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Ausnahmefall Zivilcourage

14. September 2009

Wer Zivilcourage hat, ist bereit sich für seine Mitmenschen einzusetzen. Doch das ist leider nicht die Regel in Deutschland, denn Weggucken ist einfacher. Doch damit wollen sich Experten und Polizei nicht länger abfinden

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Beobachter einer Schlägerei telefoniert (Foto: dpa)
Allzu selten greifen mutige Zeugen in bedrohlichen Situationen couragiert einBild: dpa

Zivilcourage ist der "Mut, den jemand beweist, indem er seine Meinung offen äußert und sie ohne Rücksicht auf eventuelle Folgen in der Öffentlichkeit gegenüber Obrigkeiten, Vorgesetzen oder ähnlichen vertritt". So definiert das "Deutsche Universalwörterbuch" den in diesen Tagen besonders strapazierten Begriff. Besonders während der NS-Zeit fehlte es hierzulande an der nötigen Zivilcourage. Nicht selten bezahlten die wenigen couragierten Menschen ihren Mut mit dem Leben.

Bei Zivilcourage denken die Meisten heute aber eher an bedrohliche Situationen wie Schlägereien, Belästigungen oder ausländerfeindliche Übergriffe. Das liegt auch daran, dass solche Fälle besonders spektakulär sind - und es oft genug besonders entsetzlich ist, dass wieder einmal niemand bereit war zu helfen. Allzu oft erlebt man es im täglichen Leben, dass Zeugen einer Ungerechtigkeit lieber wegsehen. "Was hätte ich denn tun sollen?", heißt es dann zur Entschuldigung.

Zivilcourage ist erlernbar

Aber soweit muss es nicht kommen, sagt der Münchner Psychoanalytiker Kurt Singer: "Zivilcourage ist erlernbar." In diesem Zusammenhang seien besonders Familie und Schule gefordert. Vor allem in der Schule könnten Kinder und Jugendliche besonders gut darauf vorbereitet werden. "Hier verbringen sie einen großen Teil ihrer Lebenszeit und finden Bedingungen, unter denen sozialer Mut nicht nur gelernt, sondern praktisch angewandt werden kann", sagte Singer in einem seiner Vorträge zum Thema.

Denn in der Regel sind es nicht Situationen wie die in München, die ein beherztes Eingreifen von Zeugen erfordern. Zivilcourage ist auch in weniger brenzligen Situationen gefragt, etwa in der Schule oder am Arbeitsplatz. Außerdem bedeutet Zivilcourage nicht zwingend, lebensmüde zu sein und den Helden zu spielen, sondern erst einmal auf die innere Stimme zu hören, die einem sagt:"Was da passiert, ist nicht in Ordnung und ich sollte etwas tun."

Nüchterne Bilanz

Oft bleibt die Hilfe jedoch aus. Einmal, weil es am Wissen fehlt, ob und - wenn ja - wie geholfen werden kann. Und zum Zweiten, weil viele sich vor jenen Unannehmlichkeiten fürchten, die das eigene Engagement mit sich bringen könnte. Genau an diesem Punkt setzt die von der Polizei bereits im Jahr 2001 ins Leben gerufene Initiative "aktion-tu-was" an. In Seminaren und mit einem Faltblatt wird hier versucht, mangelnder Zivilcourage entgegenzutreten. "Kleine Taten sind oftmals ausreichend", erklärt Rainer Weber, stellvertretender Leiter des Kommissariats "Vorbeugung" bei der Bonner Polizei. Mithilfe von sechs einfachen aber effektiven Regeln soll das optimale Verhalten in Fällen von Gewalt in der Öffentlichkeit vermittelt werden.

Sechs wichtige Regeln

"An erster Stelle sollte immer der Grundsatz stehen, nur dann zu helfen, wenn keine Gefahr für einen selbst besteht", betont Rainer Weber. Dieses Risiko kann man minimieren indem man Regel zwei beherzigt und andere Zeugen ganz gezielt zur Hilfe auffordert. Regel drei rät dazu, die Szene genau zu beobachten und sich Auffälligkeiten zu notieren, etwa bei Frisur oder Kleidung des Täters. Außerdem ist es natürlich sehr wichtig, in extremen Situationen sofort die Polizei zu alarmieren und sich um die Opfer zu kümmern. Erst danach kommt Regel sechs ins Spiel, die Bereitschaft zur Zeugenaussage.

Noch souveräner handelt, wer eine kritische Situation schon einmal durchprobiert hat. Im Kopf, oder noch viel besser im Rollenspiel. Reiner Weber leitet deshalb Trainings-Veranstaltungen für Zivilcourage, zum Beispiel in Bonner Schulen oder an der Volkshochschule. Neben den Regeln und Verhaltensweisen geht es dabei auch um Psychologie: Wie aggressiv und gefährlich ist ein Gegenüber tatsächlich, wie überzeugend wirkt man selbst. Doch all das erfordert vor allem eines: den Mut zur Zivilcourage.

Autor: Frank Gazon

Redaktion: Dеnnis Stutе