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Ausnahmezustand im Regierungsviertel

Marcel Fürstenau22. Februar 2004

Eigentlich kennt das parlamentarische Leben nur drei Jahreszeiten: die Tagungswochen, die übrigen Tage und die 'Saure-Gurken-Zeit'. Weniger bekannt ist, dass es auch im Hohen Haus noch eine vierte Jahreszeit gibt.

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Die heiße Phase dieser in keinem meteorologischen Kalender erwähnten Jahreszeit hat am 19. Februar (Weiberfastnacht) begonnen und endet am 25. (Aschermittwoch). Allgemein bekannt ist diese Periode unter dem Namen Karneval. Das Bemerkenswerte an ihr ist, dass sie sich in bestimmten Regionen Deutschlands jedes Jahr mit absoluter Sicherheit außerordentlich heftig bemerkbar macht, insbesondere im Rheinland. In Berlin hat es dieses Phänomen bis 1999 überhaupt nicht gegeben. Damals zog es die Regierung und das Parlament hierher und in ihrem Sog Tausende Bedienstete, die fast das ganze Jahr über gewissenhaft ihre Arbeit in Ministerien und nachgeordneten Behörden verrichten.

Politische Klima-Veränderung

An normalen Arbeitstagen tragen diese Menschen überwiegend dunkelblaue Anzüge (Männer) und Kostüme (Frauen). An einem Tag wie neulich (Weiberfastnacht), an dem normale Menschen in Berlin trotzdem arbeiten, ist im Regierungsviertel alles anders. Dieselben Menschen sind plötzlich mit grünen Perücken und roten Nasen verkleidet. Im Bundestag sind keine Parlamentarier, im Kanzleramt keine Staatsgäste. Die waren schon am Mittwoch da (Blair, Chirac) oder kamen erst am Freitag (Kutschma). Auch die Parlamentsbuchhandlung in der Wilhelmstraße schließt früher als sonst. Und das alles, weil die Klima-Veränderung im politischen Raum auch vor Berlin keinen Halt macht.

Feiern statt arbeiten

Die Auswirkungen beschränken sich zur Zeit noch auf die Gegend um den Bahnhof Friedrichstraße. Im sogenannten Rheinischen Viertel sind die Niederschläge dieser Jahreszeit weder zu übersehen noch zu überhören. Statt Donner und Hagel sind es nach karnevalistischem Bonner Vorbild dröhnende Schunkel-Lieder und Konfetti-Regen. Warum die angestammten Berliner diesem maßlosen Treiben nichts abgewinnen können, werden die zugereisten temporären Frohnaturen wohl niemals ergründen. Dabei wären die Einheimischen problemlos für den Karneval an sich zu begeistern: indem man ihnen dieselben inoffiziellen Feiertage zugesteht wie im Rheinland, also mindestens Weiberfastnacht und Rosenmontag. Doch da hört der Spaß wahrscheinlich auf ...