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Hamburger Schauspiel

Ulrich Fischer21. Januar 2009

Konkurrenz belebt bekanntlich das Geschäft. Aber gilt das auch in der Theaterszene? Diese Frage kann ein Blick nach Hamburg beantworten: Denn die Stadt leistet sich gleich zwei große Sprechbühnen.

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Das Thalia Theater in Hamburg
Zwei große Bühnen in einer Stadt: hier das Thalia TheaterBild: Arno Declair

Das Deutsche Schauspielhaus und das Thalia Theater liefern sich seit Jahren ein Wettrennen um Publikums- und Kritikergunst. Am Wochenende gab es darin eine weitere Etappe: Beide Bühnen brachten Premieren heraus - erst das Thalia mit einer Inszenierung des Urfaust von Andreas Kriegenburg (16.01.2009), dann das Deutsche Schauspielhaus mit "Vorstellungen! Eine Geschichte, fünf Wahrheiten!", inszeniert von Klaus Schumacher (17.01.2009). Aufeinander trafen dabei auch zwei Regiestile.

"Urfaust" im Thalia

Urfaust Katharina Matz spielt den alten Faust
„Urfaust“ - Katharina Matz spielt den alten FaustBild: Arno Declair

Andreas Kriegenburg, Oberspielleiter des Thalia Theaters, ist ein typischer Vertreter des Regietheaters - also eines Theaters, in dem sich der Regisseur alles unterordnet: nicht nur Schauspieler und Bühnenbildner, auch die Dramatiker. Das wurde auch bei Goethes "Urfaust" sichtbar.

Kriegenburg geht sehr frei mit dem Stoff um: Er streicht, er fügt fremde Texte und selbst geschriebene hinzu, er teilt den "Urfaust" in zwei Akte und lässt den alten Faust von einer Frau spielen.

Die Inszenierung ist anfechtbar, denn Kriegenburg verlegt die Handlung in unsere Gegenwart. Das klappt schon allein nicht wegen der Gretchentragödie. Gretchen lebte in einer Zeit, als es für ein Mädchen eine Schande war, unverheiratet schwanger zu werden. Deshalb bringt sie ihr Kind um und wird zum Tod verurteilt. In solch finsteren Zeiten leben wir heute nicht mehr - Mädchen, die ungewollt schwanger werden, haben ungleich mehr Möglichkeiten als die vielen Gretchens zur Zeit Goethes oder zur Zeit von Faust.

Dieser Einsicht weicht Andreas Kriegenburg aus - die Inszenierung wirkt schwammig und willkürlich - typisch für das deutsche Regietheater.

Uraufführung im Deutschen Schauspielhaus

Ganz anders Klaus Schumacher. Er stellt sich bei der Uraufführung von "Vorstellungen! Eine Geschichte, fünf Wahrheiten!" am Deutschen Schauspielhaus ganz in den Dienst der Autoren, seiner Schauspieler und des Publikums.

Szene aus "Vorstellungen" mit Stefan Schießleder und Julia Nachtmann
Szene aus "Vorstellungen" mit Stefan Schießleder und Julia NachtmannBild: A.T. Schaefer

Die Geschichte ist komplex: Es geht um Theaterleute, die ein Stück einüben. Der Regisseur steht im Mittelpunkt, seine Ex-Frau spielt eine Hauptrolle, seine derzeitige Gefährtin eine andere. Liebe, Leidenschaft und Eifersucht stehen im Mittelpunkt. Sie stehen auch um Zentrum des Stücks, das der Regisseur und seine Schauspieler probieren.

Dieses Beziehungsgeflecht zwischen dem Theater und dem Theater auf der Bühne soll zeigen, dass die Künstler aus dem Leben schöpfen und die Kunst das Leben bereichet. Das klappt nicht ganz – zu kompliziert ist das Konstrukt, zu blass bleiben die Andeutungen auf der Bühne.

Das Rennen ist weiter offen

Und so konnte keines der beiden Theater wesentliche Punkte im Wettbewerb für sich verbuchen. Beide beschäftigten sich zu sehr mit dem Theater, also mit sich selbst, betrieben Nabelschau. Und das in einer Zeit, in der es genug andere Entwicklungen gibt, die es sich lohnen würde, aufzugreifen: Kriege und Konflikte, Finanzkrise, Arbeitslosigkeit, die immer größer werdende Kluft zwischen Arm und Reich.

Das Deutsche Schauspielhaus
Das Deutsche Schauspielhaus in HamburgBild: A.T. Schaefer

Das Theater könnte wieder mehr gesellschaftliche Bedeutung gewinnen, wenn es diese Konflikte auf die Bühne brächte. Es würde schlicht und einfach brisanter. Das Thalia Theater und das Deutsche Schauspielhaus haben große Bühnen, eine Technik auf heutigem Stand, leistungsfähige Werkstätten für Kostüme und Bühnenbilder und tolle Schauspielerinnen und Schauspieler.

Die Voraussetzungen sind gut - und das Rennen ist weiter offen.