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Von der Euphorie zur Enttäuschung

Sinsa Bogdanic / Sead Husic23. März 2014

Neun Monate nach dem EU-Beitritt herrscht in Kroatien Krisenstimmung. Die ohnehin geringen Erwartungen an die Europäische Union haben sich bislang nicht erfüllt. Derweil betreibt die politische Rechte ihr eigenes Spiel.

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Anti-EU Banner in Zagreb in Kroatien (Foto: Reuters)
Bild: picture alliance/ZUMA Press

Für den Alltag der Kroaten war es kein großer Schritt, den das Land mit dem EU-Beitritt am 1. Juli 2013 genommen hat. Auch vorher genossen die Bürger Reisefreiheit, und der Euro ist schon seit Jahren neben der stabilen kroatischen Währung Kuna ein akzeptiertes Zahlungsmittel. Vor allem symbolisch war der EU-Beitritt aber von Bedeutung: Er markierte den Aufschluss zum Nachbarn Slowenien, das schon zu jugoslawischen Zeiten als fortschrittlichste Republik galt und gleichzeitig ein Sieg über Serbien, gegen das man in den 1990er Jahren Krieg führte. Der Beitritt bestätigte viele Kroaten in ihrer Vorstellung, dass ihr Krieg ein gerechter war und dass sie zivilisatorisch "zum Westen" gehörten, so wie es der frühere kroatische Präsident Franjo Tudjman zu Kriegszeiten immer betont hatte.

Von der Apathie zur Depression

Die Bürger Kroatiens hätten keine überzogenen Erwartungen an den EU-Beitritt geknüpft, meint der Politologe Zarko Puhovski im Gespräch mit der Deutschen Welle. Allerdings betont er, dass sich auch die geringen Hoffnungen der Bürger nicht erfüllt hätten. "Kroatien ist, neben Schweden, das einzige Land, dem es nach dem Beitritt nicht nur wirtschaftlich, sondern auch in jeder anderen Hinsicht schlechter ging als zuvor", analysiert Puhovski. Eine Schuld der Europäischen Union kann er allerdings nicht erkennen. Vielmehr sei dies der Fortsetzung einer Apathie und Depression gegenüber allen politischen Ebenen und damit auch gegenüber der EU. "Das ist nicht die typisch nationalistische Haltung, bei der man mehr auf den Nationalstaat als auf die EU vertraut, sondern die Überzeugung, dass es von keiner Seite Hilfe und damit eine Verbesserung der Situation in Kroatien geben kann.“

EU-Justizkommissarin Reding und der kroatische Justizminister Miljenic bei einer Pressekonferenz (Foto: dpa)
Rote Karte aus Brüssel: EU-Justizkommissarin Reding fordert Kooperation von Justizminister MiljenicBild: picture alliance/dpa

Wenn sich die ökonomische Situation im Lande verbessern würde und Kroatien die mehrere Jahre dauernde Krise überwände, würde sich auch die Haltung gegenüber der EU verbessern, so Puhovski.

Gemischte Gefühle der Unternehmer

Die kroatische Wirtschaft hatte höchst unterschiedliche Erwartungen an den EU-Binnenmarkt und die damit verbundenen Chancen. Wer sich schon vor dem EU-Beitritt auf den heimischen Markt konzentriert hat, zeigte wenig Enthusiasmus, so Wirtschaftswissenschaftler Damir Novotny. "Kleine und mittlere Unternehmen dagegen, die sich hin zu den EU-Märkten orientierten, profitieren schon jetzt von der Grenzöffnung. Sie denken über neue Investitionen nach und bemühen sich um Kofinanzierungen aus europäischen Fonds.“ Kurz gesagt: Großunternehmen sehen sich einem verstärkten Konkurrenzdruck ausgesetzt, vor allem jene, die zuvor die Vorteile genossen, die sich aus den Einfuhrbeschränkungen im Bereich der Nahrungsmittelindustrie ergaben und die nun verdrängt werden von den ausländischen Großhandelsketten. "Diese Unternehmer sind von der EU nicht begeistert", sagt Novotny.

Verkäufer von Autoteilen auf dem Flohmarkt in Zagreb (Foto: Lasic/DW)
Böses Erwachen: In der Wirtschaftskrise fühlen sich viele Kroaten von der EU alleine gelassenBild: DW/I.Lasic

Die Landwirtschaft ist weiterhin unorganisiert

Als EU-Verlierer fühlen sich auch viele kroatische Landwirte. Miroslav Kovac, Landwirt und Mitglied des Bauernverbandes, sieht deutlich negative Auswirkungen der EU-Mitgliedschaft auf die kroatischen Dörfer. "Die Nahrungsmitteleinfuhren sind gestiegen, die fehlende Organisation der Bauern macht sich bemerkbar. Dies alles verstärkt den Eindruck, dass der EU-Beitritt ein Nachteil war", so Kovac. Die Ursache sieht er in der mangelnden Vorbereitung. "Die unsichere Lage in der Landwirtschaft hat sich weiter verschärft. Die Landwirte haben keine Verhandlungsmacht. Die großen Verbände, die die Nahrungsmittelproduktion in Kroatien beherrschten, waren ebenso unvorbereitet.“

Die regelmäßigen Bauernproteste seien daher nicht das Ergebnis eines hohen Organisationsgrades wie man ihn aus anderen Teilen der EU kenne. "Sie sind ganz im Gegenteil das Ergebnis einer mangelnden Organisation, denn die Bauern haben nichts mit ihren Protesten erreicht“, sagt Kovac. Kroatien ist von Nahrungsmitteleinfuhren abhängig geworden.

Ärzte fliehen aus Kroatien

Dass auch der Gesundheitssektor vom EU-Beitritt nicht profitiert hat, glaubt Ivica Babic, Sprecher der kroatischen Ärztegewerkschaft. "Die Arbeitsbedingungen haben sich verschlechtert und die Sozialleistungen sind gesunken“, versichert er. Zudem weist er auf ein neues Gesetz hin, das die Lage zusätzlich erschweren werde. "Ich habe den Eindruck, dass die Regierung auf den EU-Beitritt gewartet hat, um weitere Restriktionen durchzusetzen." Dass auch die Ärzte keine schnellen Hilfen von der EU erwarten, belegen mehr als 400 Anträge von Ärzten, die möglichst schnell in anderen Ländern der EU arbeiten wollen.

Jubel in der Nacht zum 1. Juli 2013 in Zagreb. (Foto: Getty)
Großer Jubel: Am 1. Juli 2013 wurde Kroatien das jüngste Mitglied der Europäischen UnionBild: AFP/Getty Images

Großer Frust herrscht auch im Bildungssektor. Die Lage der Grund- und Hauptschullehrer habe sich in allen Bereichen verschlechtert, behauptet Zeljko Stipic, Sprecher der kroatische Lehrergewerkschaft Preporod. "Durch zahlreiche Kürzungen haben die Lehrer Abschläge in Höhe eines Monatsgehalts hinnehmen müssen", so der Gewerkschafter im DW-Interview. In diesen Tagen erwartet sein Verband neue Kürzungen. "Unsicherheit, Angst, Sorge - das sind die Worte, die am besten die Situation im Bildungswesen beschreiben. Die Erwartungen waren andere, und wir hofften auf positive Entwicklungen, aber unter den Lehrern herrscht ein Gefühl der Enttäuschung“, beschreibt Babic die Lage.

Brüssel als Ort der Abrechnung mit Serbien?

Während die EU-Mitgliedschaft zum einen die Schwachstellen der kroatischen Wirtschaft und Verwaltung deutlicher als zuvor offenlegt, hoffen vor allem rechtskonservative Politiker auf Schützenhilfe durch Brüssel. Sie wollen die EU-Beitrittsverhandlungen mit Serbien nutzen, um alte Rechnungen zu begleichen. Die Politiker wollen Belgrad dazu verpflichten, die Archive der Jugoslawischen Volksarmee mit den Angaben zu den Vermissten zu öffnen, die im Krieg enteigneten Kunstgegenstände zurückzugeben und schließlich Serbien zu einem Schuldeingeständnis für den Krieg 1991 zu bewegen.

Aufnahme vom Grenzübergang zwischen Kroatien und Bosnien-Herzegowina (Foto: Musli /DW)
EU-Außengrenze in Kroatien: Als EU-Mitglied entscheidet Zagreb jetzt über das Schicksal der NachbarnBild: Emir Musli

Der Politikwissenschaftler Puhovski hofft, dass es soweit nicht kommen wird. "Von Premierminister Ivo Sanader über Jadranka Kostic bis zu Zoran Milanovic, einschließlich der Präsidenten Stipe Mesic und Ivo Josipovic: Alle haben wiederholt versichert, dass Kroatien seine Lage gegenüber Serbien nicht ausnutzen würde, wie dies Slowenien gegenüber Kroatien und Griechenland gegenüber Mazedonien getan haben." Doch sicher ist der Wissenschaftler sich nicht. Schließlich habe die Wirtschaftkrise den Nationalisten Auftrieb gegeben.