich zur Zeit an der Macht befinden, zumal die Zeitung finanziell nicht besonders stark ist. "Atgimimas" wurde aber ursprünglich als unabhängige Zeitung gegründet mit dem Ziel, die dem freien Wort auferlegten Restriktionsbarrieren zu überwinden. Daher wäre es unverzeihlich, sich in Schweigen zu hüllen, während erneut der Versuch unternommen wird, mit wirtschaftlichen Mitteln die Meinungsfreiheit zu unterdrücken. Mehr noch, die litauischen Politiker, die mit diesen Mitteln die Medien kontrollieren wollen, könnten ein völlig unerwartetes Ergebnis erzielen. Litauens Energiesektor ist in einem beklagenswerten Zustand nicht nur, weil Vertreter aller Regierungen an dessen Plünderung beteiligt waren, sondern auch weil sie hofften, dass der ruinierte Energiesektor durch dessen Privatisierung leicht aufgekauft werden könnte. Die Hoffnungen einiger Regierungsvertreter erfüllten sich aber nicht und erledigt hat das russisches Kapital. Die Frage ist, ob sich Vertreter der Regierung darüber im Klaren sind, dass sie, während sie vom geplanten NATO- und EU-Beitritt sprechen und die Stellung unabhängiger Sender schwächen, deren Eigentümer große westeuropäische Medienunternehmen sind mit der langen Tradition, der Öffentlichkeit zu dienen, diese Eigentümer zum Rückzug zwingen könnten.

Ausländische Investoren könnten sich aus dem Rundfunkgeschäft zurückziehen

Ein solcher Rückzug ist durchaus möglich, denn sie haben Millionen investiert in der Hoffnung, dass das Gesetz über das Verbot kommerzieller Werbung bei LRT kein leeres Gerede sei. Wenn sie gehen, wer wird dann an ihre Stelle treten? Litauische Oligarchen? Freunde des Premierministers oder des Präsidenten? Oder vielleicht russisches Kapital?

Es ist frustrierend zu beobachten, wie sich das staatliche Fernsehen in der Hand der Regierung in ein Regierungsfernsehen verwandelt und wie sich die Schlinge um den Hals der Sender, die der Vorstellung der Regierung nicht entsprechen, immer mehr zuzieht. In Anbetracht dieser Situation können wir uns selbst und andere nicht länger belügen. Dies ist kein Kampf darum, wem kommerzielle Werbung Geld bringt; es ist ein Kampf um das Recht auf Meinungsfreiheit und das Recht auf eine wirtschaftliche und gesetzliche Grundlage in Litauen. (TS)